# taz.de -- Bundestagswahl 2025: Mehr gewollt und links verloren | |
> Mit restriktiver Migrationspolitik und wenig Klima hat die Partei um | |
> Kanzlerkandidat Robert Habeck Wahlkampf gemacht. Mit überschaubarem | |
> Erfolg. | |
Bild: Beifall für Robert Habeck von Annalena Baerbock und den beiden Parteivor… | |
Berlin taz | Eine halbe Stunde nach der ersten Prognose tritt auf der | |
Wahlparty der Grünen in Berlin-Kreuzberg Robert Habeck auf die Bühne. „Das | |
war exakt der Wahlkampf, von dem ich geträumt habe, den ich führen wollte“, | |
sagt er und erhält Applaus. Ein Erfolg war dieser Wahlkampf aber nicht, und | |
das gesteht der Kanzlerkandidat einige Sätze später selbst ein. „Man muss | |
auch sagen, dass ich mehr wollte.“ | |
Rund 12 Prozent der Stimmen haben die Grünen laut Hochrechnungen erhalten. | |
Das wäre an und für sich kein Desaster. [1][Als einzige der drei | |
Ampelparteien haben sie im Vergleich zur letzten Bundestagswahl (damals: | |
14,8 Prozent) nicht massiv an Stimmenanteilen verloren.] Seit dem | |
Regierungsbruch im Herbst haben sie sogar leicht an Zuspruch gewonnen: | |
Damals waren sie in Umfragen knapp vor der Einstelligkeit. Es hätte | |
schlimmer enden können. | |
Die eigenen Ansprüche waren aber andere, da hat Habeck recht: 2021 durfte | |
die damalige Spitzenkandidatin Annalena Baerbock mit ihrem Ergebnis nicht | |
Vizekanzlerin werden, sie musste den Platz an der Sonne an ihn abgeben. | |
Dieses Mal trat er erklärtermaßen an, um „Bündniskanzler“ zu werden – … | |
das jetzige Ergebnis offensichtlich auch nicht reicht. Der Kampf um die | |
führende Rolle in der linken Mitte ist auch wieder verloren, trotz der | |
historischen Schwäche der SPD kommen die Grünen nicht an sie heran. | |
Fast schon bizarr wirkt das Resultat sogar, wenn man es mit der Stimmung | |
auf den Wahlveranstaltungen der Grünen vergleicht. [2][Die Wahlkampagne, | |
stark auf den Kandidaten Habeck zugeschnitten,] sorgte unter den eigenen | |
Anhänger*innen zwischenzeitlich für eine richtige Euphorie. Die Hallen | |
waren überfüllt, die Mitgliedszahlen schossen nach oben. An der Wahlurne | |
aber stößt die grüne Doppelstrategie – Kernwähler*innen halten und | |
gleichzeitig in neue Milieus vorstoßen – in polarisierten Zeiten offenbar | |
an Grenzen. | |
Am deutlichsten zeigte sich das an der Debatte rund um die gemeinsame | |
Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag im Januar. Die Grünen | |
kritisierten Friedrich Merz heftig für seine Abrissarbeiten an der | |
Brandmauer und hofften auf einen Wendepunkt für den Wahlkampf. | |
## Rechts blinken, links verlieren | |
Sehr schnell machten sie aber auch sehr klar: Nach der Wahl könnten sie | |
sich eine schwarz-grüne Koalition trotz allem noch vorstellen. Einerseits | |
aus staatspolitischer Verantwortung, damit das Land nicht unregierbar wird. | |
Andererseits, weil sie nach nur drei Jahren in der Regierung wenig Lust auf | |
Opposition verspüren und jenseits der Union keine Machtoption in Sicht ist. | |
[3][Gleichzeitig veröffentlichte Habeck einen Zehnpunkteplan mit eigenen, | |
vornehmlich restriktiven Vorschlägen zur Migrationspolitik.] Gegenüber | |
Wähler*innen aus der Mitte wollte er in dem Bereich nicht blank | |
dastehen. Für Widerspruch sorgte das aber im linken Flügel der eigenen | |
Partei, der in dem Papier liberale Akzente vermisste. | |
Im Ergebnis haben die Warnungen vor einem Rechtsruck unter Merz den Grünen | |
nicht geholfen. Zugelegt hat im Anschluss nur die Linkspartei. In den | |
letzten Wahlkampftagen reagierten die Grünen auch darauf: [4][Sie | |
