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# taz.de -- Aimee Lou Wood aus „The White Lotus“: Die Zahnfee
> Die dritte Staffel der Serie „The White Lotus“ geht diesen Montag zu
> Ende. Eine der Hauptrollen spielten die Zähne der Schauspielerin Aimee
> Lou Wood. Gut so!
Bild: Aimee Lou Wood als Chelsea in der Serie „The White Lotus“
Das popkulturelle Gedächtnis ist löchrig wie kariöse Zähne. Es wird viel
über die auffallenden Zähne einer Schauspielerin geredet, dabei sind
individuelle Gebisse regelmäßig Publikumslieblinge. In ihren Memoiren
schrieb die inzwischen leider indiskutable (Volksverhetzung) französische
Ikone [1][Brigitte Bardot], dass ihre Zähne in eine Spange gezwängt werden
sollten, dann hätte es ihren berühmten Schmollmund nie gegeben.
Madonna, Vanessa Paradis oder Lauren Hutton sind unstrittig umwerfend
schöne Frauen mit Diastema mediale, das ist die frontale Zahnlücke zwischen
den Schneidezähnen. Ihre Schönheit wurde nicht trotz, sondern eben gerade
auch ihrer Zähne wegen wahrgenommen.
In [2][„The White Lotus“, der buzziest Show des Jahres], begegnen wir nun
Diastema mediale an vorstehenden Schneidezähnen. Sie gehören der ebenfalls
umwerfend schönen Aimee Lou Wood. Das Publikum ist entzückt über den
Anblick ihres natürlichen Lächelns.
Die Tochter eines Autohändlers aus der Gegend um Manchester spielt
Yogalehrerin Chelsea, eine ebenfalls nicht wohlhabend geborene Engländerin,
die mit dem deutlich älteren, vermögenden Rick (Walton Goggins) zusammen
ist. Sie ist die eine Person im Luxusressort, die noch nicht weiß, wie Wein
serviert wird, nämlich dass sie einen Schluck kosten und zustimmen soll,
bevor ihr Glas gefüllt wird. Aber sie schämt sich nicht für ihr Unwissen:
herrlich.
## Spott in beide Richtung
Als Paar angeordnet verbreiten die beiden optisch einen ähnlich entspannten
Hippievibe, aber in der Nahaufnahme, auf die Zähne konzentriert, kollidiert
ihre charmante Natürlichkeit mit seiner angepassteren
Wohlstands-Künstlichkeit. In seinem Gesicht prangen leuchtend weiße Zähne,
sehr groß, sehr gleichmäßig. Herkunft und Klasse sind in die eigensinnigen
Zähne eingeschrieben.
Es gibt Leute, die sagen, es sei an der Zeit, Mobbing zurückzubringen –
dabei gibt es bereits Zahnärzt*innen, die in Reels die Zähne von
Prominenten beurteilen. Brutal. Spott erfahren sie beide, Aimee und Walton.
Weder das Künstliche noch das Natürliche sind den Spottenden unauffällig
genug. Unauffälligkeit ist teuer, entweder wegen der Spangen und Verneers.
Oder weil es genetisch bedingt schwer und teuer sein kann, die Zähne zu
behalten, die man mal hatte, denn sie zerbröseln so schnell, man
zerknirscht sie ob des Zustands der Welt, man fällt hin oder einer nicht
optimalen Behandlung zum Opfer.
## Individualmerkmalen werden ausgelöscht
Walton Goggins hat nach eigener Aussage als Kind beim Baseballspielen die
Schneidezähne verloren, das Künstliche in seinem Gesicht kann also nur sehr
eingeschränkt als freiwillige Gestaltungsentscheidung betrachtet werden.
Aber die Serienfigur Rick hatte eben keinen Baseballunfall, sondern die
Zähne, die man in den USA eben hat, wenn man es sich irgendwie leisten
kann. Dafür muss man kein Hyper-Nepo-Baby mit Kennedy- und
Terminator-Vorfahren sein, wie „White Lotus“-Ensembemitglied Patrick
Schwarzenegger, dessen Zähne tadellos und nicht der Rede wert sind.
Kieferorthopädische Übertherapie, also Behandlung ohne medizinische
Notwendigkeit, ist in den USA seit Langem vollkommen normalisiert. Das ist
eine Kultur, in der die Verringerung von Individualmerkmalen zur Korrektur
erklärt wird und deren Ausführung schon am Kind geschehen darf. Die
Zwanghaftigkeit, mit der in einem Land ohne gesetzliche Krankenversicherung
unauffällig makellose Zähne verlangt werden, setzt die Leute einem
[3][Schönheitsstress] aus, von dem sie sich erlösen sollten.
## Wieder stolz krummzähnig sein
Kein Wunder, dass die Zahnfee der Stunde, Schauspielerin Aimee Lou Wood,
jetzt in jedem Interview über ihre Zähne sprechen muss. Tatsächlich wurde
sie bisher ihrer natürlichen Zähne wegen eher nicht als US-Amerikanerin
gecastet. Die Zeit der beruflichen Nachteile ihrer Zähne wegen sind für sie
vorerst überstanden. Und das Publikum ist froh über die Normalisierung
natürlicher Zähne.
Ihnen allen sei ein Blick nach Japan empfohlen, wo das Krumme als Teil
zahnästhetischer Vorstellungen existiert: Der Schönheit besonders spitzer
Eckzähne etwa huldigt man dort unter dem Namen [4][Yaeba].
Ruft man sich das gelegentlich in Erinnerung und macht sich klar, was eine
vermeintliche Korrektur, die nicht medizinisch notwendig ist, aus dem
Gesicht herauslöscht, ermutigt das hoffentlich mehr Menschen, ganz stolz
weiter krummzähnig zu leben.
6 Apr 2025
## LINKS
[1] /Auch-Brigitte-Bardot-will-Russin-werden/!5076035
[2] /Dritte-Staffel-The-White-Lotus/!6066931
[3] /Madonna-bei-Grammy-Awards/!5911179
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Yaeba
## AUTOREN
Donata Künßberg
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Schönheitschirurgie
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