| # taz.de -- Kochkurs im Knast: Pasta hinter Gittern | |
| > In einem Frauengefängnis in Bologna lernen die Insassinnen, wie man | |
| > Nudeln selber herstellt. Aber eigentlich geht es dabei um etwas ganz | |
| > anderes. | |
| Bild: Für die inhaftierten Frauen gibt es nur wenig Ablenkung. Umso willkommen… | |
| Bologna taz | Drei Frauen mit hochgekrempelten Ärmeln stehen um ein | |
| hölzernes Nudelbrett und formen goldgelbe Farfalle, dabei unterhalten sie | |
| sich angeregt über die passende Soße. „Eine Bolognese mit Erbsen wäre | |
| perfekt“, schwärmt eine von ihnen. Eine idyllische Szene. Doch hier sind | |
| die Fenster vergittert und jedes Kochutensil wurde zuvor von der Polizei | |
| kontrolliert. | |
| Die Farfalle entstehen in der Justizvollzugsanstalt „Rocco D’Amato“ bei | |
| Bologna. 695 Männer und 86 Frauen sitzen hier ein. Bei eigentlich 457 | |
| Plätzen. Die Haftanstalt ist zu 170 Prozent überbelegt – [1][so wie die | |
| meisten italienischen Gefängnisse.] Für die schlechten Haftbedingungen hat | |
| der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien bereits 2013 | |
| verurteilt. Überfüllung ist ein Stressfaktor. | |
| Umso wichtiger ist ein wenig Ablenkung für die Insassinnen. Wie eben durch | |
| einen Pastakochkurs. Dabei kümmert sich die NGO Unione Donne in Italia | |
| (UDI) um die nötigen Formulare und Erlaubnisse. Sie wurde 1944 im | |
| Untergrund von antifaschistischen Frauen ins Leben gerufen. Die | |
| ehrenamtlichen Lehrmeisterinnen wiederum gehören zum Netzwerk der Cesarine, | |
| die normalerweise bei sich daheim [2][traditionelle Gerichte] für und mit | |
| Tourist:innen kochen. | |
| ## Die Zeit sinnvoll einsetzen | |
| Alba Piolanti von der Organisation hat einen ganzen Stapel ausgedruckter | |
| E-Mail-Verläufe mit ans Gefängnistor gebracht. Mit einem Textmarker hat sie | |
| die Stellen angestrichen, in denen die genehmigten Kochutensilien | |
| aufgelistet sind. Trotzdem kommt es immer wieder zu Diskussionen an den | |
| zwei verschiedenen Pforten, die bis zur Frauenabteilung zu passieren sind. | |
| Etwa als am Ende des Kurses ein Teigschaber weniger vorhanden ist als im | |
| E-Mail-Verlauf vermerkt, oder als es darum geht, den Kursteilnehmerinnen | |
| ihre Schürzen als Abschiedsgeschenk dazulassen. | |
| Die vier Termine des Pastakurses finden in einem Aufenthaltsraum statt, der | |
| mit seinen blauen, an der Wand befestigten Plastikstühlen mehr wie das | |
| Wartezimmer einer Arztpraxis aussieht. Susanna Bastia, Alessandra Clemente | |
| und Paola Tassi, die heute kochen, haben mit Alessia Morabito noch eine | |
| Profi-Kollegin mitgebracht. Gemeinsam schieben sie die Tische zu einer | |
| U-Form zusammen, verteilen die hölzernen Nudelbretter darauf und stellen | |
| für jede Teilnehmerin ein Ei und 100 Gramm Mehl in einem Plastikbecher | |
| bereit. | |
| Es ist ein großes Hallo, als die zwölf Teilnehmerinnen den Raum betreten. | |
| Einige haben bereits im Vorjahr an diesem Kurs teilgenommen. Lautstark | |
| begrüßen sie die Köchinnen, umarmen sie. Einen Augenblick später haben sich | |
| die Frauen schon die beigen Schürzen mit dem Logo der Heimkochinnenbewegung | |
| Cesarine umgebunden, die Ärmel hochgekrempelt und sich hinter die | |
| Arbeitstische gestellt. Als Cesarina Susanna die Schritte für die | |
| Zubereitung des Nudelteigs erklärt, liegt ein aufmerksames Schweigen in der | |
| Luft, unterbrochen nur vom Aufbrechen der Eierschalen auf dem Holz. | |
| „Ich mache mit, um meine Zeit, aber auch meinen Kopf sinnvoll einzusetzen“, | |
| sagt eine Frau mit rotgefärbten Locken. Eine andere mit tiefschwarzem Haar | |
| ist besonders flink beim Kneten des Teigs. „Ich mache daheim gerne Brot“, | |
| sagt sie. Eine dritte erzählt, dass sie auch zu Hause Pasta macht. Wenn die | |
| Frauen sprechen, fällt das Wort „Gefängnis“ nicht. Sie sprechen lieber von | |
| der Welt da draußen, von ihren Gewohnheiten vor der Haft, von ihren | |
| Lieblingsspeisen. Eine junge Frau mit hellblauen Augen erzählt, dass sie | |
| ihre Tagliatelle immer bei einem hochpreisigen Feinkostladen in der | |
| Bologneser Altstadt gekauft hat. | |
