| # taz.de -- Tiere in „The White Lotus“: Das Luxusresort am Ende der Geschic… | |
| > Die dritte Staffel von „The White Lotus“ zeigt eine Welt, die nicht mehr | |
| > an Alternativen glaubt. Wieso tauchen hier andauernd Tiere auf? | |
| Bild: Affen, Schlangen, Echsen oder Moskitos markieren in „The White Lotus“… | |
| Die Serie [1][„The White Lotus“] hat längst Kultstatus erreicht – und das | |
| trotz ihrer vergleichsweise jungen Geschichte mit nur drei Staffeln, von | |
| der nun auch die jüngste, vergangenen Montag, ihr dramatisches Ende | |
| gefunden hat. Ein wesentlicher Grund für die Popularität der Sozialsatire | |
| liegt in der großen Interpretationsfläche, die sie ihrem Publikum bietet. | |
| Wer sich dieser Tage in den sozialen Medien aufhält, findet dort unzählige | |
| Analysen ihrer versteckten Botschaften und Symbolsysteme, die beinahe | |
| forensisch bis ins kleinste Detail vordringen. Oft geht es darum, die | |
| tiefsten Wünsche und Begehren der überprivilegierten Protagonist:innen | |
| zu entschlüsseln, die sich vor allem in den Dynamiken zwischen ihnen | |
| erkennen lassen – stets nuanciert erzählt und mit dem höchstmöglichen Maß | |
| an Ambivalenz, das eine popkulturelle Serie aushält. | |
| Mikroaggressionen, gesteigertes sexuelles Verlangen, Neid, Gier und Trauer | |
| greifen ineinander, entladen sich in eskalierenden Konflikten oder schlagen | |
| in Mordlust um. Und das alles vor traumhaft schönen Kulissen: Erst Hawaii, | |
| dann Sizilien und nun Thailand. „Exotische“ Sehnsuchtsorte also, die ein | |
| Versprechen des Ursprünglichen, des Wilden und Authentischen für die | |
| überwiegend weiß-westlichen und von sich selbst entfremdeten Hotelgäste | |
| bereithalten, das sie in Form einer isolierten Erfahrung der Spiritualität | |
| konsumieren möchten. | |
| In jeder Staffel folgen wir den Protagonist:innen in | |
| glamourös-hedonistische Luxusresorts, in denen reiche Amerikaner:innen | |
| ungestört reich und amerikanisch sein können. Bereitwillig lassen wir uns | |
| mitreißen vom Sog ihres überbordenden Reichtums, der als solcher in aller | |
| Deutlichkeit sichtbar wird – nie jedoch die Bedingungen, unter denen er | |
| entstanden ist. | |
| ## Kapitalistischer Realismus | |
| „The White Lotus“ steht beispielhaft für zeitgenössische Reichensatiren, | |
| die sich weniger durch eine Fundamentalkritik an den | |
| Produktionsverhältnissen als vielmehr durch einen kapitalistischen | |
| Realismus auszeichnen. Eine Weltsicht also, in der wir uns keine andere | |
| Realität mehr vorstellen können als den Kapitalismus. | |
| „Eat the Rich“ Filme und Serien, wie „Saltburn“, „Succession“ oder | |
| [2][„Triangle of Sadness“] befriedigen oberflächlich ein Bedürfnis nach | |
| antikapitalistischer Kritik, machen den Kapitalismus aber genau dadurch ein | |
| bisschen erträglicher, dass wir den Superreichen zumindest auf der Leinwand | |
| auf die Schliche kommen, ihre Neurosen studieren und ihre | |
| Verschwendungssucht belächeln können. Was als kritische Reflexion über | |
| obszönen Reichtum und überbordenden Konsum beginnt, endet somit in der | |
| Konsumierbarkeit von Kritik selbst. | |
| Die dritte Staffel von „The White Lotus“ zeichnet sich zunächst durch ein | |
| auffällig langsames Erzähltempo aus. Sekundenlange Aufnahmen von Wildtieren | |
