# taz.de -- Buch über Einsamkeit: Gesichter der Einsamkeit | |
> Ob Verschwörungstheoretiker, Katholik oder Sängerin: Janosch Schobin | |
> zeigt, wie vielfältig Menschen vereinsamen. | |
Bild: Ein zu Recht negativ gesehenes Gefühl: Einsamkeit | |
Einsamkeit als eine der zunehmenden Gegenwartskrisen – diese These dient | |
Janosch Schobin in seinem neuen Buch mehr als Aufhänger statt als klare | |
Leitfrage. Besser als „Zeiten der Einsamkeit“ würde „Geschichten der | |
Einsamkeit“ als Titel passen. Empathisch und wissenschaftlich-distanziert | |
zugleich gewährt der Soziologe Einblicke in siebeneinhalb Schicksale | |
vereinsamter Menschen in Deutschland, Chile und den USA, an denen er | |
verschiedene Facetten von Einsamkeit aufzeigt. | |
Pete, ein Verschwörungsanhänger aus New York, lässt Schobin nach dem | |
Verhältnis zwischen Einsamkeit und Politikmisstrauen fragen. John, ein | |
frommer Katholik aus Brooklyn, lässt ihn [1][Einsamkeit] mit chronischem | |
Schmerz vergleichen. Das Kaleidoskop reicht von der in Trauerritualen | |
feststeckenden Witwe bis hin zum von seinen Mitmenschen unbemerkt | |
Verstorbenen, den er als halbfiktive Persona nachkonstruiert (daher | |
siebeneinhalb Schicksale). Der öffentliche Umgang mit solchen „Fällen für | |
die Ämter“, die in Deutschland zunehmen, ist persönlichkeitsrechtlich | |
heikel. | |
Bei der afroamerikanischen Sängerin Dolores, die trotz beruflichen | |
Abstiegs, Krebs und Verlassenwerdens resilient bleibt, lauert kurz die | |
Gefahr des existenziellen Appells ans Individuum: „Tu was gegen deine | |
Einsamkeit!“ Dafür ist Schobin aber doch zu sehr Soziologe, um den Blick | |
für die strukturelle Ebene zu verlieren. Er verneint das Narrativ, dass | |
[2][Einsamkeit] vor allem in postmodernen, individualistischen, | |
„westlichen“ Gesellschaften zunehme. Selbst gewählte Bindungen mögen | |
instabiler sein als feste familiäre Netze, doch überwiegen für ihn die | |
positiven Effekte der Modernisierung wie Diskriminierungs- und Armutsabbau. | |
An der Geschichte von Marta, die im Chile des späten 20. Jahrhunderts | |
aufgewachsen ist und deren Biografie von familiärer und ehelicher Gewalt | |
bestimmt ist, wird die Korrelation zwischen Einsamkeit, Klassen- und | |
Geschlechtszugehörigkeit in diskriminierenden Systemen grausam deutlich. | |
Schobin verbindet einen nahbaren Erzählton mit zahlreichen Exkursen in | |
Politik, [3][Psychologie], Philosophie und Geschichte. Der dünne rote Faden | |
des Buchs und die Scheu vor endgültigen Antworten sind zugleich Stärke und | |
Schwäche. Manchmal wünscht man sich mehr Vertiefung, über interessante | |
Querverweise auf Arendt, Goethe oder Freud hinaus. Liest man „Zeiten der | |
Einsamkeit“ als „Erkundung eines universellen Gefühls“, bleibt die | |
Erkenntnis, dass das zu Recht negativ gesehene Gefühl jeden treffen kann. | |
25 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Yi Ling Pan | |
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