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# taz.de -- Grüne nach der Bundestagswahl: Opposition ist nicht nur Mist
> Eigentlich wollten die Grünen weiter regieren. Jetzt stehen die Zeichen
> auf Schwarz-Rot. Damit entsteht unverhoffter Raum für Reflexion und
> Neustart.
Bild: Will nicht mehr in die erste Reihe: Robert Habeck auf einer Wahl-„Party…
Berlin taz | Für die Grünen war die letzte Woche in Berlin überschaubar.
Montag: Get-Together mit den wenigen neuen Abgeordneten. Dienstag:
Gemeinsame Sitzung der alten und neuen Fraktion. Mittwoch: [1][Wahl der
kommissarischen Fraktionsspitze]. Am Donnerstag standen im Bundestag auch
noch ein paar Termine an, aber dann konnten die meisten zurück in den
Wahlkreis fahren. Karneval, Fastnacht oder einfach mal durchatmen. [2][Er
wolle am Wochenende mit der Familie bereden], was alles ansteht, erzählte
Robert Habeck seinen Followern in der ersten Videobotschaft nach der Wahl.
Eigentlich wollten die Grünen jetzt weniger Zeit haben. Wäre alles gelaufen
wie gewünscht, wären sie am Wochenende mit Sondierungen beschäftigt. Aber
mit dem Wahlergebnis von 11,6 Prozent eilt jetzt höchstens die Frage, wen
die Fraktion als Bundestagsvizepräsidentin vorschlägt.
Wie schnell es doch gehen kann. Noch vor drei, vier Jahren kam an den
Grünen kaum jemand vorbei, der irgendwo im Land regieren wollte. Ihre
Wahlergebnisse waren top, ihre Themen angesagt. Jetzt reicht es im Bund
nicht mal mehr rechnerisch zu einer Regierungsbeteiligung. Ohnehin wurde
Schwarz-Grün von der Union ebenso abgelehnt wie von deren Wähler*innen.
Dass sich Habeck seit Jahren so sehr darum bemühte, Brücken ins
konservative Lager zu bauen? Dass er davon auch als Kanzlerkandidat nicht
abließ? Half nicht. Stattdessen verfingen die Kampagnen gegen ihn: Umfragen
zufolge halten ihn die Deutschen nachhaltig für nett, aber inkompetent.
Habecks Plan ging nicht mehr auf, und jetzt, da die Wahl verloren ist und
der Kandidat die erste Reihe verlässt, beginnt für die Partei die Suche
nach einem neuen Kurs.
## Der linke Flügel will nach links
Wer wollen die Grünen in den nächsten Jahren sein? Hätten sie mit Verlusten
weiterregiert, hätte sich die Frage so groß nicht gestellt. Es hätte ein
paar Korrekturen gegeben, Ideen dafür gab es schon: Kompromisse anders
verkaufen, mehr Selbstbewusstsein bei den eigenen Erfolgen zeigen und mehr
Ehrlichkeit bei den Kröten, die man dafür schlucken muss. Hätte. Das führt
jetzt aber zu nichts mehr.
In der Opposition kommt man selten in die Verlegenheit, einen Kompromiss
kommunizieren zu müssen. Die Debatte, die jetzt ansteht, ist grundlegender.
Gut vorbereitet sind die Grünen darauf nicht: Sie hatten sich nicht darauf
eingestellt, das Regieren nach nur drei Jahren wiedereinzustellen.
Immerhin haben sie aber zum ersten Mal seit Jahren die Gelegenheit,
ausführlich über sich selbst nachzudenken. Schon 2021 ging die
Bundestagswahl schlechter aus, als es damals möglich gewesen wäre. 2024
verloren die Grünen die Europawahl und drei Landtagswahlen. Danach gab es
zwar Analysen. Parallel hatte die Partei aber auch stets zu sondieren oder
zu regieren und Rücksicht zu nehmen auf ihre Leute in Verantwortung. Einer
gründlichen Aufarbeitung stand das im Weg.
