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# taz.de -- Einsamkeitsgipfel in Berlin: Die Leere in uns
> Einsamkeit nimmt zu, besonders unter Jugendlichen. Mit Folgen und
> möglichen Lösungsansätzen beschäftigte sich der Einsamkeitsgipfel in
> Reinickendorf.
Bild: Graue Wände machen das Leben nicht bunter
Berlin taz | Berlin gilt als Hauptstadt der Einsamkeit. Jede*r zehnte
Berliner*in fühlt sich einsam und sozial isoliert. Reinickendorfs
Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) lud deshalb am Montag
Betroffene und Expert*innen zum zweiten „Einsamkeitsgipfel“.
„Einsamkeit ist sozialer Stress“, sagte der Psychiater Mazda Adli beim
Gipfeltreffen im Rathaus Reinickendorf. „Sie entsteht dann, wenn die
gewünschte Intensität von sozialer Einbindung in die Gemeinschaft nicht mit
der realen übereinstimmt.“ [1][Daher sei die Einsamkeit in Städten
ausgeprägter.] So lautete auch ein Befund des Einsamkeitsbarometers des
Bundesfamilienministeriums aus dem Juni. Eine Risikogruppe sind demnach
Alleinlebende. In der Single-Hauptstadt Berlin machen die rund ein Drittel
der Bewohner*innen aus.
[2][Besonders betroffen sind zudem junge Menschen]. „Die seelische
Belastung der Pandemie hat Jugendliche härter getroffen“, sagt Mazda Adli.
Während der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter
von 2005 bis 2017 bundesweit stabil zwischen 14 und 17 Prozent lag, stieg
er mit Beginn der Pandemie auf 41, später auf 47 Prozent an. Auch in Berlin
finden sich die höchsten Einsamkeitswerte mit über 40 Prozent bei den 18-
bis 25-Jährigen.
Dennoch richten sich die Programme mehrheitlich an ältere Menschen. Auch
beim Einsamkeitsgipfel steht die Altersgruppe der Senior*innen im Fokus.
Bei einem Folgegipfel im kommenden Jahr soll der Schwerpunkt aber auf
Jugendlichen liegen, kündigte Demirbüken-Wegner an.
## Reinickendorf hat erste Einsamkeitsbeauftragte
Reinickendorf gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Einsamkeit. Der
Bezirk hat bundesweit als erste Kommune seit Februar eine
[3][Einsamkeitsbeauftragte, die im Kiez vorhandene Projekte unterstützt und
koordiniert]. Nachdem die erste Amtsinhaberin im Juli unerwartet das
Bezirksamt verlassen hatte, wurde der Posten mit dem der
Ehrenamtsbeauftragten Katharina Schulz zusammengelegt, die seitdem für
beide Bereiche zuständig ist.
Zu den existierenden Projekten gehört die AG Einsamkeit-Exit, eine
Plattform, auf der Expertisen gebündelt werden, um Projekte und Maßnahmen
für Reinickendorfer*innen zu entwickeln. Zudem hat das Bezirksamt
inzwischen fünf Bänke als „Quasseltreffs“ aufgestellt, auf denen Menschen
miteinander ins Gespräch kommen sollen. Für 2025 sind weitere vorgesehen.
Es gibt einen „Stammtisch gegen Einsamkeit“ und im Oktober startete eine
Sticker-Aktion, mit der lokale Unternehmen, Institutionen und andere
Akteure auf Angebote gegen Einsamkeit aufmerksam machen können und ermutigt
werden, selbst Initiativen zu starten. „Unsere Vision reicht über
Reinickendorf hinaus“, sagt Demirbüken-Wegner. „Wir möchten, dass das
langfristig auf Landesebene verankert wird.“
Die Bundesregierung hatte im Dezember 2023 ihre Einsamkeitsstrategie
vorgestellt: 111 Maßnahmen, die das soziale Miteinander stärken sollen. Den
Katalog kritisierte die CDU-Politikerin damals als „halbherzig“. „Ich hä…
mir gewünscht, dass die Bundesregierung eine Stelle schafft, die sich
ausschließlich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt“, sagte sie der taz.
Doch Einsamkeit wird häufig als individuelles Problem betrachtet, aus dem
sich die Politik herauszuhalten hat. Hinzu kommt ein großes Tabu:
„Einsamkeit wird von vielen gleichgesetzt mit einem sozialen Versagen
maximalen Ausmaßes“, sagt Psychiater Adli. Eine Stigmatisierung, die von
Teilen der Politik auch noch befeuert wird. Demirbüken-Wegner forderte
daher: „Das Thema muss enttabuisiert werden. Einsamkeit ist keine
individuelle Bürde, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung.“
## Gesamtgesellschaftliche Folgen
Denn die Folgen belasten nicht nur Betroffene. „Einsamkeit ist
gesundheitsrelevant. Sie hat negative Auswirkungen auf Stoffwechsel,
Immunsystem oder der Herz-Kreislauffunktion und begünstigt sie psychische
Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen und Suchtverhalten“, so
Adli.
Zudem stellt sie eine Bedrohung für das demokratische Zusammenleben dar.
Die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung legte nahe, dass Einsamkeit
ein bedeutender Faktor für die Anfälligkeit gegenüber populistischen
Ideologien sein kann. Demnach gaben 60 Prozent der Befragten, die sich
einsam fühlen, an, wenig Vertrauen in das politische System zu haben. Unter
denen, die sich nicht einsam fühlen, waren es nur 30 Prozent. Eine Umfrage
des Berliner Think-Tanks Progressives Zentrum ergab zudem, dass sich der
Zusammenhang zwischen Einsamkeitsbelastung und dem Glauben an politische
Verschwörungen besonders stark bei 16- bis 23-Jährigen zeigt.
Um künftig jährlich auf die Herausforderungen der Einsamkeit aufmerksam zu
machen, rief Demirbüken-Wegner am Montag offiziell den 16. Dezember zum
„Tag gegen Einsamkeit“ in Reinickendorf aus. Der Tag fällt in die emotional
aufgeladene Weihnachtszeit, die Betroffene vor zusätzliche
Herausforderungen darstellt.
16 Dec 2024
## LINKS
[1] /Einsamkeit-in-Berlin/!6014771
[2] /Studie-der-Bertelsmann-Stiftung/!6056454
[3] /Einsamkeitsstudie-in-Berlin/!6012198
## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Einsamkeit
Psychische Belastungen
Nachbarschaftshilfe
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Einsamkeit
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Betroffenen erstellt, um sie mit Angeboten besser zu unterstützen.
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