# taz.de -- Wahlniederlage von Olaf Scholz: Kein sozialdemokratisches Wunder | |
> Die SPD erreicht bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis seit | |
> Gründung der Bundesrepublik. Wie stellt sich die Partei jetzt auf? | |
Bild: Olaf Scholz am Wahlabend in der SPD Zentrale in Berlin am 23.02.2025 | |
Berlin/taz | Zu Feiern haben [1][Olaf Scholz] und die Sozialdemokraten an | |
diesem Sonntag lediglich zwei Dinge: Den Geburtstag von Co-Parteichef Lars | |
Klingbeil. Und den der Kanzler-Gattin Britta Ernst. Scholz wird in Zukunft | |
mehr Zeit mit seiner Frau verbringen können, denn seine Tage als Kanzler | |
sind gezählt. Hochrechnungen zufolge haben er und seine Genoss:innen bei | |
der Bundestagswahl nur 16 Prozent der Wähler:innen überzeugt. Damit | |
liegen sie weit hinter der Union, deutlich hinter der AfD und konkurrieren | |
mit den Grünen um den dritten Platz. | |
Es ist das schlechteste Wahlergebnis für die Sozialdemokraten seit Gründung | |
der Bundesrepublik. Die Partei verliert etwa neun Prozentpunkte im | |
Vergleich zur Wahl 2021 und fällt erstmals unter die 20-Prozent-Marke, der | |
sie schon im vergeigten Wahlkampf 2017 bedrohlich nahekam. | |
In der Parteizentrale wurde das Ergebnis vom Publikum mit Schweigen | |
quittiert. Lediglich das Ergebnis der Linken rief ein Raunen hervor. Olaf | |
Scholz dankte den Wahlkämpfern für ihren Einsatz und übernahm die | |
Verantwortung für das schlechte Ergebnis. Er beglückwünschte Merz, der nun | |
den Auftrag habe, eine Regierung zu bilden. Scholz sagte, es sei eine | |
„große Ehre“, Kanzler zu sein, und rief seine SPD zur Geschlossenheit auf. | |
Es waren Worte des Abschieds. | |
Parteichef Lars Klingbeil bezeichnete das Ergebnis als „Zäsur“. Die SPD | |
müsse sich „programmatisch, organisatorisch und auch personell“ neu | |
aufstellen. Der Generationenwechsel müsse jetzt eingeläutet werden. Was das | |
für ihn selbst bedeute, ob Klingbeil sich als Teil der alten Garde oder des | |
Neuanfangs sieht, ließ er offen. | |
Das Debakel der Sozialdemokraten ist jedoch nur zum Teil hausgemacht. Dass | |
der Kanzler nach dem ruhmlosen Ende der Ampel erneut als Spitzenkandidat | |
antrat, sehen rückblickend sicher viele als Fehler. Das Kalkül, dass sich | |
der erfahrene Politiker im Duell gegen den unerfahrenen Unionskandidaten | |
durchsetzen würde, ging nicht auf. Obwohl Scholz in den Fernsehduellen und | |
Quadrellen mit Sachkenntnis punkten konnte und er energischer und | |
emotionaler als sonst auftrat, blieben seine Beliebtheitswerte im kurzen | |
Winterwahlkampf stets hinter denen der Konkurrenten zurück. | |
## Mit Pistorius alles besser? | |
Zumal Scholz sich Fehler leistete, die das Image des besonnenen Anführers | |
ankratzten. [2][Unbedachten Äußerungen bei einer Privatparty] („Hofnarr“), | |
die von einem dabei stehenden Journalisten veröffentlicht wurden, waren | |
harsche Äußerungen gegen Friedrich („Fritze“) Merz und eine verstolperte | |
Festlegung des Wahltermins vorangegangen. | |
Der Eindruck, der haften blieb: Scholz hatte das Zepter und zuweilen auch | |
sich selbst nicht mehr im Griff. Für die anstehende Zeitenwende mit einer | |
auf Konfrontation getrimmten US-Administration und einem siegessicheren | |
Russland sehen die meisten Wähler:innen den Kanzler nicht mehr als | |
Führungsfigur. | |
Ob die SPD mit Verteidigungsminister Boris Pistorius die hätte aufholen | |
können, ist ungewiss. Denn mit keinem ihrer intern als „Kopfnicker-Themen“ | |
bezeichneten Anliegen konnten die Sozialdemokraten durchdringen: Weder mit | |
stabilen Renten, 15 Euro Mindestlohn, der angestrebten Verlängerung der | |
Mietpreisbremse oder auch der Investitionsprämie, Made-in-Germany-Bonus | |
genannt. All diese Themen wurden nach den Anschlägen von Magdeburg, | |
Aschaffenburg, München und nun am Holocaust-Mahnmal in Berlin überwölbt, | |
die aus unterschiedlichen Motiven, aber jeweils von Ausländern verübt | |
