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# taz.de -- Fehler im Genom: Das Rätsel des Erbguts
> Das menschliche Genom ist entschlüsselt. Damit dürften genetische
> Erkrankungen leicht zu erkennen sein. Tatsächlich verstehen wir nur einen
> Teil.
Bild: Erbkrankheiten besser zu erkennen ist das Ziel
Viele Erkrankungen entstehen dadurch, dass Fehler im Genom vererbt werden
oder neu entstehen. Viele dieser sogenannten Mutationen sind bekannt: So
weiß man mittlerweile genau, dass bestimmte genomische Wiederholungen auf
dem vierten Chromosom für die Huntington-Krankheit verantwortlich sind.
Dabei sterben Nervenzellen im Gehirn ab, die für motorische, psychische und
kognitive Fähigkeiten wichtig sind. Betroffene leiden häufig unter
unwillkürlich zuckenden Bewegungen, die am ganzen Körper auftreten können.
Man weiß unter anderem so viel über Mutationen wie die
Huntington-Krankheit, weil sie in einem gut untersuchten Teil des Erbguts
stattfinden. Dieser codierende Bereich macht aber nur [1][rund 1,5 Prozent
des menschlichen Genoms] aus. Der Rest wurde lange Zeit als „Abfall“-DNA
bezeichnet, weil er beim Bau der Proteine schlicht weggeschnitten wird.
Mittlerweile ist jedoch klar, dass auch dort, im sogenannten dunklen Genom,
wichtige Prozesse stattfinden.
So legt [2][eine neue Studie nahe], dass bestimmte Entwicklungsstörungen
durch Veränderungen im RNU4-2-Gen zustande kommen. Die Forschenden
verglichen seltene Mutationen in Genomdatensätzen von rund 5.500 Menschen
mit Intelligenzminderung mit den Sequenzen von etwa 46.000
Kontrollpersonen. RNU4-2 ist ein Gen, das keinen Bauplan für ein Eiweiß
enthält, sondern im dunklen Genom liegt.
## Zunehmende Verfügbarkeit von Genom-Daten
Das Genom besteht aus einer Aneinanderreihung der Basen Adenin, Thymin,
Cytosin und Guanin. In den codierenden Bereichen bestimmt die Reihenfolge
der Basen, aus welchen Bauteilen Proteine zusammengesetzt werden. Ist in
solchen Sequenzen ein Fehler, kommen am Ende nicht die richtigen Eiweiße
heraus und Krankheiten entstehen – so etwa beim Huntingtin-Protein, das in
seiner veränderten Form giftig ist und Nervenzellen abtötet.
„Viel wissen wir bisher nicht über den großen Rest“, sagt Ingo Kurth,
Direktor des Instituts für Humangenetik und Genommedizin an der Uniklinik
der Technischen Universität Aachen. „Manche Abschnitte werden lediglich
[3][in RNAs übersetzt], also einem Vorschritt zum Protein, die dann
Funktionen in der Zelle regulieren, ähnlich wie ein Schalter.“
Andere Elemente seien Steuereinheiten, die etwa bestimmen, ob andere Gene
an- oder abgeschaltet werden. Dazu kommen DNA-Teile, die von einer Stelle
im Genom zu einer anderen gelangen können und deshalb auch [4][„springende
Elemente“] genannt werden. Selbst [5][virusähnliche Elemente] sind zwischen
den codierenden Sequenzen eingebaut und können zu Beschwerden führen, wenn
sie aktiviert werden. „Das Problem ist, dass wir viele der Elemente noch
gar nicht als solche erkennen“, so Kurth. „Wir können also erst recht nicht
verstehen, was eine Veränderung in diesen Bereichen bedeutet.“
## Das dunkle Genom wird erforscht
Erst in den letzten Jahren hat die Forschung im dunklen Genom an Bedeutung
gewonnen. Erschwert wird sie unter anderem dadurch, dass oft unklar ist, wo
ein Element beginnt und endet. „Das ist noch wie eine Sprache, die wir
nicht verstehen und für die es keine Muttersprachler gibt“, sagt Kurth.
