# taz.de -- Belit Onay über das Atomwaffenverbot: „Die Atombombe ist zurück… | |
> Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) findet, Europa müsse | |
> vereint stärker werden. Er hofft, dass es so auf atomare Rüstung | |
> verzichten kann. | |
Bild: Vertreter der Zivilgesellschaft: Belit Onay bei der Vertragsstaatenkonfer… | |
taz: Herr Onay, Sie haben als Vertreter der Bürgermeister gegen den | |
Atomkrieg (Mayors for Peace) vor den Unterzeichnern des | |
Atomwaffenverbotsvertrages gesprochen. Ist der Vertrag nicht aus der Zeit | |
gefallen? | |
Belit Onay: Ganz im Gegenteil. Es wird hier in New York sehr deutlich | |
wahrgenommen, was gerade passiert. Dass sich durch die Demütigung | |
Selenskyjs im Oval Office und die Neupositionierung der USA einiges | |
verschiebt und dass es für den Schutz für Europa und den Schutz für die | |
Ukraine ganz neue Antworten braucht. Ich habe hier keine relevante Stimme | |
gehört, die sagen würde, dass das nicht der Fall ist. Die Notwendigkeit | |
sich selbst verteidigen zu können, wird nicht bestritten. | |
taz: Müssen dabei Atomwaffen eine Rolle spielen? | |
Onay: Bei Atomwaffen ist die einhellige Meinung hier, dass sie keine | |
Sicherheit schaffen, sondern Sicherheit reduzieren, dass sie unkalkulierbar | |
sind. Man muss sich vor Augen führen, dass ihr Einsatz fatale Folgen hätte | |
–für die betroffene Stadt und die Menschen und das über Generationen | |
hinweg. Deshalb müssen sie geächtet werden und genau das tut der | |
Atomwaffenverbotsvertrag. | |
taz: Wenn die Ukraine ihre Atomwaffen 1994 nicht abgegeben hätte, wäre sie | |
nicht von Russland angegriffen worden. | |
Onay: Das ist eine Spekulation. Es gibt keine Evidenz dafür, dass die | |
nukleare Abschreckung Kriege verhindert hat. Selbst wenn man Atomwaffen | |
hat: Wer ist dazu bereit, sie auch einzusetzen, wenn er weiß, dass er einer | |
Atommacht gegenübersteht? | |
taz: Die glaubhafte Bereitschaft ist Voraussetzung der Abschreckung. | |
Onay: Die eigentliche Frage wird sein, ob man wieder über Abrüstung | |
sprechen kann. Trump hat das mit Blick auf China und Russland | |
vorgeschlagen. Sinnvoll wäre das schon allein wegen der Kosten. Der Aufbau | |
eines nuklearen Schutzes ist unfassbar teuer – und das dafür, dass man ihn | |
möglichst nicht nutzt. Deshalb müssen wir diskutieren, wie ein Schutz für | |
Europa gewährleistet werden kann, ohne dass nukleare Abschreckung dafür | |
nötig ist. | |
taz: Das Abrüstungsversprechen, das die fünf ursprünglichen Atommächte mit | |
dem Atomwaffensperrvertrag abgaben, haben sie nicht eingehalten. Was gibt | |
Ihnen die Hoffnung, dass ähnliche Versprechen in Zukunft eingehalten werden | |
würden? | |
Onay: Eine Garantie wird es nicht geben. Man muss genau verabreden, wie der | |
Abrüstungspfad im Sinne konkreter, realistischer Schritte aussieht, die | |
sich an den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen orientieren. | |
Dass sich die letzte Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag nicht | |
auf ein gemeinsames Abschlussdokument und damit auch auf keine Agenda | |
einigen konnte, lag vor allem an der Verweigerungshaltung Russlands. | |
taz: Technisch gibt es wahnsinnig viel Expertise aus der Zeit der | |
Abrüstungsverträge zwischen der Nato und dem ehemaligen Ostblock. Aber wir | |
leben heute in einer anderen Zeit, in der eine der beteiligen Mächte einen | |
Krieg begonnen und dabei erfolgreich mit dem Einsatz einer Atombombe in | |
einem konventionellen Krieg gedroht hat. | |
Onay: Auch Russland wird ein Land, das es sich einverleiben möchte, nicht | |
mit Atomwaffen verwüsten. Man muss aber zugeben, dass die Atombombe zurück | |