adressierten nun linke Wechselwähler*innen, die sie in ihrer Kampagne zuvor | |
kaum explizit angesprochen hatten.] In Werbeclips und Wahlkampfreden hieß | |
es von nun an, Stimmen für die Linken seien verschenkt, da diese nicht | |
gewillt seien, Verantwortung zu übernehmen (sprich: mit Merz zu koalieren). | |
Geholfen hat es aber nicht mehr: [5][Laut Daten, die Infratest Dimap für | |
die ARD erhoben hat], haben die Grünen im Vergleich zu 2021 mehr als | |
600.000 Stimmen an die Linken verloren – so viele wie an keine andere | |
Partei. Unter Unions-Wähler*innen, auf die es Habeck abgesehen hatte, | |
konnte die Partei gleichzeitig aber auch nicht punkten. | |
## Habeck konnte nicht anders | |
In seiner ersten Analyse auf der Wahlparty spricht Habeck selbst davon, | |
dass die grüne Rolle in der Brandmauer-Debatte ein Problem war. Wendepunkt | |
ja, aber in die falsche Richtung: Bis Mitte Januar habe der Trend für die | |
Grünen gut ausgesehen. „Dann haben viele Leute gesagt: So nicht, nicht | |
Friedrich Merz und nicht regieren mit der Union.“ Die Linkspartei hätte | |
dieses Versprechen leicht abgeben können, den Grünen sei dieser Weg aber | |
„versperrt“ gewesen. Beziehungsweise: „Der Weg wäre zumindest für mich | |
nicht möglich gewesen.“ | |
Das stimmt wohl: Eine Koalition ausschließen, freiwillig in die Opposition | |
gehen – das hätte allem widersprochen, wofür Robert Habeck als Politiker | |
steht. | |
Allerdings gab es für die Grünen in diesem Wahlkampf auch noch andere | |
Probleme. Schwer taten sie sich zum Beispiel damit, neben der | |
Migrationsdebatte noch eigene Themen zu setzen. Zuletzt schlugen sie | |
deswegen auch vermehrt medienkritische Töne an: In den Talkshows sei es zu | |
selten um die Themen gegangen, die die Menschen tatsächlich interessierten, | |
hieß es auch von Habeck. | |
## Eigene Themen drangen nicht durch | |
Unter anderem drangen die Grünen mit ihren Vorschlägen zur Klimapolitik | |
schlecht durch. Auch bei ihren Forderungen zur sozialen Gerechtigkeit lief | |
es nicht optimal. Programmatisch lag hier eigentlich ein Schwerpunkt der | |
Kampagne. Habeck sagte vor der Wahl zur taz, das Thema sei ihm ebenso | |
wichtig wie der Klimaschutz. Dem Vorurteil, nur Gutverdienende könnten es | |
sich leisten, die Grünen zu wählen, wollte die Partei nach den Krisen- und | |
Inflationsjahren etwas entgegensetzen. | |
Breit wahrgenommen wurde das aber nur einmal: Als Habeck in einem | |
ARD-Interview die Forderung aus dem Wahlprogramm wiedergab, dass auch auf | |
Zinsen und Dividenden Abgaben für die Krankenversicherungen fällig werden | |
sollten. Dass es ihnen dabei nur um die Kapitalerträge der Reichen geht, | |
stellten die Grünen allerdings erst spät klar. | |
Medial setzte sich daher etwas anderes fest: Mit den Grünen wird es für | |
alle teuer. Und als Infratest Dimap am Wahltag nachfragte, welcher Partei | |
die Menschen am ehesten zutrauen, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, | |
landeten die Grünen abgeschlagen auf dem letzten Platz. Mit 6 Prozent, noch | |
ein Prozentpunkt weniger als bei der letzten Wahl. | |
23 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Alles-zur-Bundestagswahl/!6071029 | |
[2] /Wahlplakate-der-Gruenen/!6065200 | |
[3] /Gruene-Asyl--und-Sicherheitspolitik/!6064914 | |
[4] /Werben-um-Wechselwaehlerinnen/!6070913 | |
[5] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/analyse-wanderung.sh… | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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