wurden. Die Asyl- und Migrationspolitik wurde zum Großthema des Wahlkampfs. | |
Hier konnten Scholz und Co. dem seit Jahren von der AfD propagierten und | |
von der Union übernommenen Verschärfungsmix aus Zurückweisungen und | |
Abschiebungen kein Gegenangebot entgegensetzen. Scholz betonten lediglich | |
ein ums andere Mal, dass solche Verschärfungen längst geplant, aber | |
europarechtskonform umgesetzt werden müssten. | |
Auch die Entrüstung über den [3][Tabubruch von Merz], der im Bundestag für | |
einen Antrag und ein Gesetz zur Begrenzung der Migration erstmals auf | |
Mehrheiten mit der AfD gesetzt hatte, zahlte am Ende nur bei der | |
Linkspartei ein. Obwohl die Parteibasis, wie es aus SPD-Parteikreisen hieß, | |
„wie elektrisiert“ gewesen sei. Doch der Tabubruch bewirkte keinen | |
Umschwung, was wohl auch daran lag, dass eine künftige Koalition aus Union | |
und SPD seit Mitte Januar in der Luft liegt. | |
„Katastrophal“, so fasste die Berliner Wirtschaftsenatorin Franziska Giffey | |
das SPD-Ergebnis gegenüber der taz zusammen. Florian von Brunn, Mitglied | |
des SPD-Parteivorstands, genügte ebenfalls zunächst ein Wort: „Schlimm“. | |
Von Brunn sieht die Gründe für das schlechte Abschneiden in der | |
zerbrochenen Ampelkoalition. „Wir sind daran gescheitert, dass es zu viel | |
Streit in der Ampel gab und wir die Leute im Wahlkampf nicht mehr erreicht | |
haben.“ Giffey betonte ebenfalls: „Es ist nicht gelungen, die Leute von | |
unserem Angebot zu überzeugen.“ Die Themen Sicherheit, Angst vor | |
Wohlstandverlust und Migration hätten den Wahlkampf geprägt. „Und wenn über | |
50 Prozent rechte und konservative Parteien wählen, haben wir offenbar | |
keine überzeugenden Antworten geliefert.“ | |
Der Vorsitzende der Jusos Brandenburg, Leonel Richy Andicene, sagte | |
gegenüber der taz, die SPD hätte nicht die richtigen Akzente gesetzt. | |
„Statt soziale Fragen und Umverteilung zu thematisieren, hat man sich von | |
rechts in eine Migrationsdebatte treiben lassen und immer härtere und | |
striktere Maßnahmen gefordert.“ Laut Andicene sollte die SPD jetzt in sich | |
gehen und das Wahlergebnis ehrlich analysieren, statt schnell in die | |
nächste Regierung einzutreten. Giffey sieht das anders. Gegenüber der taz | |
betonte sie: „Die SPD hat angesichts der weltpolitischen Herausforderungen | |
mit Trump und Putin jetzt die Aufgabe, ihren Beitrag zu einer schnellen und | |
handlungsfähigen Regierung zu leisten.“ In welcher Konstellation, ob zu | |
zweit oder zu dritt, ist auch nach den ersten Hochrechnungen unklar. | |
## Keine Zeit für keine Regierung | |
Obwohl die geopolitische Lage alarmierend ist und Deutschland sich keinen | |
Leerlauf leisten kann, wird die Koalitionsbildung kein Selbstläufer. Und | |
dann schaffte es Merz zum Abschluss des Wahlkampfes mögliche | |
Koalitionspartner noch mal richtig auf die Palme zu bringen: Er werde | |
Politik für die Mehrheit machen, die gerade denke und „alle Tassen im | |
Schrank“ habe – und nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner�… | |
SPD-Chef Klingbeil kritisierte: „Friedrich Merz macht auf den letzten | |
Metern des Wahlkampfes die Gräben in der politischen Mitte unseres Landes | |
nochmals tiefer.“ | |
Klingbeil sowie Pistorius und Generalsekretär Miersch gelten als | |
Ansprechpartner für Sondierungen. Doch gerade an Klingbeil, der sich als | |
Parteichef massiv in die Planung des Wahlkampfs warf, klebt nun das | |
schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Am Montagvormittag kommen in der | |
Berliner Parteizentrale Vorstand und Präsidium zusammen. Mittags treten | |
dann Scholz, Klingbeil und Co-Vorsitzende Saskia Esken vor die Presse. Dann | |
wird klarer werden, wie es weitergeht – in Deutschland und in der SPD. | |
23 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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