| in unmittelbarer Nähe des Resorts, die rein gar nichts zur Handlung | |
| beitragen und eher an Naturdokumentationen erinnern, laufen nicht nur | |
| zeitgenössischen Sehgewohnheiten zuwider, sondern stehen in einem | |
| irritierenden Kontrast zum ungebrochenen Glanz des Luxusresorts. Natur | |
| taucht hier als das ewig imaginierte Gegenstück zur Kultur auf, das | |
| vermeintlich nicht integrierbare Andere. | |
| Tiere sind in „The White Lotus“ allerdings nie bloße Kulisse. Ihr scheinbar | |
| willkürliches Auftauchen markiert immer wieder die Ränder einer Ordnung, | |
| „die sich selbst als zivilisiert, souverän, menschlich versteht“, wie | |
| [3][Georg Dickmann schreibt]. Sie agieren, so Dickmann, als Zeichen und | |
| Metaphern, eingebettet im Blickregime des Western Gaze, und doch führen sie | |
| ein Eigenleben außerhalb der symbolischen Ordnung, der kapitalistischen | |
| Ökonomie, der Kultur und Sprache. | |
| ## Das Animalische als Störmoment | |
| Das Animalische, das in der dritten Staffel vor allem durch Affen, | |
| Schlangen, Echsen und Moskitos in Erscheinung tritt, markiert eine | |
| alternative Ordnung zur hyperkapitalistischen Realität des Luxusresorts. | |
| Und dennoch ist es keine Antithese zum Menschlichen. Vielmehr spiegelt es | |
| das Chaotische, das Böse wider, das unter der glatt gepeelten Haut jedes | |
| einzelnen Hotelgasts schlummert, und sich in sexuellen Obsessionen, | |
| Machtspielen und Selbsttäuschungen entlädt. Wir sehen nicht die Wildtiere | |
| an sich, sondern die Gefahren, die sie darstellen. | |
| Immer wieder dringt das Animalische in die Sphäre des Menschlichen vor, | |
| kommt den Hotelgästen gefährlich nah, folgt ihnen ins Schlafzimmer, starrt | |
| sie an, sticht durch ihre Haut, beißt sie ins Bein, bringt sie fast um. Es | |
| verweist auf die Fragilität ihrer Privilegien – auf die Tatsache, dass ihr | |
| Leben auch anders sein könnte. Weil ihr Reichtum nicht auf Naturgesetzen, | |
| sondern auf Eigentumsverhältnissen basiert, die erst geschaffen werden | |
| mussten und somit umkehrbar sind. | |
| Besonders deutlich wird das in der Figur Timothy Ratliffs. Der | |
| Familienvater erfährt am Tag seiner Ankunft im Resort, dass sowohl die | |
| Zeitungen als auch das FBI aufgrund eines Finanzskandals hinter ihm her | |
| sind und seine Karriere hinüber ist. Statt seiner Familie davon zu | |
| erzählen, schirmt er sie durch Smartphone-Entzug von der Realität ab, | |
| erstickt seine Sorgen in Lorazepam und macht gegenüber seiner Frau und | |
| Kinder einen auf heile Welt, während er insgeheim plant, seine gesamte | |
| Familie mit vergifteten Piña Coladas umzubringen. | |
| Nicht aus Bosheit, sondern weil er ihnen das Leben ersparen möchte, das | |
| nach Ende ihres Wellness-Retreats unvermeidlich auf sie wartet: Ein Leben | |
| ohne Reichtum, ohne Besitz, ohne das glitzernde Versprechen von Bedeutung | |
| im Überfluss. | |
| 11 Apr 2025 | |
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| [1] /Dritte-Staffel-The-White-Lotus/!6066931 | |
| [2] /Satire-Triangle-of-Sadness-im-Kino/!5884017 | |
| [3] https://geschichtedergegenwart.ch/das-touristisch-imaginaere-tierische-blic… | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Stahlhofen | |
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