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# taz.de -- Die Grünen nach der Bundestagswahl: „Ja, pff!“
> Die Grünen kamen bei der Wahl nur auf 11,6 Prozent. Spitzenkandidat
> Robert Habeck schmeißt genervt hin. Und in der Partei startet die
> Strategiedebatte.
Bild: Die eine macht weiter, der andere ist raus: Annalena Baerbock und Robert …
Berlin taz | Robert Habeck beendet seine Ära lapidar. Sieben Jahre lang hat
er die Grünen geprägt, erst als Parteichef, dann als Vizekanzler. Um über
100.000 Mitglieder ist die Partei in dieser Zeit gewachsen. Erst unter ihm
wurden die Grünen so stark, dass ein zweistelliges Wahlergebnis als
Niederlage gelten kann.
Wie ein Popstar wurde er zwischenzeitlich gefeiert. Er konnte reden wie
kaum einer vor ihm. Er konnte Brücken schlagen in neue Milieus. Zumindest
in den ersten Jahren, als noch nicht alles so polarisiert war. Jetzt macht
er Schluss, kurz und schmerzhaft auf dem Podium der Bundespressekonferenz
in Berlin.
„Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr
beanspruchen oder anstreben“, sagt er dort am Montagvormittag während
seiner Analyse des Wahlausgangs. Dann wechselt er das Thema, spricht über
den Rechtsruck, die Normalisierung der AfD im Wahlkampf, die Reform der
Schuldenbremse.
Minute um Minute, als müsse er eine dicke Schicht an Sätzen über die für
ihn bittere Erkenntnis legen: Es ist vorbei. Theoretisch bleibt ihm zwar
noch ein Bundestagsmandat, aber ob er das annimmt oder ob er ganz
hinschmeißt, ist offen. Fragen danach beantwortet er am Montag nicht.
## Unter Habeck massiv verloren
Nach dem Wahlergebnis vom Vorabend – [1][nur 11,6 Prozent für die Grünen
und keine Chance aufs Regieren] – kommt das Aus nicht überraschend.
Fraglich war schon zuvor, ob Robert Habeck überhaupt Lust hätte, in der
zweitkleinsten Fraktion Oppositionsarbeit zu machen. Er, der zeit seiner
politischen Karriere vorne stand, der direkt nach seinem Eintritt in die
Partei Kreisvorsitzender wurde und der immer nach Regierungsämtern gestrebt
hat.
Fraglich war aber auch, welche Rolle ihm Partei und Fraktion überhaupt noch
zugestanden hätten. In den öffentlichen Reaktionen auf seinen Rückzug
schwingt am Montag zwar viel Wertschätzung mit. Seine Verdienste sind ja
nicht weg. Aber in der Opposition haben die Grünen nicht mehr viele
Spitzenjobs zu vergeben, und viele in der Partei sehen bei ihm als
Kanzlerkandidaten einen großen Anteil an der Wahlniederlage. Er ist einen
mittigen Kurs gefahren und hat massiv nach links verloren – eine
erfolgreiche Bewerbung um ein Spitzenamt sieht anders aus.
Laut Infratest Dimap [2][haben die Grünen ganze 700.000 Wähler*innen an
die Linkspartei verloren]. Ehemalige Hochburgen in den Großstädten sind
weg. Sogar das Erbe von Hans-Christian Ströbele ist verspielt: Zum ersten
Mal seit 1998 sind die Grünen daran gescheitert, das Direktmandat im
Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg zu holen. Auch das haben ihnen
die Linken abgenommen.
Gleichzeitig ist der erhoffte Zuwachs in der politischen Mitte
ausgeblieben. Auf die sogenannte „Merkel-Lücke“ hatte es Habeck dort
abgesehen. Auf ehemalige Wähler*innen von CDU und CSU also, die 2021
noch für Armin Laschet stimmten, 2025 aber nichts mit Friedrich Merz zu
tun haben wollen. Stattdessen haben die Grünen auch in diese Richtung
massiv verloren.