ist auf der Weltbühne. Dass sie nach 30 Jahren plötzlich wieder | |
Diskussionsgrundlage ist, sieht man auch hier auf der Konferenz des | |
Atomwaffenverbotsvertrages. Gleichzeitig ist deutlich spürbar, dass die | |
Vertragsstaaten nicht von der Vision einer atomwaffenfreien Welt ablassen | |
wollen. | |
taz: Wie soll sich Europa ohne Nuklearwaffen vor der Bedrohung durch | |
Russland schützen? | |
Onay: Zuerst einmal dadurch, dass man die Ukraine schützt und stärkt. Wegen | |
der Infragestellung der Unterstützungen durch die USA in den | |
verschiedensten Bereichen [1][muss die Partnerschaft der EU greifen]. Wenn | |
die Ukraine Gebiete verlöre und Russland erfolgreich wäre, würde das | |
Faustrecht in der Weltpolitik ausgerufen. Es muss darum gehen, zu einer | |
regelbasierten Ordnung zurückzufinden. Davon sind wir aktuell weit | |
entfernt, woran auch die USA ihren Anteil haben, durch die Logik, nach der | |
sie jetzt handeln. Die Europäer werden gemeinsam eine Lösung finden müssen. | |
Ihre Kleinstaaterei wird nicht mehr helfen. | |
taz: Wenn sich die Amerikaner aus der Nato zurückzögen, sähe sich Europa | |
alleine der Nuklearstreitmacht Russlands gegenüber. Wie sollte dann der | |
Schutz der Ukraine funktionieren? | |
Onay: Die Stärkung der Ukraine geschieht durch Stärkung ihrer | |
Verteidungskraft. Da ist noch sehr viel möglich und es geht dabei auch um | |
die Zukunft der der Europäischen Union. Bei der Frage des atomaren Schutzes | |
wird es noch eine Zeit dauern, bis sich die USA zu einer klaren Position | |
durchringen werden. Bis dahin muss es zu Friedensverhandlungen kommen. Ich | |
glaube, dass auch die Ukraine daran ein Interesse hat. Aber den Frieden zu | |
verhandeln, heißt nicht den Status quo zu zementieren. Die Ukraine hat ein | |
Anrecht darauf, mitzudiskutieren, wie sie sich ihren Frieden vorstellt. | |
taz: Bleiben Sie bei der Position, dass Deutschland dem | |
Atomwaffenverbotsvertrag beitreten sollte? | |
Onay: Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Deutschland zumindest weiterhin | |
als Beobachterin bei der [2][Vertragsstaatenkonferenz] in New York dabei | |
gewesen wäre. Davon hätte ein wichtiger Impuls ausgehen können. | |
taz: Sind russische Bürgermeister Mitglied bei den Mayors for Peace? | |
Onay: Sie sind Mitglieder, aber aktuell nicht erkennbar aktiv. Das liegt | |
daran, dass man auf nahezu allen Ebenen die Kooperation eingeschränkt oder | |
völlig eingestellt hat – auch weil es immer wieder Versuche gab, | |
internationale Organisationen für die [3][russische Propaganda] zu | |
vereinnahmen. | |
taz: Wie war die Stimmung mit Blick auf den Schwenk der US zu unverblümter | |
Machtpolitik? | |
Onay: Es war für alle ein Schock. Bei den Gesprächen sowohl in der UN als | |
auch außerhalb in New York merkt man, wenn man mit Amerikanern und | |
Amerkanerinnen spricht, dass sie sich unter einem Rechtfertigungszwang | |
sehen: Die Position Trumps gilt nicht für alle. Auch bei den Vereinten | |
Nationen ist die Ernüchterung groß, dass die USA eine vollkommen neue und | |
andere Position vertreten, die nicht mehr Solidarität heißt, sondern | |
[4][America first]. Das ist fatal für jede Art von internationaler | |
Kooperation. | |
7 Mar 2025 | |
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[1] /EU-Gipfel-fuer-hoehere-Militaerausgaben/!6074115 | |
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2653208/74949b3d42c7a72a7fb865a0524aae… | |
[3] /Der-Krieg-und-seine-Opfer/!6073840 | |
[4] /Die-USA-unter-Trump/!6073838 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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