# taz.de -- Regierungsbildung: Die kleine Groko hat einen Vertrauensvorschuss v… | |
> Bei aller Kritik, bei allen Zumutungen für Linke: Es ist angesichts der | |
> vielen Krisen viel wert, überhaupt eine funktionsfähige Regierung zu | |
> haben. | |
Bild: Koalitionsverhandlungen: Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) so… | |
Putin führt im Osten weiterhin Krieg, im Westen demoliert Trump die | |
Demokratie, und in Deutschland wird’s bald Merz: Nein, es ist derzeit nicht | |
einfach, optimistisch nach vorn zu schauen. Aber es ist trotz allem | |
möglich, auch Hoffnungsschimmerchen zu sehen und Chancen zu nutzen. | |
Resigniertes Hadern hilft im Kampf um die Demokratie nur ihren Feinden. | |
Denn die bleiben garantiert aktiv. | |
Deshalb zunächst eine erfreuliche Erkenntnis: Union und SPD, also die | |
einzigen Parteien im Bundestag, die als Zweierbündnis eine Regierung ohne | |
AfD bilden können, scheinen den Ernst der Lage realisiert zu haben. | |
Jedenfalls haben sie bisher noch nicht öffentlich gestritten. | |
Auch Friedrich Merz hat seinen Ton deutlich gemäßigt und offenbar | |
verstanden, dass [1][er potenzielle Partner nicht mehr als „Spinner“ | |
titulieren sollte]. Rückfälle sind nicht ausgeschlossen, wären aber dumm. | |
Das gilt auch für den Umgang mit den Grünen. Die werden zwar fürs Regieren | |
nicht mehr gebraucht, aber vielleicht bald im Bundesrat – so staatstragend, | |
wie sie sind. Nun lasset uns beten, dass auch Markus Söder das irgendwann | |
begreift. | |
Ja, man wird bescheiden. Ein Mindestmaß an Höflichkeit und Anstand sollte | |
für angehende Kanzler selbstverständlich sein, war aber für Merz ein | |
Lernprozess. Jetzt gilt es, für die Koalition mit der SPD ein Mindestmaß an | |
Vertrauen aufzubauen. Das wird noch schwerer, ist aber die Bedingung für | |
ein Gelingen der Regierungsbildung, das sich alle realistisch denkenden | |
Demokraten wünschen müssen. Dieses Daumendrücken ist neu und fühlt sich | |
merkwürdig an. | |
Aber es ist eben nicht mehr allein das Problem von Union und SPD, ob sie | |
sich zusammenraufen. Früher hätte man sich vielleicht gefreut, wenn eine | |
Groko gescheitert wäre, weil ihre Existenz lähmend wirkte und Neuwahlen | |
neue Chancen boten. Heute käme auch Kevin Kühnert nicht mehr auf die Idee | |
#NoGroko. Die ist längst klein geschrumpft, muss aber die Existenz der | |
Demokratie sichern. Weil es im Bundestag nur eine schreckliche Alternative | |
gibt und Neuwahlen nur für Extreme aussichtsreich wären. Diese Lage legt | |
auch der demokratischen Opposition und den Medien eine Verantwortung auf. | |
Natürlich sollten alle weiterhin kritisch bleiben und jeden Fehler | |
benennen, den sie erkennen. Die Demokratie kann nicht durch Harmoniesoße | |
gerettet werden. Aber auch nicht durch aufgebauschten Krawall. [2][Gregor | |
Gysi hat in seiner Eröffnungsrede] im Bundestag zu Recht appelliert, | |
friedenspolitisch Andersdenkende nicht als Kriegstreiber oder Putinknechte | |
zu diskreditieren. | |
Bei der Beurteilung von Koalitionen ist Fairness schwer, weil es einen | |
immanenten Widerspruch gibt: Einerseits sollen sie sich gefälligst einigen, | |
damit regiert werden kann, andererseits unbedingt alle eigenen Versprechen | |
einhalten. Das ging noch nie, aber gerade hat eindeutig die | |
Kompromissbereitschaft Vorrang. | |
Ist es also wirklich nötig, jeden Verstoß gegen ein Parteiprogramm als | |
Umfallen oder Verrat zu brandmarken? Manchmal ein schmaler Grat: Kritik zu | |
üben, aber nicht den Eindruck zu verstärken, dass in der Demokratie nur | |
Versager am Werk seien. Auf den Ton kommt es an. Wer von Söder Sachlichkeit | |
verlangt, sollte sie auch selbst aufbringen. | |
## Lösbare Verteilungsfragen | |
Manchmal macht der Handlungsdruck sogar erfreulich vernünftige | |
Großkompromisse möglich, etwa die Abkehr der Union von ihrem | |
Antischuldendogma und die finanzielle Starthilfe der Grünen. In dieser | |
Woche kam eine weitere glückliche Fügung durch ein Urteil aus Karlsruhe: | |
der Fortbestand des Soli mit den dadurch gesicherten Steuern von | |
Gutverdienern. Damit und mit dem Sondervermögen könnten Union und SPD | |
relativ entspannt regieren. Dafür ist Vertrauen gut, aber viel Geld noch | |
besser. | |
Die Verteilungsfragen bleiben kompliziert, sind aber lösbar. | |
Problematischer ist die Migrationspolitik, vor allem für die Betroffenen, | |
aber auch für die SPD, die unter dem Druck steht, harten Maßnahmen | |
zuzustimmen. Nicht nur wegen Merz’ üblen Wahlkampfsprüchen. Eine klare | |
Wählermehrheit, auch unter SPD-Anhängern, wünscht eine Begrenzung. Die | |
Union wird trotzdem einsehen müssen, dass eine rigorose Abriegelung der | |
Grenzen rechtlich, moralisch und europapolitisch nicht infrage kommt. | |
Das bedeutet einen weiteren Lernprozess für Merz, der sich durch die | |
globalen Herausforderungen schnell beschleunigen dürfte. Es gibt weiß Gott | |
andere Dringlichkeiten. Wenn sich die Lage in der Ukraine zuspitzt, der | |
Zollstreit mit den USA eskaliert oder Trump und Putin noch gefährlichere | |
Dinge machen, kann man nur hoffen, dass wir eine funktionsfähige Regierung | |
haben, die sich an ihren klaren Auftrag hält: die Demokratie zu erhalten. | |
29 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Wallraff | |
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