| # taz.de -- Berliner Kantine: Upcycling à la carte | |
| > Was andere wegwerfen, kommt hier auf den Teller: Das Projekt Roots | |
| > Radicals zeigt, wie aus schrumpeligem Gemüse Gourmetgerichte werden. | |
| Bild: Kartoffelschalen? Perfekt geeignet für Chips | |
| Was die Roots Radicals in ihrer Küche zaubern, ist eine kleine Sensation. | |
| Nicht nur könnte das, was für 10,50 Euro auf den Tellern der Berliner | |
| Kantine liegt, einem – gewiss, in kleineren Portionen und mit ein bisschen | |
| mehr Schnickschnack – auch [1][in einem Sternerestaurant serviert werden]. | |
| Zudem und vor allem sind die verwendeten Zutaten besonders. Was hier zum | |
| aufregenden Reisgericht oder zu geschmacksintensiven Minestrone-Suppen, | |
| Soßen oder Pestos verarbeitet wird, entstammt ausgemustertem Bioobst und | |
| -gemüse. Krumme Karotten, schrumpelige Kartoffeln, angestoßene Auberginen: | |
| oft landet dergleichen im Müll. | |
| Gemäß [2][der Zero-Waste-Philosophie] versuchen Roots Radicals, | |
| Lebensmittel möglichst vollständig zu verwerten und so gut wie keine | |
| Abfälle zu produzieren. Ein Konzept nicht nur für Restaurants und Kantinen | |
| – das Berliner Projekt will zeigen, wie es auch zu Hause funktioniert. | |
| Der Kopf hinter dem Team ist Monica Kisic Aguirre. Die Frau mit den | |
| kurzen, durcheinandergewirbelten Haaren und dem schwarzen Hoodie wurde in | |
| Lima geboren und hat sich schon immer für Essen interessiert. Bei ihrer | |
| Mutter und Großmutter schaute sie in die Kochtöpfe, und nach Stationen in | |
| etlichen Küchen, Städten und Ländern landete die Peruanerin schließlich in | |
| Berlin und begann 2018 zusammen mit ihrem Bruder das Konzept von Roots | |
| Radicals zu entwickeln. Vier Jahre später eröffnete dann die Kantine. | |
| „Ich wollte mein Wissen über die nachhaltige Herstellung und Konservierung | |
| von Lebensmitteln teilen, mit anderen eine Community gründen und generell | |
| zu einem anderen Umgang mit Lebensmitteln beitragen“, erinnert sie sich an | |
| die Anfänge des Projekts. Schließlich würden in deutschen Haushalten | |
| zwischen 76 und 82 Kilo Lebensmittel pro Person und Jahr weggeworfen, wovon | |
| 40 Prozent auf Obst, Gemüse, Brot und Käse entfallen. | |
| ## Statt in die Tonne zum Gourmetprodukt | |
| Einige Abfälle entstehen aber auch in ihrer Küche. Die landen allerdings | |
| auf dem Kompost draußen im Garten, wo sie der Soil Social Club – ein | |
| weiteres Community-Projekt, das sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat – | |
| in humusreiche, terra preta genannte, besonders fruchtbare Erde wandelt und | |
| damit die Kräuterbeete anreichert. Eine perfekte Kreislaufwirtschaft, die | |
| sich gut eingespielt hat. | |
| Um die Zero-Waste-Philosophie konsequent durchzudeklinieren, haben die | |
| Köchinnen und Köche um Monica Kisic Aguirre und die Spanierin Cayetana | |
| Melero auch eine Reihe von Produkten entwickelt, die in der Kantine, auf | |
| Märkten oder im Internetshop verkauft werden. Mithilfe einer | |
| Crowdfundingkampagne sollen sie jetzt auch Eingang in große Supermärkte | |
| finden. | |
| Scharfe-Harissa-Soßen, eine Paste aus geröstetem Knoblauch, süß-sauer | |
| eingelegte Pflaumen, geräuchertes Ananas-Chutney, Zero-Waste-Kimchi oder | |
