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# taz.de -- Fünf Jahre nach Pandemiebeginn: „Ich fühlte mich verraten von d…
> Einsamkeit, Frust, Zusammenhalt: Sieben Jugendliche erzählen, wie sie auf
> die Coronazeit zurückblicken – und was sie daraus heute noch beschäftigt.
Bild: Zwischen Einsamkeit und Zusammenhalt
## Unsere ersten Teenage-Geburtstage konnten wir nicht feiern
Der erste Lockdown begann, als ich 12 Jahre alt war. Zunächst war die
Situation aufregend und spannend – es war natürlich auch „cool“, keine
Schule zu haben, aber umso länger es sich zog, desto ernster wurde es.
Einerseits empfand ich den [1][Lockdown] als eine kleine Pause vom
alltäglichen Leistungsdruck. Ich fand viel mehr Zeit für mich, hatte Ruhe
zu lesen oder zu entspannen. Und ich lernte viel über digitale Medien.
Doch ich habe auch viel verpasst: Vor allem in Fächern wie Mathe war es um
einiges schwieriger, den Stoff alleine zu Hause zu verstehen. Die
verpassten Chancen beschränkten sich natürlich nicht nur auf die Schule:
Meine besten Freundinnen und ich konnten unsere ersten Teenage-Geburtstage
nicht miteinander feiern oder unsere Großeltern besuchen. Eine
Enttäuschung, über die wir bis heute sprechen, ist die ausgefallene
Ski-Klassenfahrt, die nie nachgeholt wurde. Durch [2][Corona] habe ich
gelernt, „normale“ Dinge wie Freund:innen treffen mehr wertzuschätzen,
doch dafür musste ich zuerst erleben, wie es ist, das zu verlieren.
Stina Uebe, 17 Jahre
## Zum Glück fiel der Schüleraustausch nach Frankreich aus
Wenn ich an die Coronazeit zurückdenke, denke ich vor allem an Einsamkeit.
Für mich bedeutet der Lockdown, alleine [3][Serien] auf dem Laptop zu
schauen, mich während des Online-Unterrichts anderweitig zu beschäftigen
und die Arbeitsaufträge der Lehrer*innen zu ignorieren.
Immerhin ist bei mir kein wichtiges Schulevent ausgefallen. Wir hatten
unsere Skifahrt der siebten Klasse wenige Wochen vor dem Beginn des
Lockdowns, und wenn ich an meine Sprachkenntnisse denke, habe ich
vermutlich Glück gehabt, dass der Schüleraustausch nach Frankreich nicht
stattgefunden hat. Andererseits – mein mangelndes Französisch könnte
natürlich auch am Lockdown liegen.
Emil Schleyer, 18 Jahre
## Beim Homeschooling habe ich mir selbst enormen Druck gemacht
Als bekanntgegeben wurde, dass es einen Lockdown geben wird und wir nicht
mehr zur Schule gehen dürfen, war ich in der vierten Klasse. Doch was ist
ein Lockdown? Wie lange wird das dauern? Was wird passieren? Fragen über
Fragen, die mir niemand beantworten konnte. Gerade am Anfang des
Homeschoolings habe ich mich sehr alleingelassen gefühlt. Meine Eltern
mussten arbeiten und ich meinen Schulalltag komplett selber gestalten, mir
den Stoff selber beibringen.
Besonders ältere Lehrkräfte, die sich nicht gut mit Technik auskannten,
hatten Schwierigkeiten. Meiner Meinung nach gab es viel zu wenig Schulungen
und Fortbildungen für Lehrer:innen, um uns in dieser schwierigen Zeit zu
unterstützen. Am Anfang jeder Woche habe ich einen Plan von meiner
Klassenlehrerin bekommen, welchen Stoff ich zu bearbeiten habe. Mehr nicht.
Vieles blieb ungeklärt und irgendwann habe ich angefangen, mir selber
enormen Druck zu machen. Doch ich gewöhnte mich an dieses neue System,
irgendwann war es mein Alltag.
Feline Grafschmidt, 14 Jahre
## Aus Solidarität lief ich drei Kilometer zur Schule, hin und zurück
Ich war 9 Jahre alt, in der vierten Klasse und kurz davor aufs Gymnasium zu
wechseln. Den ersten Lockdown nannten wir Coronaferien und waren glücklich,
nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Aber ich erinnere mich auch, dass
ich große Angst hatte. Ich habe Familie in Italien – von dort hörten wir
erschreckende Dinge. Ich hatte Angst, dass meine Mutter krank werden würde,
und was dann mit mir passieren würde.