Jetzt ist die Chance da. In den Gremien, in der Fraktion und in den Runden
der Parteiströmungen läuft die Diskussion seit Montag an. Der
Parteivorstand wird wohl bald einen strukturierten Prozess aufsetzen. Der
Vorsatz lautet, dass nicht jeder Flügel nur seine erwartbaren
Glaubensvorsätze vorträgt: Der linke Flügel will nach links, die Realos
wollen nach rechts.
## Oder doch Richtung Union?
Dabei gibt es für Ersteres nach dem Wahlsonntag natürlich ein neues
Argument. In der Ampel-Zeit war lange spürbar, aber nicht messbar, dass die
Grünen am linken Ende ihres Wähler*innen-Spektrums an Zustimmung verlieren.
Bei der Europawahl waren die Zuwächse für Volt und andere Kleinparteien ein
Indiz, aber nur ein diffuses. Jetzt sind die Abwanderung zur
wiederauferstandenen Linkspartei und die starken Verluste in Kreuzberg und
anderen urbanen Grünen-Hochburgen unübersehbar.
Manche in der Partei hatten in den letzten Wahlkampfwochen gewittert, dass
sich etwas verschiebt. Sie nahmen in ihrem Umfeld wahr, dass Leute wieder
zur Linkspartei tendieren. Es war die Zeit rund um die Brandmauer-Debatte
und [3][Habecks Zehn-Punkte-Plan zur Migrationspolitik]. Intern drangen die
Warnungen aber lange nicht durch. Erst fünf Tage vor der Wahl reagierten
die Grünen in ihrer Kampagne, schlecht vorbereitet und hilflos. [4][Den
Wechselwähler*innen, die fürchteten, die Grünen würden sich in einer
Koalition billig an Merz verkaufen], riefen sie zu: Wählt nicht die Linke,
die würde ja gar nicht mit Merz koalieren!
Lassen sich diese Wähler*innen zurückgewinnen, ohne einen Flügelstreit
zu riskieren? In Teilen schon. Allein die neue Rolle in der Opposition wird
helfen: Die Grünen müssen nicht mehr quartalsweise erklären, dass sie aus
Koalitionsräson gegen die eigenen Überzeugungen stimmen. In Teilen wird es
aber ohne Richtungsentscheidung nicht gehen. Dass Habecks Zehn-Punkte-Plan
ein Fehler war, ist zum Beispiel kein Konsens. Manche Realos sehen das
Problem eher darin, dass die Partei nicht geschlossen dahinterstand. Sie
verweisen auf die Verluste, die es auch in Richtung CDU/CSU gab.
Und wie die Grünen dort wieder punkten können, kann auch den Parteilinken
nicht ganz egal sein. Manchen von ihnen dort dämmert das schon. Langfristig
will schließlich kein Grüner in der Opposition bleiben. Wenn aber die nach
rechts weggaloppierende Union nicht die einzige Machtoption bleiben soll,
reicht es nicht aus, drei Prozentpunkte innerhalb des Mitte-links-Lagers
zurückzuholen. Das Lager müsste auch wieder wachsen. Auf die SPD, zu einer
Koalition mit Merz verdammt, sollte man dabei fürs Erste nicht bauen. Die
Mitte bleibt für die Grünen also relevant.
Wie können sie dort nach der Ära Habeck wieder punkten, ohne auf der linken
Seite dauerhaft zu verlieren? Schwierige Frage. Aber vielleicht kann der
gescheiterte Kanzlerkandidat inspirieren. 2005 war Habeck
Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, als die Partei dort aus der
Regierung flog und plötzlich viel Zeit hatte. Der Landesverband nutzte sie,
um in Ruhe seinen neuen Weg auszudiskutieren. „Es war wie
Bettenausschütteln und Durchlüften“, erinnerte sich Habeck in einem seiner
Bücher. Danach ging es aufwärts.
28 Feb 2025
## LINKS
[1] /Gruene-nach-der-Wahl/!6068637
[2] /Die-Gruenen-nach-der-Bundestagswahl/!6068460
[3] /Gruenen-Kritik-an-Habecks-Migrationsplan/!6069006
[4] /Werben-um-Wechselwaehlerinnen/!6070913
## AUTOREN
Tobias Schulze
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