| # taz.de -- TV-Serie „Government Cheese“: Käse aus Beton | |
| > „Government Cheese“ erzählt von einem Familienvater zwischen göttlicher | |
| > Berufung und kapitalistischer Fallhöhe – surreal, poetisch, politisch. | |
| Bild: Hat es nicht leicht, seit er aus dem Gefängnis entlassen wurde: Hampton … | |
| Aktuelle Streaminghighlights scheinen häufig [1][Gegenwartsdiagnosen] zu | |
| beinhalten. Die gefeierte dritte Staffel von [2][„The White Lotus“] | |
| porträtiert perversen Superreichtum, semifuturistische Dystopien wie | |
| „Severance“ prognostizieren die nächsten Schritte des entmenschlichten | |
| Selbstverbesserungsdogmas im [3][digitalen Kapitalismus]. | |
| Dass surreale Verfälschung Wahrheiten über das Sein ebenso offenlegen kann, | |
| ja ein bisschen Magie Wahrheitskerne manchmal besser herauszuarbeiten | |
| vermag als die Spiegelung dessen, was uns sowieso umgibt, scheint mitunter | |
| in den Hintergrund zu rücken. | |
| Apple TV+ legt mit „Government Cheese“ nun eine surreale Parabel vor und | |
| springt dafür ins Amerika der 1960er Jahre. Hampton Chambers (David | |
| Oyelowo, der für dieses Projekt als ausführender Produzent mit dem | |
| oscarnominierten Charles D. King zusammenarbeitete) wird aus dem Gefängnis | |
| entlassen. | |
| Er muss feststellen, dass seine Frau Astoria (Simone Missick) und die | |
| beiden Söhne Einstein (Evan Ellison) und Harrison (Jahi Di’Allo Winston) | |
| keineswegs drei Jahre lang ihr Leben pausiert haben, dass seine pubertären | |
| Söhne andere Wege einschlagen als von ihm antizipiert und dass Astoria ihn | |
| freundlich, aber unnachgiebig in die Garage verweist und abends nicht mehr | |
| mit ihm, sondern mit einem anderen Mann Tanzlokale besucht. | |
| Die Gefängnisjahre haben indes für Hampton zwei Konsequenzen: Er schuldet | |
| einer brutalen Gang von frankokanadischen Brüdern Geld. Und er hat zu Gott | |
| gefunden. Um seine Schulden zu begleichen und wieder zu Wohlstand zu | |
| gelangen, erfindet Hampton den „Bit Magician“, einen Bohrer, der niemals | |
| stumpf wird. | |
| ## Aus nichts wird etwas | |
| Diese unübersehbare Symbolik ist nur eine von unzähligen der Serie, eine | |
| weitere ist der titelgebende government cheese: Astoria erzählt ihren | |
| Söhnen, Hamptons Mutter habe aus nichts als Weißbrot und government cheese | |
| – hochverarbeitetem Käse, den die US-Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg | |
| bis in die 1980er hinein an die Bevölkerung verteilte – köstliche | |
| Sandwiches zaubern können. | |
| Diese Eigenschaft hat Hampton geerbt: Aus nichts wird etwas, aus Wasser | |
| wird Wein, seine leeren Hände zaubern den „Bit Magician“. Kann dieser Wein | |
| Bestand haben? | |
| Die Geschichte von Hampton Chambers ist eine Parabel des Zu-viel-Wollens, | |
| erzählt mit surrealistischen Einschüben: Hampton liest im Gefängnis das | |
| erste Mal im Buch Jona und wird nach einem Einbruch in einer Synagoge von | |
| einem Wal verschluckt. Nicht metaphorisch oder im Traum, sondern – an | |
| Magischen Realismus erinnernd – tatsächlich. | |
| Er liegt in seinem Bauch, ringt mit Gott und sich selbst und wird dann | |
| ausgespuckt, als er aufrichtig Umkehr gelobt. Dennoch darf „Government | |
| Cheese“ nicht als religiöse Serie mit Sendungsbewusstsein missverstanden | |
| werden. Sie verfolgt keinerlei religiöse Mission, sondern flicht die | |
| Religiosität der Schwarzen Bevölkerung der 1960er auf streitbare, | |
| leidenschaftliche Weise ein, nicht brav und angepasst. | |
| „Government Cheese“ schöpft dabei aus dem Vollen: Die Farbpalette der | |
| Retroästhetik erinnert an Wes Anderson, das Populär-Surrealistische an den | |
| kürzlich verstorbenen David Lynch, die absurden Elemente an die | |
| Coen-Brüder. | |
| Ob Hampton schlussendlich nach Ninive geht, soll hier nicht verraten | |
| werden. Eines aber ist unmissverständlich: Alles hat so viel Bedeutung, wie | |
| wir ihm zuschreiben – und so viel Magie noch dazu. | |
| 16 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie-Sofia Trautmann | |
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