# taz.de -- Die Grünen und die Schuldenbremse: Im Nein steckt eine Chance | |
> Die Grünen verweigern Union und SPD die Zustimmung zur | |
> Grundgesetzänderung. Nun könnten sie sich als Verantwortungspartei neu | |
> ins Spiel bringen. | |
Bild: Die Grünen-Fraktion wird dem vorgeschlagenen Verteidigungs- und Infrastr… | |
Jetzt haben die Grünen also bis auf Weiteres einen letzten Trumpf | |
auszuspielen: die Zustimmung oder Ablehnung einer Grundgesetzänderung im | |
Bundestag zur Schuldenbremse. Dafür braucht die potenzielle neue | |
Bundesregierung aus Union und SPD wohl ihre Stimmen. Am Montag hat die | |
[1][Grünen-Fraktion mitgeteilt, sie werde dem vorgeschlagenen | |
Verteidigungs- und Infrastrukturpaket nicht zustimmen]. Daraus ergeben sich | |
Fragen: Welchem überarbeiteten Vorschlag würden sie denn zustimmen? Welche | |
Ziele wären damit verknüpft? | |
Ziel könnte einerseits das Wohl der Bundesrepublik sein, andererseits die | |
eigene Profilierung, im Idealfall beides. Voraussetzung dafür ist, die | |
eigene Identität zu klären, die mit der krachenden Niederlage bei der | |
Bundestagswahl nach außen und nach innen unklar geworden scheint. Wer sind | |
wir – und wenn ja, wozu? | |
Wie es nach den Sondierungen der letzten Woche aussieht, wollen CDU/CSU und | |
SPD zwei Dinge: Die Union will die veränderte geopolitische Lage endlich | |
ernst nehmen und in die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und | |
Europas investieren. Die SPD und letztlich alle drei wollen als Parteien | |
der fossilen Industriegesellschaft und des | |
[2][Gießkannen-Sozialdemokratismus] die Gegenwart auf Kosten von Zukunft | |
noch einmal verlängern. Die „Investitionen“ sollen weniger in nachhaltige | |
Strukturen getätigt werden als in Stillhalte-Geschenke an größere Teile der | |
Gesellschaft durch Vermeiden von Zukunft. Was ja angesichts des Aufstiegs | |
der illiberalen Kräfte durchaus ein Wert ist, aber die Probleme nicht löst. | |
Kurzfristig könnte etwas Ruhe einkehren, mittelfristig werden ohne | |
Zukunftspolitik die populistischen Kräfte wachsen, nicht allein die AfD. | |
Jetzt müssen die Grünen erst einmal wissen, wie sie das Wahlergebnis | |
deuten. Nach dem Verlust von 700.000 Stimmen an die Linkspartei wäre es | |
naheliegend, zu sagen: Aha, wir müssen „linker“ werden. Was letztlich | |
heißen würde: ideologisch-kompromissloser. Zum Beispiel nein zu Waffen, | |
nein zu Merz, nein zu Kapitalismus, nein zu (europäischen) Kompromissen. | |
Nun haben die Grünen aber auch 460.000 Stimmen an die Union verloren. Das | |
sind Leute, denen die Partei zu ideologisch zu sein scheint, zu | |
kompromisslos, zu sehr auf das Eigene fixiert, mit einem zu geringen Blick | |
auf das Ganze und die Realität. | |
## Wähler wollen ein Weiterwurschteln | |
Viele Wähler haben Union und SPD für ein demokratisches Weiterwurschteln | |
gewählt, und das explizit ohne die Grünen. Denen wird von beiden Seiten ein | |
Realitätsbezug des alten Links-rechts-Denkens vorgeworfen. Das heißt: Es | |
gibt nicht nur an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft ein | |
eklatantes Vakuum für eine Partei, die die globale Realität nicht | |
ausblendet und offensiv thematisiert, wo künftig Wohlstand herkommen soll. | |
Also Geld für den Sozialstaat, den Nuklearschutzschirm, den | |