| Marmelade aus grünen Tomaten: Was sonst in der Tonne gelandet wäre, wird so | |
| haltbar gemacht und zum originellen Gourmetprodukt upgecycelt. „Der Renner | |
| sind fermentierte Salzzitronen, die Salaten oder Pasta-Gerichten ein | |
| besonders apartes Aroma verleihen“, sagt Kisic Aguirre. „Davon können wir | |
| gerade gar nicht genug herstellen.“ | |
| Und wie lassen sich nun zu Hause Essensreste verwerten? Roots Radicals | |
| bieten dazu Workshops an, und auch auf Flyern in der Kantine finden sich | |
| Tipps. Sie regen beispielsweise dazu an, aus Radieschenblättern ein | |
| schmackhaftes Zitronenpesto zu machen. Dazu eine Handvoll Blätter mit einer | |
| Knoblauchzehe, Pinienkernen, Olivenöl, Salz, Zitronensaft und abgeriebener | |
| Zitronenschale mixen. | |
| ## Upcycling-Pasta und ein zufriedenes Lächeln | |
| Karottengrün, Koriander- und Petersilienstengel lassen sich hingegen zu | |
| einer grünen Chimichurri-Soße verarbeiten, indem man sie fein hackt und mit | |
| Knoblauch, kleingeschnittener Zwiebel, Olivenöl, Essig, Chiliflocken und | |
| etwas Wasser mischt. Zugegeben, bis man aus Blumenkohlblättern ein | |
| schmackhaftes Kimchi oder aus Zitronenschale süße Candys hinbekommt, bedarf | |
| es schon einiger Übung. Einfacher ist es, Kartoffelschalen – hier lohnt | |
| sich Bioqualität! – [3][zu knusprigen Chips zu frittieren]. Oder aus | |
| gesammelten Gemüseresten eine Brühe zu kochen, die dann als Grundlage für | |
| Suppen, Risottos oder herzhafte Eintöpfe dient. | |
| Denjenigen, die gar nicht wissen, wie sie anfangen sollen, empfehlen Kisic | |
| Aguirre und ihr Team, im Kühlschrank zwei Behälter zu platzieren. In ihnen | |
| soll man jeweils süße und herzhafte Reste sammeln, um dann nach einer Woche | |
| zu überlegen, was man daraus machen kann. Haben sich zum Beispiel Paprika-, | |
| Tomaten- oder Zucchinireste angesammelt, können sie kleingeschnitten auf | |
| Toastbrotscheiben verteilt und mit Käse zur schnellen Minipizza gebacken | |
| werden. | |
| Geduldigen Köch:innen demonstrierte Roots Radicals [4][auf der Grünen | |
| Woche] im vergangenen Januar, wie man aus übrig gebliebenen Lebensmitteln | |
| einen ganz persönlichen Essig herstellt. Dazu durften sich Interessierte | |
| aus einem riesigen Sortiment von getrockneten Zitronen- und | |
| Mandarinenschalen, getrockneten Erdbeerblättchen, Chili, Kräutern und | |
| benutzten Teeblättern bedienen, die zusammen mit einem gewöhnlichen Essig | |
| in eine Flasche gefüllt werden. Verwenden kann man das fertige Produkt | |
| allerdings erst, wenn der Essig mehrere Wochen durchgezogen ist. | |
| Schneller ging es in dem Workshop, der zeigte, wie man aus altem Brot | |
| schmackhafte Pasta macht. Dazu werden die Brotreste fein gemahlen, je 100 | |
| Gramm mit der gleichen Menge Mehl vermischt, und mit einem Ei und etwas | |
| Wasser zu einem glatten Teig verknetet. Nach 30 Minuten wird die Masse | |
| ausgerollt, zu einer Rolle geformt und in feine Tagliatelle geschnitten, | |
| die dann drei Minuten in Salzwasser garen müssen. Zusammen mit einer | |
| leckeren Tomatensoße zauberte diese Upcycling-Pasta ein zufriedenes Lächeln | |
| in viele Gesichter. | |
| 6 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Wiebrecht | |
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