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# taz.de -- Rechtsextreme Gewalt in Deutschland: Angst vor Kontrollverlust
> Der Anschlag in Mannheim war für Medien und Parteien bald uninteressant.
> Deutschland sieht weg – auch, weil Aufarbeitung tiefe Löcher reißen
> könnte.
Bild: Gedenken in Mannheim: Die Geschichte rechter Gewalt in Deutschland ist ei…
Am 3. März fuhr ein Mann mit seinem Ford Fiesta in eine Fußgängerzone in
der Innenstadt von Mannheim und tötete zwei Menschen, 14 wurden verletzt.
Der [1][Anschlag von Mannheim] hätte zu gesellschaftlicher und politischer
Selbstreflexion führen können. Stattdessen zeigt der Umgang mit der Tat,
dass Deutschland weiterhin große Schwierigkeiten hat, sich mit
rechtsextremer Gewalt auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für die Medien
als auch für die Politik.
Der Anschlag von Mannheim ist nur das jüngste Beispiel einer langen Reihe
von rechten Gewalttaten, die verharmlost, relativiert oder politisch
blockiert werden. Während Medien sonst oft jedes Detail einer Tat
ausleuchten, [2][zeigt eine BuzzFeed-Analyse], dass das Interesse am
Anschlag in Mannheim nur halb so groß war wie an vergleichbaren Taten in
Magdeburg oder München. Eine Gewalttat, die nicht ins politische Framing
passt, wird bald ignoriert.
Gleichzeitig haben CDU/CSU und SPD sich erst mit aller Kraft dagegen
gewehrt, die Tat überhaupt im Innenausschuss zu thematisieren – und dann,
als der öffentliche Druck zu groß wurde, den Punkt mit den Stimmen der AfD
sofort wieder von der Tagesordnung gestrichen. Eine politische
Bankrotterklärung, die deutlich macht: Eine ernsthafte Auseinandersetzung
mit rechter Gewalt ist unerwünscht.
Doch warum hat die SPD das Thema mit abmoderiert? Eine mögliche Erklärung
liegt in ihrer politischen Strategie: Die Partei will sich einerseits als
Bollwerk gegen rechts präsentieren, andererseits vermeiden, das Thema so
groß zu machen, dass es Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden oder den
Verfassungsschutz hätte. Schließlich ist auch die SPD in der Vergangenheit
immer wieder mit [3][Versäumnissen im Kampf gegen rechts] konfrontiert
worden. Eine vertiefte Debatte hätte auch ihre eigenen Fehler ins Licht
gerückt. Stattdessen setzt die Partei auf eine Strategie der Deeskalation,
die jedoch in Wahrheit nichts anderes ist als Wegsehen. Immerhin hatten die
Grünen auf Druck eine Sondersitzung für Dienstag einberufen, um den Fall
doch noch aufzuarbeiten.
## Kaum neue Erkenntnisse
In der Sondersitzung selbst gab es jedoch kaum neue Erkenntnisse. Die
Behörden bestätigten, dass der Täter keine waffenrechtliche Erlaubnis
besaß. Bei den Durchsuchungen seiner Wohnung wurden zwei Waffen
sichergestellt: eine Schreckschusswaffe und ein Gasdruckgewehr. Zudem lagen
den Sicherheitsbehörden zum „Ringbund“ und ähnlichen rechtsextremen
Verbindungen keinerlei Erkenntnisse vor. Statt einer klaren Einordnung oder
Verantwortungsübernahme wurde in der Sitzung auf Bayern verwiesen, wo der
„Ringbund“ aktiv sein soll.
Dieses Wegsehen ist nicht neu. Die Geschichte rechter Gewalt in Deutschland
ist eine Geschichte des staatlichen Versagens. [4][Der NSU ermordete etwa]
über Jahre hinweg Menschen mit Migrationshintergrund, während
Ermittlungsbehörden lieber im „migrantischen Milieu“ nach Tätern suchten,
anstatt den rechtsextremen Terror zu erkennen. Akten wurden vernichtet,
V-Leute gedeckt, und bis heute sind viele Hintergründe der Mordserie nicht
aufgeklärt.
## Tiefe Angst vor Auseinandersetzung
Doch was, wenn es nicht nur um Ignoranz oder strategisches Wegsehen geht?
Was, wenn der Staat eine tiefere Angst davor hat, sich wirklich mit rechter
Gewalt auseinanderzusetzen? Vielleicht, weil eine echte Aufarbeitung
offenlegen würde, [5][wie tief rechtsextreme Netzwerke bereits in Polizei,
Bundeswehr und Geheimdiensten verankert sind]. Vielleicht, weil der
Kontrollverlust, den eine solche Erkenntnis mit sich bringen würde, das
Vertrauen in den Staat selbst erschüttern könnte. Denn wenn rechte
Netzwerke in Sicherheitsbehörden tatsächlich enttarnt und ausgehoben würden
– wie tief würde das Loch sein, das dabei aufgerissen wird? Würde man
feststellen, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem einzelner Täter
ist, sondern eine informelle Parallelstruktur bildet, die seit Jahrzehnten
gewachsen ist?
Diese systematische Verharmlosung und Ignoranz [6][haben tödliche
Konsequenzen]. Rechtsextreme wissen, dass sie nicht mit der gleichen Härte
verfolgt werden wie andere Extremisten. Deutschland hat seit der
Wiedervereinigung mehr als 200 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen. Doch
während islamistische Anschläge sofort zu politischen Großdebatten führen
und Forderungen nach Gesetzesverschärfungen laut werden, bleibt es bei
rechten Taten oft bei halbherzigen Erklärungen und symbolischer
Betroffenheit. Ein Beispiel dafür ist [7][Hanau]: Nach dem rassistischen
Anschlag 2020, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet
wurden, wurde viel über Einzeltäter geredet – aber wenig darüber, dass
rechtsextreme Verschwörungsideologien in Deutschland tief verwurzelt sind.
Noch immer fehlt eine klare, konsequente Bekämpfung rechter Netzwerke.
Mannheim ist kein Einzelfall – sondern ein Symptom eines Landes, das auf
dem rechten Auge blind bleibt.
20 Mar 2025
## LINKS
[1] /Todesfahrt-in-Mannheim/!6070428
[2] https://www.buzzfeed.de/welt/analyse-medieninteresse-nach-mannheim-halb-so-…
[3] /NSU-Untersuchungsausschuss-Hessen/!5528589
[4] /Aufarbeitung-der-Mordserie/!6057541
[5] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502
[6] /Rechte-Gewalt/!6063307
[7] /Schwerpunkt-Rechter-Anschlag-in-Hanau/!t5563930
## AUTOREN
Derya Türkmen
## TAGS
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