Digitalschutzschirm, notwendige Innovationen für Weltmarktstärke – und das | |
alles auf einer postfossilen Basis zum Schutz planetarischer Grundlagen. | |
Gleichzeitig muss man sehen, dass die gesellschaftliche Nachfrage für | |
mutige Politik jenseits der gewohnten Parameter derzeit nicht allzu groß | |
ist. | |
Die Frage der Grundgesetzänderung ist dennoch und bei aller konjunktureller | |
Zurückhaltung eine Chance für die Grünen, sich wieder [3][neu ins Spiel zu | |
bringen – als Verantwortungspartei], die Entscheidungen trifft und | |
Bündnisse nicht auf Grundlage traditioneller Gebräuche und Gefühle | |
schließt, sondern wegen realer Notwendigkeiten. Das würde allerdings | |
bedeuten, dass man die Politikmethode von Robert Habeck nicht verwirft, | |
sondern verfeinert: nicht aus falschem Radikalitätsverständnis in altgrünes | |
Kläffen zurückfallen, sondern einen anderen und effektiven Umgang finden, | |
beispielsweise mit Markus Söder. | |
Den CSU-Chef kann man nur stoppen, indem man die gemäßigten Konservativen | |
gewinnt, die den Zivilitätsverlust durch Söder zunehmend nicht mehr | |
aushalten. Die realistische Lösung kann nicht sein: weg mit der CSU! Aber | |
sie muss sein: weg mit Söder! Das klingt nicht gut, muss aber sein, weil | |
durch die veränderte Weltlage die variable Bündnisfähigkeit und | |
Handlungsbereitschaft immer wichtiger wird. Gerade weil Rechts- und andere | |
Populisten mit Ideologie reüssieren. | |
## Klares Abgrenzungspotential | |
So gesehen ist es ein gutes Zeichen für die Liberaldemokratie, dass die FDP | |
aus dem Bundestag gewählt wurde, weil beinharte Ideologen wie Parteichef | |
Christian Lindner und Ex-Bundestagsmitglied Wolfgang Kubicki von ihrer | |
Schuldenbremsenideologie nicht abweichen wollten. So ist auch der Vorwurf | |
an den mutmaßlich nächsten Kanzler Friedrich Merz, er halte sein | |
Wahlversprechen nicht, zwar richtig, führt aber zu nichts. Das Problem ist | |
nicht, dass Merz im Ansatz jene [4][Habeck-Investitionspolitik] umsetzen | |
will, die er im Wahlkampf verteufelte. Es zeigt, das zumindest Merz beim | |
Regieren die Realität vor die Ideologie stellt, was immer die zentrale | |
Stärke der CDU war. Das Problem indes ist, dass die völlig veränderte Lage | |
nicht im Wahlkampf thematisiert wurde – und nun in großen Teilen weiter | |
ignoriert werden soll. | |
Der Gedanke ist schlüssig, dass die Grünen als Verantwortungspartei | |
inhaltlich den zügigen Investitionen in europäisch angelegte Verteidigung | |
zustimmen, nicht aber der nationalen Infrastrukturgießkanne und schon gar | |
nicht der Ignoranz gegenüber Klimapolitik. Damit hätten sie auch ein klar | |
abgegrenztes Oppositionsprofil gegenüber der Linkspartei. | |
Entscheidend aber wird sein, ob es auf dieser Grundlage gelingt, sich eben | |
nicht wieder zum Klima-Moral-Dingsbums reduzieren zu lassen, sondern neues | |
Vertrauen aufzubauen in die Grünen als Partei der bürgerlichen, | |
zivilisatorischen und europäischen Werte. Die als vorerst Einzige auf | |
Diskussion und Lösung der neuen Realitäten dringt, aber eben niemals in der | |
Sicherheitszone einer moralischen Minderheit, sondern stets mit dem | |
Prinzip, die dafür notwendigen Allianzen mit anderen aufzubauen. | |
11 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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