„Wir sind aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit von Genomdaten und neuen
bioinformatischen Möglichkeiten aber bereits gut vorangekommen, uns diese
Sprache beizubringen.“
Hilfreich seien unter anderem Vergleiche der Genome verschiedener Tierarten
wie Hunden, Katzen, Mäusen oder gar Fischen. Denn manche Abschnitte haben
sich im Laufe der Evolution nicht verändert – was darauf hindeutet, dass
sie eine wichtige Funktion haben.
Mehr über den unverstandenen Teil des Genoms herauszufinden, kann für die
Diagnose von Erkrankungen bedeutsam sein. Oft sei eine klare Einordnung
eine große Hilfe für betroffene Familien, sagt der Humangenetiker. Zudem
ist es gerade bei Entwicklungsstörungen eine wichtige Information, etwa
wenn die Eltern noch weitere Kinder bekommen möchten. Kann nun eine
RNU4-2-Mutation als Ursache der Entwicklungsstörung diagnostiziert werden,
ist es unwahrscheinlich, dass es bei einer weiteren Schwangerschaft zur
gleichen Erkrankung kommt. Denn die Mutation entsteht meist spontan, bei
den Eltern ist das Gen intakt.
Eine Black Box ist das dunkle Genom indes nicht. Beim RNU4-2-Gen etwa ist
bereits bekannt, dass es für das Umschreiben unreifer RNAs in Proteine
notwendig ist. Was genau die Mutation für die Zellfunktion bedeutet, muss
allerdings noch erforscht werden. Und von dort ist es ein weiter Weg zu
einer Therapie. „Wie lange es dauern wird, aus solchen Erkenntnissen
konkrete Behandlungen abzuleiten, weiß niemand“, sagt der Humangenetiker.
Denn das hänge immer von der jeweiligen Erkrankung ab. „Ich glaube aber,
die Geschwindigkeit in der Therapiefindung nimmt rasant zu, und es gibt
genau jetzt außerordentlich vielversprechende Ansätze.“ Gemeint sind
Gentherapien mit der Genschere Crispr/Cas, mit denen solche Erkrankungen in
Zukunft möglicherweise behandelt werden können.
## Von der Studie zur Zulassung
In jedem Fall müssen neue Therapiemethoden einen aufwendigen und
langwierigen Prozess durchlaufen: von präklinischen Studien mit
Tiermodellen oder menschlichen Zellen über mehrere Stufen von klinischen
Studien bis zur Zulassung durch die entsprechenden Behörden. „So etwas kann
viele Jahre dauern, aber gerade im Bereich der neuen Therapien müssen wir
innovative und schnelle Wege bis zur Zulassung beschreiten“, sagt Kurth.
Fortschritte in der Therapiefindung einzelner Erkrankungen können auch auf
andere Krankheiten übertragen werden. Für diese können dann unter Umständen
schneller Therapien entdeckt werden. „Solche übertragbaren Ansätze sehen
wir immer häufiger“, sagt der Humangenetiker.
Neue Technologien, mit deren Hilfe das gesamte Genom innerhalb kurzer Zeit
sequenziert werden kann, erleichtern die Aufgabe ungemein. In Deutschland
wird derzeit das „Modellvorhaben Genomsequenzierung“ umgesetzt: Im Projekt
wird das Genom von Menschen mit seltenen Krankheiten oder Krebserkrankungen
untersucht. Dabei sollen weitere Mutationen wie die des RNU4-2-Gens
gefunden werden und die Genommedizin stärker in der deutschen
Gesundheitsversorgung zur Anwendung gebracht werden.
Für Kurth ist es ein wichtiger Schritt: „Seltene Erkrankungen wurden lange
kaum beachtet, eben weil sie jede für sich genommen selten sind und
oberflächlich betrachtet weniger relevant erschienen“, so der
Humangenetiker. „Aber seltene genetische Krankheiten sind in der Summe gar
nicht selten: Allein in Deutschland sind etwa 4 Millionen Menschen
betroffen.“
20 Jul 2024
## LINKS
[1] https://genomemedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13073-022-01073-3
[2] https://www.nature.com/articles/s41591-024-03085-5
[3] https://www.mdpi.com/2072-6694/15/11/2969
[4] https://www.cell.com/cancer-cell/fulltext/S1535-6108(22)00316-6
[5] https://www.nature.com/articles/s41587-024-02215-1
## AUTOREN
Stefanie Uhrig
## TAGS
Genetik
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