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# taz.de -- Illegales Autorennen in Ludwigsburg: Männer mit Mercedes im Kopf
> Ein Raser hat am Donnerstag zwei unbeteiligte Frauen getötet. Mutmaßlich
> war es ein illegales Rennen. Im Netz zeigen Videos die PS-getriebene
> Männlichkeit.
Bild: Schwarzer Lack, auffällige Felgen: der beim Unfall zerstörte Mercedes S…
Berlin taz | Das Video dauert nur 18 Sekunden. Es zeigt ein auf Hochglanz
gebrachtes schwarzes Mercedes-S-Coupé von allen Seiten in einer Werkstatt
stehend. „Mercedes kann nicht mit anderen Autos verglichen werden“, sagt
ein Mann im Off auf Türkisch. Einen Mercedes könne auch nicht jeder fahren.
„Der Mann, der in einen Mercedes einsteigt, muss auf sich selbst
aufpassen“, hört man weiter. Er müsse die Atmosphäre dieses Autos
widerspiegeln – beim Sprechen, beim Sitzen, beim Stehen. Dann sieht man für
wenige Sekunden die schwarze Limousine in nächtlicher Fahrt, gefilmt aus
einem daneben fahrenden Auto. Der Fahrer lächelt.
Allein schon dieser kurze Schnipsel des Videos ist ein Mahnmal deutschen
Autowahns. Er zeigt, wie weit die von der Autoindustrie allgemein und hier
von Mercedes im Speziellen verbreitete Ideologie der Überlegenheit durch
Technik sich in die Köpfe gefressen hat. Doch das ganze Video geht weit
über diesen Aspekt hinaus.
Denn im Hintergrund taucht für den Bruchteil einer Sekunde ein weißes X an
einer Fassade auf. Es ist die Werkshalle der Gleason-Pfauter
Maschinenfabrik an der Schwieberdinger Straße in Ludwigsburg. Exakt die
Straße, auf der [1][am Donnerstag zwei junge Frauen offenbar in Folge eines
illegalen Autorennens von zwei Mercedes-Fahrern ums Leben gekommen sind].
Nur 350 Meter weiter stadtauswärts.
Das Video wurde Anfang Februar auf Instagram und Facebook gepostet – von
einem Betreiber einer Kfz-Werkstatt in Ludwigsburg. Laut Medienberichten
von RTL, Bild und anderen handelt es sich dabei um den 32-Jährigen, der am
Donnerstag den Unfall verursacht hat.
Laut Polizei hatten sich auf der Schwieberdinger Straße zwei Fahrzeuge
[2][mutmaßlich ein Rennen mit überhöhter Geschwindigkeit] geliefert. Einer
der beiden rammte einen aus einer Tankstelle kommenden Ford Focus. Darin
saßen zwei junge Frauen, die mit den Rasern nichts zu tun hatten. Sie
starben noch am Unfallort.
Die beiden als Rennautos missbrauchten Pkws waren [3][laut Polizei
Mercedes-S-Klassen]. Fotos vom Unfallort zeigen einen völlig zerstörten
schwarzen Wagen. Er hat die gleichen auffälligen Felgen wie das Auto im
eingangs erwähnten Video – mit sechs sternförmig zum Rand reichenden
rechteckigen Aussparungen. Ähnlich sieht das zweite am mutmaßlichen Rennen
beteiligte Fahrzeug aus, das verlassen auf einem Parkplatz nur wenige Meter
vom Unfallort entfernt gefunden wurde: ein schwarzes Mercedes-Coupé, nur
die Felgen sind anders.
Laut autozugewandten Medien wie der Bild handelt es sich um spezielle
Varianten der Mercedes-Tochter AMG, die sich um die stark motorisierten
Modelle des Konzerns kümmert. Ein Fotovergleich der taz bestätigt das.
## Fahrprogramm „Race“
Das neuste Modell des Mercedes AMG S 63 ist [4][laut Eigenwerbung] mit
einem „charakterstarken“ Motor ausgestattet samt „auf
Motorsport-Technologie basierendem Hybridsystem“. „Über Tasten lassen sich
die verschiedenen Fahrprogramme wählen“, heißt es weiter. „Sie haben die
Zügel in der Hand. Oder geben sie eben einfach frei.“
Diese Fahrprogramme in AMG S63, die „die Charakteristik der Modelle
umfangreich beeinflussen“, tragen Namen wie „Comfort“, „Sport“ oder
„Sport+“. [5][Einige Modelle verfügen über ein zusätzliches mit dem
vielsagenden Namen „Race“]. Das sei „für hochdynamische Fahrten auf
abgesperrten Rennstrecken. Hier sind alle Parameter auf maximale
Performance getrimmt“, heißt es in der AMG-Eigenbeschreibung. Hier
„beschleunigt das Fahrzeug mit optimaler Traktion. Der Sprint von null auf
100 km/h absolvieren Coupé und Cabriolet dann in 3,5 Sekunden.“ Das ist ein
Wert, den ansonsten nur Sportwagen à la Porsche, Ferrari oder Lamborghini
erreichen. Der durchschnittliche Kleinwagen liegt eher im Bereich von 10
bis 20 Sekunden.