## Politik der Kompromisse
„Es war ein großartiger Wahlkampf. Die Mobilisierung der Partei war stark.
Die Kampagne war toll“, sagt Robert Habeck trotz allem während seiner
Pressekonferenz am Montag. Natürlich kommen dazu Nachfragen. Bei diesem
Ergebnis kann doch nicht alles super gewesen sein? „Das Angebot war top,
die Nachfrage war nicht so …“ – der Rest des Satzes geht unter im Lachen
der Journalist*innen.
Trotzig wirkt der gescheiterte Kanzlerkandidat in diesem Moment. In sich
ist aber eigentlich stimmig, was er da erzählt. Wenn Robert Habeck in einem
Punkt prinzipienfest ist, dann in seiner politischen Methode: Kompromisse
schmieden, den Ausgleich suchen, auf die Gegenseite zugehen. [3][„Das ist
mein politischer Anspruch. So will ich agieren“, antwortete er der taz vor
einem Jahr auf die Frage], ob sein Ansatz überhaupt noch in die Zeit passt
– nachdem die Union ihn zum Feindbild erkoren hatte, nachdem ein wütender
Mob an einem Fähranleger an der Nordsee auf ihn wartete.
Die Frage, ob er in diesem Wahlkampf etwas grundsätzlich hätte anders
machen können, stellt sich aus so einer Perspektive überhaupt nicht. Hätte
er nicht. Zu etwas anderem ist er nicht in der Lage. Und wenn diese Methode
eben doch nicht mehr in die Zeit passt, dann müssen jetzt andere ran.
Sein Angebot „wurde nicht ausreichend gewollt“, sagt er am Montag in
Berlin. „Entsprechend nehme ich die Verantwortung dafür auf mich.“
## Auf nach links?
Für den Rest der Partei tut sich damit eine große Frage auf: Welches
Angebot wollen die Grünen stattdessen machen, wer sind sie nach der Ära
Habeck? Dass sie in der nächsten Legislaturperiode nicht regieren werden,
dass es dafür keine rechnerische Möglichkeit gibt und sie nicht mal
sondieren müssen, hat zumindest einen Vorteil: Sie haben jetzt Zeit, diese
Frage zu diskutieren. 2021 stolperten sie von einem verkorksten Wahlkampf
direkt in die Ampel, jetzt gibt es Raum für eine grundsätzliche Analyse.
Der linke Flügel hat für die Debatte seit Sonntagabend ein gewichtiges
neues Argument. Die Abwanderung zu den Linken sieht er als Bestätigung der
eigenen Kritik. „Wir haben Leuten, die uns immer gewählt haben, drei Jahre
lang vermittelt, dass sie uns nicht mehr so wichtig sind“, sagt der
Europaabgeordnete Rasmus Andresen der taz. „Durch politische
Entscheidungen, aber auch durch unsere Anmutung: Wir haben schmerzhafte
Kompromisse so verkauft, als ob sie der größte grüne Erfolg der Geschichte
wären. Es ist kein Wunder, dass sich diese Leute daran erinnern und uns den
Rücken kehren.“
Ähnlich klingt die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte. „Wir haben uns als
Partei in den letzten Jahren, aber auch während des Wahlkampfes, auf eine
sich immer weiter nach rechts treibende Debatte in der Migrationspolitik
eingelassen“, sagt sie. Darunter habe die Unterscheidbarkeit der Grünen von
SPD und CDU gelitten. „Wir haben die alltäglichen Sorgen der Menschen wie
Sorgen um den Arbeitsplatz, steigende Lebenshaltungskosten und fehlende
Kita-Plätze aus dem Blick verloren.“ Dadurch habe man Hunderttausende an
die Linke verloren.
