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# taz.de -- Neues Album von Anika: Hinterm Bühnenrand lauert ein Abgrund
> Deutsch-Britin Anika veröffentlicht mit dem Album „Abyss“ knisternden
> dystopischen Pop. Sound, Texte und Haltung spiegeln die prekäre Gegenwart
> wider.
Bild: Wollen wir wirklich wieder Weimarer Republik? Anika mit Gitarre
So viel ist klar: Zu lange sollte man nicht in den Abgrund blicken. Dass
Anika an einer Idee oder einem Fixpunkt zu lange hängen bleibt, ist
unwahrscheinlich, angesichts ihres rasanten künstlerischen Wandels der
letzten Jahre.
Auch auf „Abyss“, dem neuen, dritten Studioalbum, schlägt die 38-jährige
Deutsch-Britin wieder einen Haken und präsentiert sich diesmal kantiger und
körperlicher. Für die Single „Hearsay“ setzt Anika an der Gitarre auf
sägende Effekte und stolpernde Disruption, Verfremdungseffekte, die dem
Grunge entlehnt sind und mehrmals aufblitzen.
Als verbindendes Scharnier zum bisherigen Werk dienen Anika die
fortgesetzte Gespensterhaftigkeit, Lust zu Eingängigkeit, aber auch subtil
wirkende Ohrwürmer wie „One Way Ticket“ und „Last Song“.
## Jedes Werk ein Puzzle
Nach den mystisch umwehten Anfangszeiten und einem mit dem britischen
Postrock-Trio Beak aufgenommenen Debütalbum (2010) folgten Features, etwa
für Tricky und die in Mexiko gestartete Band Exploded View. [1][Dann machte
Anika mit dem introvertierten, klangfarblich bunten Puzzlespiel-Album
„Change“ von sich reden, erschienen 2021].
Dessen aktivistische Erweiterung wurde als Auftragswerk für das Berliner
Festival „Pop-Kultur“ als „Lost Voices“ (2023) konzipiert. Außerdem
veröffentlichte sie damals ein ätherisch-ambientartiges Live-Album „Eat
Liquid“. Daneben hat die britische Künstlerin weitere Beiträge für andere
veröffentlicht.
Angesichts dieser hohen Schlagzahl verwundert es, als Anika im Interview
mit der taz davon spricht, dass sie lange nicht wusste, ob überhaupt noch
ein weiteres Soloalbum entstehen würde. „Abyss“, erzählt nun auch vom
persönlichen und politischen Leben und Wirken der Künstlerin am Rande des
Abgrunds.
## Demokratie im Niedergang
Ihre Songtexte handeln von der Klimakrise, Demokratien im Niedergang und
dem rasanten Aufstieg des Faschismus. Immer dazwischen: Subkulturen und
vermeintliche Außenseiter, die ihre spärlichen Freiräume verteidigen
müssen. „Abyss“ ist in Berlin entstanden, wo Anika lange Zeit auch als
Journalistin tätig war.
Auf die Zeile „This city didn’t learn the lessons of its past“
angesprochen, antwortet sie: Die Stadt würde „gerade an Faschisten
verkauft“. Und weiter: „Berlin war in den 1920er- und 30er-Jahren ein sehr
queerer Ort mit einer großen Modeszene. Eine Menge Leute in Berlin denken
heute, dass sie hier sicher sind. Aber der Wandel von der liberalen
Metropole zu Hitlers Reichshauptstadt vollzog sich damals sehr schnell.“
## Immer neue Bedeutungsebenen
Trotz der mal mehr, mal weniger offenen Anspielungen auf gesellschaftliche
Zustände ist „Abyss“ keineswegs ein Agitprop-Album, das sich lediglich in
Haltung und Sloganeering gefällt. Zu finden sind Songs, [2][die auch nach
mehrmaligem Hören neue Bedeutungsebenen freigeben, zunächst klaren Aussagen
spielerische Mehrdeutigkeiten entlocken und Absurdität sowie Komik in
harten Realitäten finden.]
Musikalisch schöpft Anika aus einem rauen und rohen Sound, der zuweilen ins
Lärmende kippt und mit nur minimal verwendeten Overdubs auskommt – weniger
durchgestylt als „Change“, aber mit dem sich durch alle Veröffentlichungen
ziehenden Hang zu eingängigen Melodien und doch komplexen Gesangslinien.
Während „Change“ die endlose Introspektion und Abgeschiedenheit während d…
Corona-Lockdowns auf dem Land reflektiert, hört man „Abyss“ das Urbane an.
Es musste schnell gehen, um Dringlichkeit in Stil, Inhalt und Form
einzufangen. Anika reiste im März 2024 mit einer Handvoll Demos nach
Mexiko-Stadt zum alten Exploded-View-Bandkollegen und
Langzeitkollaborationspartner Martin Thulin, brachte die Songfragmente in
zehn Tagen entscheidend voran – nur unterbrochen von der Teilnahme am
Women’s March am 8. März.
Wenige Wochen später ging es in die Hansa Studios, wo die Songs des Albums
unter Live-Bedingungen neben Thulin, mit Drummer Andrea Belfi, Bassist
Tomas Nochteff und Lawrence Goodwin an der Gitarre von den
Toningenieurinnen Nanni Johansson und Frida Claeson Johansson aufgenommen
wurden.
Reibung, Hektik und Vorläufigkeit im Entstehungsprozess vermengen sich zu
neuer Härte. Die Zeiten der Verhandlung und des Herantastens sind vorbei,
stattdessen erscheint Anika am Bühnenrand, schreiend, raunend und der Welt
ihre mantrahaften Punchlines entgegenschleudernd – mal mit ohnmächtiger
Wut, mal mit fast komödiantischer Absurdität, die aber immer mehr Energie
gibt, als sie zieht.
„Ich möchte loslassen und mich der Musik hingeben, ohne Angst, jemanden zu
beleidigen. Ich fühle mich zu Grunge hingezogen, weil er von der hässlichen
Wahrheit handelt und oft ziemlich chaotisch und ziemlich ehrlich war.“
Und so ist „Abyss“ ein Album voller kathartischer Zacken geworden, das
seine ganze Magie wahrscheinlich erst live entfalten wird.
10 Apr 2025
## LINKS
[1] /!5785997&s=Anika&SuchRahmen=Print/
[2] /Album-Change-von-Anika/!5789282
## AUTOREN
Julian Zwingel
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von Folk bis Elektronik. Zudem betrauert es den Niedergang des liberalen
Englands.
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