| # taz.de -- Lübecks Zentrum für seltene Erkrankungen: Leben retten durch Vern… | |
| > Das Lübecker Zentrum für Seltene Erkrankungen vernetzt gezielt | |
| > Spezialist*innen verschiedener Fachrichtungen. Geld dafür gibt es | |
| > erst seit 2020. | |
| Bild: Auf dem Weg zum Spezialisten: Autos warten vor der Einfahrt zum Lübecker… | |
| Lübeck taz | Als sie mit Nierenversagen ins Krankenhaus kam, war Greta | |
| (Name geändert) zehn. Insgesamt drei Monate musste sie danach in Kliniken | |
| verbringen und bis zu 28 Tabletten am Tag nehmen, von denen viele starke | |
| Nebenwirkungen hatten. Und das war ihr Glück. | |
| Denn in ihrer norddeutschen Heimatstadt dachten die Ärzt*innen zuerst, | |
| das Blut in ihrem Urin sei Regelblut, und wollten sie schnell wieder | |
| heimschicken. Ihr Kinderarzt dagegen überwies sie zu einem Spezialisten und | |
| an das Hamburger Uniklinikum Eppendorf (UKE). Dort fanden die Ärzt*innen | |
| heraus, dass Greta eine C3-Glomerulopathie hat, eine Nierenerkrankung, die | |
| so selten ist, dass nur zwei bis drei unter einer Million Menschen daran | |
| erkranken. | |
| Greta hatte nicht nur Glück, weil sie schnell eine Diagnose und Behandlung | |
| bekam. Ihre Eltern nutzten die Zeit im Krankenhaus auch, um die Erkrankung | |
| ihrer Tochter zu verstehen. Diese Expertise habe ihm in Gesprächen mit der | |
| Krankenkasse geholfen, erzählt ihr Vater. | |
| Denn die Behandlung, die ihr heute ein unbeschwertes Leben ermöglicht, | |
| kostet die Kasse 400.000 bis 500.000 Euro im Jahr. Alle neun Wochen bekommt | |
| sie eine Infusion. „Wir sind unglaublich froh, dass bei uns die Kosten kein | |
| Ablehnungsgrund sind. Das ist in vielen Ländern anders.“ | |
| Bei seltenen Erkrankungen sind die Behandlungskosten oft sehr hoch, weil | |
| die Medikamente für nur wenige Menschen [1][entwickelt wurden]. Nicht immer | |
| gibt es überhaupt eine Behandlung. | |
| Dabei sind vier Millionen Menschen in Deutschland von den ungefähr 8.000 | |
| seltenen Erkrankungen betroffen, zusammen genommen sind sie eine | |
| Volkskrankheit. Darunter seien auch Erkrankungen wie Parkinson, MS oder | |
| Schlaganfälle „in ihrer Ausprägung sehr individuell und vielfältig“, sagt | |
| der Neurologe Alexander Münchau. | |
| Münchau leitet das [2][Zentrum für Seltene Erkrankungen am Uniklinikum | |
| Lübeck]. Es gründete sich 2013 als Zusammenschluss verschiedener | |
| Einrichtungen und ist eines der ersten Zentren für das Thema. Ein | |
| „Nationaler Aktionsplan für Menschen mit seltenen Erkrankungen“ des | |
| Gesundheitsministeriums sollte den Aufbau solcher medizinischer Netzwerke | |
| unterstützen. | |
| Geld gibt es für die Arbeit des Zentrums erst seit 2020, seit nach einer | |
| Reform Kliniken nicht mehr nur mit Fallpauschalen bezahlt werden, sondern | |
| auch mit einer Pflege- bzw. Vorhaltekostenvergütung. | |
| Das Zentrum in Lübeck ist über eine Akademie, Konferenzen und ein | |
| nationales Register vernetzt. Das kann Leben retten. Denn für die seltenen | |
| Erkrankungen gibt es meist nur wenige Spezialist*innen. Einzelne | |
| Fachärzt*in sind da oft überfordert. | |
| ## Kritik an Profitorientierung | |
| Das Zentrum bringt Spezialist*innen für Lunge, Nerven, Niere, Krebs | |
| oder Immunerkrankungen zusammen. In unserem Beispiel etwa mussten in | |
| Hamburg Nieren- und Immunspezialist*innen eng zusammenarbeiten. Die | |
| Mediziner*innen diskutieren eine Krankenakte dann in Fallkonferenzen. | |
| In dem Lübecker Zentrum treffen sich außerdem Selbsthilfegruppen. | |
| Der Austausch zwischen den Fachkolleg*innen verschiedener Disziplinen | |
| sei sehr wichtig, sagt Münchau. „Beim Bau eines Hauses arbeiten ja auch | |
| verschiedene Gewerke zusammen.“ Er wünscht sich einen grundlegenden Wandel | |
| im Gesundheitssystem. „Das Problem ist, dass wir in den 1990er-Jahren | |
| entschieden haben, es [3][privatwirtschaftlich umzubauen]. Das widerspricht | |
| der Natur der Medizin.“ | |
| Und es ist ein Problem für seine Patient*innen. Denn mit Therapien für | |
| seltene Krankheiten lässt sich meist nicht viel Profit erzielen. Trotzdem | |
| [4][forschen die Mediziner*innen], die in seinem Lübecker Zentrum | |
| organisiert sind. „Das liegt einfach in ihrer DNA“, sagt Münchau. Damit | |
| Kinder wie Greta wieder gesund werden können. | |
| 6 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Seltene-Krankheiten/!5500545 | |
| [2] https://www.uksh.de/zse-luebeck/ | |
| [3] /Defizite-im-Gesundheitssystem/!5859409 | |
| [4] /Fehler-im-Genom/!6020748 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Grabitz | |
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