| # taz.de -- Europäische Verteidigungsstrategie: Putin keine Chance geben | |
| > Die USA prägen erheblich die Nato-Strategie. Doch mit Trump ändert sich | |
| > vieles – und Europa braucht neue Pläne für die Sicherheit des Baltikums. | |
| Bild: Muss wohl sein: Deutscher Soldat auf einem Leopard 2 Panzer während eine… | |
| Über sieben Jahrzehnte lang versprachen die USA, Europa zu verteidigen und | |
| dabei sogar einen Nuklearkrieg zu riskieren, der auch die USA vernichten | |
| könnte. Im Gegenzug forderte Washington von den Europäern eine Unterordnung | |
| in Sicherheits- und Verteidigungsfragen und den Verzicht auf eigene | |
| Nuklearwaffen. Mit Ausnahme Frankreichs und in geringerem Maße | |
| Großbritanniens hielten sich die Europäer an den Handel. | |
| Die [1][radikale Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik] unter | |
| der zweiten Trump-Regierung entzieht dieser stillen Übereinkunft nun die | |
| Grundlage. Angesichts dessen sind plötzlich in Deutschland eine Reform der | |
| Schuldenbremse, massive Investitionen in die Infrastruktur und womöglich | |
| die [2][Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht] möglich. Eine schon lange | |
| bestehende Lücke, die weit schwerer auszufüllen sein wird, ist die | |
| Verteidigungsstrategie. | |
| Zwar hat die Nato erst 2019 eine neue Militärstrategie angenommen, doch | |
| bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob die Europäer diese zukünftig allein | |
| weiter umsetzen können. Zudem stellt sich die Frage, ob eine | |
| Militärstrategie für eine reine europäische Verteidigungsorganisation nicht | |
| anders aussehen müsste. Die heutige Nato-Strategie ist im Kern ein Produkt | |
| des US-amerikanischen militärischen Denkens und baut auf den Stärken der | |
| US-Streitkräfte auf. | |
| Aufgrund des Weltmachtanspruchs besteht an das US-Militär die Anforderung, | |
| innerhalb kürzester Zeit weltweit zu Interventionen fähig zu sein. Deswegen | |
| setzt es auf hohe Bereitschaft, Mobilität und Überlegenheit in der Luft und | |
| zur See. Eine gegnerische nukleare Eskalation zum Ausgleich der | |
| konventionellen Überlegenheit der USA soll durch das große und flexible | |
| US-amerikanische Nuklearwaffenarsenal abgeschreckt werden. Diese Konzeption | |
| spiegelt sich auch in der Nato-Strategie wider. | |
| Hauptziel ist es, sicherzustellen, dass Nato- und insbesondere US-Verbände | |
| nach Beginn von Feindseligkeiten schnell und möglichst ungestört in die | |
| Kampfzone verlegt werden können. Wenn die USA die Nato verlassen, steht | |
| letztere mit einer Strategie da, zu deren Umsetzung ihr nicht nur die | |
| Mittel fehlen – sie ergibt auch keinen Sinn mehr. Allerdings fehlt es nicht | |
| nur an einer genuin europäischen Verteidigungsstrategie, es fehlen sogar | |
| die intellektuellen Grundlagen, um diese in kurzer Zeit zu schreiben. | |
| Abgesehen von Frankreich und Großbritannien haben die westeuropäischen | |
| Staaten das Nachdenken darüber an die Vereinigten Staaten ausgelagert. | |
| Durch ihre günstige geografische Lage, geschützt von zwei Ozeanen, können | |
| die USA frei entscheiden, ob und in welchen Teilen der Welt sie sich | |
| hauptsächlich engagieren wollen. Die strategische Ausgangslage der Europäer | |
| ist dagegen grundsätzlich anders. | |
| Die oberste Herausforderung ist Russland – und das steht direkt vor der | |
| Haustür. Dies muss sich auch in der Militärstrategie widerspiegeln. Um | |
| Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland zu signalisieren, brauchen die | |
| Europäer nicht die Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit ihr Militär auf andere | |
| Kontinente zu verlegen und dort größere Einsätze durchzuführen. Vielmehr | |
| geht es darum, größere russische Raumgewinne in konkreten Gebieten – | |
| insbesondere dem Baltikum – konsequent zu verhindern. | |
| Dies ist vor allem wichtig, um Russland die Möglichkeit zu nehmen, einmal | |
| erfolgte Eroberungen durch nukleare Drohungen abzusichern. Um russische | |
| Geländegewinne zu verhindern, wären einerseits Fähigkeiten für | |
| weitreichende konventionelle Präzisionsschläge nötig, etwa um russische | |
| Kräftekonzentrationen und die Heranführung von Nachschub zu behindern. | |
| Andererseits wäre eine Verteidigungsstruktur vor Ort nötig, die die | |
| Aussicht auf schnelle russische Landgewinne nimmt und auch für den Fall | |
| einer längerfristigen kriegerischen Auseinandersetzung geeignet ist. | |
| ## Diskussionen über die Wehrpflicht stehen an | |
| Dies würde etwa die Errichtung von Bunkern, vorbereiteten Feuerstellungen | |
| und Sperren im Grenzgebiet sowie einen starken Aufwuchs der Artillerie | |
| erfordern. Dabei kann auf das Projekt der „Baltic Defence Line“ Litauens, | |
| Lettlands und Estlands aufgebaut werden, im Rahmen dessen | |
| Verteidigungsstellungen im Grenzgebiet zu Russland und Belarus errichtet | |
| werden sollen. | |
| Zudem müsste eine permanente Vornestationierung europäischer Verbände | |
| sichergestellt werden und weitere Verbände, die im Krisenfall in die | |
| Konfliktzone verlegt würden, müssten regelmäßig die Verteidigung des | |
| Grenzgebiets üben. Dies bedeutet für jedes europäische Land zwangsläufig | |
| auch eine Diskussion über eine Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht, um im | |
| Zweifel sowohl ausreichend aktive Soldat*innen zu haben als auch wieder | |
| Reserven aufzubauen. | |
| Ferner ist die multinationale Präsenz notwendig, um den Zusammenhalt der | |
| europäischen Staaten zu demonstrieren – gerade in der Frage der | |
| Verteidigung des Baltikums. Dieses Konzept hätte nicht zuletzt den Vorteil, | |
| dass der Wegfall des Nuklearwaffenarsenals der USA [3][nicht maßgeblich | |
| durch einen Ausbau des französischen oder britischen Arsenals kompensiert] | |
| werden müsste. Durch die konsequente konventionelle Verteidigung auf | |
| eigenem Gebiet würde Russland der Hebel genommen werden, um sein | |
| Nuklearwaffenarsenal im Sinne der befürchteten | |
| „Eskalation-zur-Deeskalation“ nach Eroberung des Baltikums zu benutzen. | |
| Zuletzt ist der strategisch durchdachte Aufbau einer genuin europäischen | |
| Verteidigung auch nötig, um im Falle von zukünftigen | |
| Rüstungskontrollverhandlungen mit am Tisch zu sitzen. Auch in der | |
| Formulierung von Positionen zur Rüstungskontrolle bestand bisher eine | |
| weitgehende Abhängigkeit von den USA. Ein Europa, das seine Zukunft selbst | |
| sichern muss, braucht Druckmittel, um bei Rüstungskontrollverhandlungen | |
| seine eigenen Positionen durchsetzen zu können. Es braucht eine autonome | |
| Verteidigung und Rüstungskontrolle. | |
| 18 Mar 2025 | |
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