| Man fragt sich, wie sie hier gelandet sind. Die Frage auszusprechen ist | |
| jedoch tabu, das gehört zu den Regeln der UDI, um Spannungen zu vermeiden | |
| und die Häftlinge nicht auf eine einzelne Tat zu reduzieren. Cesarina Paola | |
| kontrolliert die Arbeit der Frauen, als wäre sie bei einem Kochkurs daheim | |
| in ihrer Küche. Und die Insassinnen zucken wie getadelte Schülerinnen | |
| zusammen, wenn die Cesarina ihre Tagliatelle für zu breit befindet. Der | |
| Rand der Bandnudeln ist etwas ausgefranst, weil die Insassinnen sie mit | |
| Teigschabern geschnitten haben. Messer sind hier nicht erlaubt. | |
| Beim darauf folgenden Kurstermin ist keine Einweisung mehr nötig. | |
| Selbstständig verkneten die Frauen Mehl und Ei zu einem glatten, gelben | |
| Teig. „Diese Kurse sind sehr wertvoll“, sagt Arianna Franzoso, | |
| Fachkrankenpflegekraft für Psychiatrie in der Frauenabteilung. „Es kommen | |
| Menschen von außen rein, die sich Zeit nehmen und mit den Insassinnen in | |
| Kontakt treten. Das bringt ein wenig Normalität in den Gefängnisalltag. | |
| Noch dazu ist die Arbeit mit den Händen erfüllend.“ Die Begeisterung der | |
| Teilnehmerinnen gibt ihr recht. Alba Piolanti von der UDI fordert deshalb | |
| [3][mehr Aktivitäten] für die Frauen in der Bologneser Haftanstalt – ob nun | |
| in Form von Schreibwerkstätten und Filmvorführungen oder durch | |
| berufsbildende Kurse. Die UDI würde zudem gerne einen langfristigen | |
| Pastakurs etablieren, der den Frauen eine berufliche Perspektive für die | |
| Zeit nach der Haft gibt. Ob diese Idee die bürokratischen Hürden überwinden | |
| wird, ist ungewiss. | |
| Dieses Mal stehen Tortellini auf dem Kursplan – die winzige gefüllte | |
| Pastaform ist die Königsdisziplin der Bologneser Küche. Als Cesarina | |
| Susanna vormacht, wie man die vier mal vier Zentimeter kleinen Teigquadrate | |
| mit viel Fingerspitzengefühl um die Fleischfüllung wickelt, steht einigen | |
| Frauen die Entmutigung ins Gesicht geschrieben. Dann beugen sie sich | |
| trotzdem über die Arbeitsfläche und formen mit viel Mühe kleine Tortellini. | |
| Die Cesarine und Köchin Alessia gehen von Tisch zu Tisch und geben | |
| Ratschläge. | |
| Nach etwa zwei Stunden werden die ersten Pastamacherinnen müde und lassen | |
| sich auf die Plastikstühle an den Wänden fallen. Zuletzt stehen nur noch | |
| fünf Frauen an den Tischen und machen Farfalle aus den übrig gebliebenen | |
| Teigstücken. Ihre Hände arbeiten wie von allein, sie schweigen, ihr Blick | |
| ist ruhig und konzentriert. Sie sind tief in die meditativen Bewegungen | |
| versunken. | |
| ## Auf dass sie sich nicht wiedersehen! | |
| Das Ergebnis sind am Ende etwa ein Dutzend weißer Papptabletts voller | |
| Tortellini und einiger ungefüllter sogenannter Vuotini für die | |
| Vegetarierinnen. Sie stehen nun unter den Neonröhren des Aufenthaltsraums. | |
| Um sie für das gemeinsame Abschlussessen mit Sahnesoße zuzubereiten, gehen | |
| die Cesarine und Köchin Alessia – ohne Insassinnen – in die Gefängnisküc… | |
| nebenan. Die Erlaubnis, den Kurs selbst in der Küche auszurichten, wurde | |
| ihnen verwehrt. Unverständlich finden die Cesarine das. Eine | |
| Interviewanfrage an die Gefängnisleitung zu derartigen Vorgaben blieb | |
| unbeantwortet. | |
| Cesarina Susanna trägt an diesem letzten Kurstag gelbe Tortellini-Ohrringe, | |
| die sich von ihrem dunklen Haar abheben. „Wir glauben, dass wir etwas für | |
| diese Frauen tun“, sagt sie. „Aber in Wirklichkeit tun sie uns einen | |
| Gefallen. Ich ziehe viel Gewinn aus dieser Erfahrung.“ | |
| Nach dem Essen vergibt sie die Teilnahmezertifikate. Sie verliest jeden | |
| einzelnen Namen laut. Was eigentlich nur ein Stück bedrucktes Papier ist, | |
| wird mit Klatschen und Lächeln entgegengenommen. Bei der Verabschiedung | |
| sind die Umarmungen fest und die Dankesworte aufrichtig. Von den | |
| Insassinnen an die Lehrmeisterinnen, aber auch andersherum. „A non | |
| rivederci“, „Auf dass wir uns nicht wiedersehen“, sagen sie zueinander. | |
| 14 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Judith Eisinger | |
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