Am Anfang der Maßnahmen bewegte mich, dass alle Menschen in meinem Umfeld
sich Gedanken umeinander machten, um Corona zusammen zu besiegen. Und ich
war ein Teil davon.
Als der erste Lockdown aufgehoben wurde, lief ich jeden Morgen von
Kreuzberg bis nach Mitte zu Fuß zur Schule, drei Kilometer hin und zurück.
Ich stand extra früh dafür auf und tat das mit dem Gedanken, andere zu
schützen. Doch meine Freund*innen und ich waren wütend, als wir Menschen
sahen, die Masken verweigerten, weil sie keine Lust hatten, etwas an ihrem
Leben zu ändern. Ich fühlte mich verraten von den Erwachsenen. Zum ersten
Mal. Das wiederholt sich gerade beim Kampf gegen den Klimawandel.
Der Wechsel aufs Gymnasium verlief dann auch nicht gut. Wir hatten keine
Abschlussfeier, keine Einschulung, keine Kennlernfahrt. Ich weiß, dass die
Coronapandemie uns alle verändert hat. Für mich bleibt ein Gefühl der
Überforderung, von Angst, aber auch des Zusammenhalts.
Noa Albrecht, 14 Jahre
## Ich würde viel dafür geben, so was nicht nochmal zu durchleben
Im Gegensatz zu einigen Freunden habe ich mich damals nicht gefreut, dass
jetzt erst mal die Schule ausfällt. Ich dachte direkt an meine
Leidenschaft, den Fußball. Ich war wütend, wusste aber, dass wir unsere
Mitmenschen schützen mussten. Rückblickend wären solche harten Maßnahmen
vielleicht nicht nötig gewesen, doch dadurch habe ich auch gelernt, die
Zeit, die ich mit Freunden oder beim Fußball habe, mehr wertzuschätzen.
Wenn ich an Corona zurückdenke, habe ich zwar nicht das Gefühl, dass mir
irgendetwas fehlt, aber ich würde vieles dafür geben, so eine Zeit nicht
nochmal zu durchleben. Trotzdem denke ich, dass es mich im Vergleich zu
anderen noch harmlos getroffen hat.
Dabei denke ich vor allem an junge Erwachsene, die alleine gewohnt haben
oder Leute, die nahestehende Personen verloren haben.
Antxon Lekue Gläser, 14 Jahre
## Die meiste Zeit saß ich in meinem Zimmer vor dem Bildschirm
Keine Schule, keine Treffen mit Freunden, keine regelmäßigen Aktivitäten,
die mich abgelenkt und motiviert haben – so habe ich die Pandemie erlebt.
Anfangs dachte ich, es wäre vielleicht eine kurze Pause vom Alltag, aber
schnell wurde mir klar, dass diese Auszeit länger dauern würde.
Die meiste Zeit saß ich zu Hause, in meinem Zimmer, vor dem Bildschirm – ob
für Online-Schulstunden oder um mit Freunden zu schreiben. Der direkte
Kontakt fehlte mir. Auch meine schulischen Leistungen haben darunter
gelitten. Ich hatte oft das Gefühl, nicht richtig dabei zu sein. Es war
schwierig, mich zu motivieren – und zu einfach, alles zu verschieben oder
zu ignorieren.
Ich bin aber der Meinung, dass diese Zeit keine schlimmen Folgen für mich
hatte. Ich habe immer noch meine Freunde und Hobbys. Es war für mich auch
nicht so schwierig, nach dem Lockdown wieder in den Alltag zurückzukehren.
Nikita Blau, 16 Jahre
## Ich möchte diesen Film nie wieder sehen
Im ICE, auf dem Weg zur Toilette, fällt mir eine junge Frau auf. Sie und
die Person auf dem Platz neben ihr tragen FFP2-Masken. Dieser Anblick
katapultiert mich in die Vergangenheit: Frühjahr 2021, schriftliche
Abiklausuren, fünf Stunden Konzentration mit Maske. Danach Treffen auf dem
Sportplatz, anderthalb Meter Abstand, im Kreis sitzen, Falafel essen. Maske
auf, in die S-Bahn steigen, aussteigen, Maske ab.
Aus der heutigen Perspektive kommt mir das alles absurd vor. Ich habe das
Gefühl, in einer surrealen Parallelwelt gelebt zu haben, in der es normal
war, über Infektionsraten zu sprechen und „medizinische
Mund-Nasen-Bedeckungen“ zu tragen. Die Pandemiejahre verschwimmen zu einem
dystopischen Film, den ich nie wieder sehen will. Nicht mal während einer
langen ICE-Fahrt.
Leonore Kogler, 20 Jahre
25 Jan 2025
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