Ähnliches ist von Parteilinken seit Sonntagabend vielfach zu hören. Beim
Versuch, der Mitte zu gefallen, sei untergegangen, wofür die Grünen
eigentlich stehen. Die eigenen Themen, [4][etwa die Klimapolitik], habe man
im Wahlkampf zu verschämt kommuniziert. An Friedrich Merz habe man sich
nach dem Fall der Brandmauer im Bundestag zu sehr angebiedert.
## Verloren in alle Richtungen
Mit dem [5][restriktiven Zehn-Punkte-Papier zur Migrationspolitik], kurz
darauf veröffentlicht, habe man endgültig Wähler*innen zur Linken
getrieben. Vor allem Letzteres wird nicht nur Habeck angekreidet, sondern
auch Parteichefin Franziska Brantner, der im linken Flügel eine
unglückliche Rolle nachgesagt wird.
Es gibt in der Partei aber auch die Gegenposition. Am Montagmorgen, noch
vor Habecks Rückzug, ist im Deutschlandfunk Cem Özdemir zugeschaltet. Er
möchte nächstes Jahr in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden und
denkt nicht daran, den Kurs nach links zu korrigieren. Sein Argument: Die
Grünen haben am Sonntag auch Hunderttausende Wähler*innen an Union, BSW
und AfD verloren.
Auch die Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta schließt sich den Deutungen
der Parteilinken nicht an, sondern sieht das Problem eher bei den äußeren
Umständen. „Der entscheidende Punkt war der Tabubruch von Friedrich Merz,
mit der AfD abzustimmen.“ Damit habe Merz ein „[6][Konjunkturprogramm für
die Linkspartei] geschaffen: Nur die Linkspartei versprach, auf keinen Fall
mit Merz zu regieren“, sagt sie.
Die Grünen hätten von allen Ampel-Parteien am wenigsten verloren, was ein
Zeichen dafür sei, „dass unsere Errungenschaften wie der Rekordausbau bei
den Erneuerbaren anerkannt werden, aber dieses Wahlergebnis drückt vor
allem den Preis aus, den auch wir für diese Koalition bezahlen“.
## Baerbock macht weiter
Während seiner Pressekonferenz am Vormittag wird auch Robert Habeck nach
der Strategiedebatte gefragt. Würde er der Partei raten, wieder stärker
linke Politik zu machen? „Ich rate ihnen gar nichts“, antwortet er. Auch
das sollen jetzt eben andere klären. Annalena Baerbock zum Beispiel, die
auf dem Podium neben ihm sitzt, für einen ähnlichen Kurs wie Habeck steht,
aber im Gegensatz zu ihm weitermachen möchte? Von persönlichen Konsequenzen
spricht sie nicht, im Gespräch ist sie als neue Fraktionschefin.
Ein Selbstläufer wird das auch für Baerbock nicht. Aber anders als bei der
letzten Wahl war sie diesmal nicht die Kandidatin, diesmal bleibt an ihr
weniger hängen. Ausgeglichen wirkt sie an diesem Montag auf dem Podium.
Anders als Habeck, der nach einer Dreiviertelstunde spürbar keine Lust mehr
hat, noch länger hier rumzusitzen.
Ob es Gespräche mit der Union über eine Verfassungsänderung zur
Schuldenbremse gibt, will eine Journalistin wissen. Dafür wären die Stimmen
der Grünen nötig. „Ja, pff!“, koffert Habeck sie an. „Schwarz und Rot r…
miteinander. Wir sind nicht gewählt worden, um Gespräche zu führen.“ Ein
paar Minuten läuft die Pressekonferenz danach noch. Dann ist es wirklich
vorbei.
24 Feb 2025
## LINKS
[1] /Bundestagswahl-2025/!6070935
[2] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/analyse-wanderung.sh…
[3] /Gruener-Wirtschaftsminister/!6003076
[4] /Gruene-Jugend-Sprecher-ueber-Klimaprotest/!6065439
[5] /Gruenen-Kritik-an-Habecks-Migrationsplan/!6069006
[6] /Linken-Chefin-Ines-Schwerdtner-vor-Wahl/!6069392
## AUTOREN
Tobias Schulze
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