Die Schwieberdinger Straße in Ludwigsburg ist nicht abgesperrt. Aber als
Rennstrecke wird sie offenbar regelmäßig genutzt – das wird von offenbar
Ortskundigen in einigen Onlineforen erwähnt. Die vierspurige Straße führt
über fast zwei Kilometer schnurgerade aus der Stadt hinaus Richtung
Autobahn. [6][Sie wirkt wie eine Einladung für das Fahrprogramm „Race“].
Der 32-jährige Unfallraser sitzt sei dem Wochenende in Untersuchungshaft,
[7][ihm wird verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge in zwei Fällen
vorgeworfen]. Die Polizei hat [8][nach Angaben vom Montag] mittlerweile
eine zweite tatverdächtige Person ermittelt, die im zweiten Mercedes am
Steuer gesessen haben soll. Festgenommen wurde sie nicht.
## Das Geschlechterproblem
Statt der PS heben die üblichen Rechten auf einschlägigen
Social-Media-Kanälen vor allem den Migrationshintergrund des Fahrers
hervor. Dabei spricht sein Werdegang für bestens gelungene Integration.
Eine temporeiche Karriere vom Autoschrauber beim Daimler, was zur
regionalen Identifikation im Schwabenland rund um Ludwigsburg gehört, eine
Entwicklung hin zum Gaspedalero, der den deutschesten aller Werte
verinnerlicht hat: Männlichkeit ohne Tempolimit.
Tatsächlich ist Raserei ein Geschlechterproblem. Das hat gerade erst der
Ökonom und Männerberater Boris von Heesen [9][in einem Spiegel-Interview]
dargelegt. „Diesen Männern geht es um Status, um Leistung und um Autarkie.
Und die wird durch nichts besser erzielt als durch die Metallrüstung, mit
der sie sich umgeben. Sie soll glänzen und ihre vermeintliche
Vormachtstellung zeigen. Das Auto ist ein Werkzeug, um das Patriarchat am
Leben zu halten“, sagt von Heesen. Die Zahlen geben ihm recht. [10][Laut
Statistischen Bundesamt] wurden im Jahr 2023 fast 70 Prozent aller Unfälle
durch Männer verursacht. Bei Straftaten im Straßenverkehr ist das
Verhältnis laut von Heesen sogar noch ausgeprägter – 84 Prozent Männer!
Auch in der türkischen Community von Ludwigsburg hat der Unfall Entsetzen
ausgelöst. Die Menschen trauern um die beiden verstorbenen Frauen. Die
örtliche Ditib-Moschee postete auf Facebook eine Traueranzeige für „unsere
lieben Gemeindemitglieder“. Darunter finden sich hunderte
Beileidsbekundungen. Einige fordern auch eine harte Strafe für den Fahrer.
Einer schreibt, dass der 32-Jährige, statt selber Vorbild zu sein, sich wie
ein Kind verhalten habe. Das mache ihn sprachlos.
Sprachlos macht auch noch ein weiteres Video auf dem Instagram-Kanal des
Ludwigsburger Autopolierers. Es wurde auf einer dreispurigen Autobahn
offenbar vom Fahrer eines schwarzen Mercedes mit dem Handy gefilmt – was an
sich schon verboten ist. Zunächst ist rechts neben ihm auf der mittleren
Spur ein offenes Cabrio zu sehen. Dessen Fahrer schaut kurz rüber,
beschleunigt dann, zieht im zäh fließenden Verkehr vor den filmenden Fahrer
auf die linke Spur, nur um sich gleich danach auf die mittlere Bahn vor
einen schwarzen Mercedes zu setzen. Zickzack auf der rappelvollen Autobahn.
Der überholte Mercedes-Fahrer lässt sich zurückfallen und grinst nun rüber
in die Handykamera. Man kennt sich offenbar.
Der filmende Fahrer grüßt zurück – mit ausgestrecktem Mittelfinger.
25 Mar 2025
## LINKS
[1] /Illegales-Autorennen-in-Ludwigsburg/!6077206
[2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110974/5995437
[3] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110974/5996909
[4] https://www.mercedes-amg.com/de/s-klasse-limousine
[5] https://media.mercedes-benz.be/de/das-neue-mercedes-amg-s-63-4matic-coupe-u…
[6] https://www.google.com/maps/@48.8903744,9.1733037,3a,75y,259.93h,78.61t/dat…
[7] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110974/5996255
[8] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110974/5997917
[9] https://www.spiegel.de/auto/maennerproblem-auf-der-strasse-das-auto-ist-ein…
[10] https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/46241/table/462…
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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