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# taz.de -- SPD in der Krise: Der schwere Weg zur Groko
> Die SPD steckt in ihrer größten Krise, während die CDU als Wahlsieger die
> Regierungsbildung vorantreibt. Merz drängt auf schnelle
> Sondierungsgespräche.
Bild: Keine rosige Zukunft für die SPD: Saskia Esken und Lars Klingbeil auf de…
Berlin taz | Ganz Ostdeutschland ist braun! Ganz Ostdeutschland? Nein, ein
kleiner Wahlkreis geht an die SPD, nämlich Potsdam-Mittelmark-Teltow. Dort
wählen die Menschen den Kandidaten Olaf Scholz direkt in den Bundestag. Man
kann es schon als Situationskomik bezeichnen, dass der Kanzler und
Spitzenkandidat, mit dem die Sozialdemokratie am Sonntag die größte
Wahlniederlage ihrer Geschichte erlebte, das einzige Direktmandat in den
östlichen Bundesländern sichert. Doch nach Lachen ist Scholz und den
Sozialdemokraten derzeit nicht zumute.
[1][Der noch amtierende Bundeskanzler], der am Tag nach der Wahlniederlage
aussieht, als hätte er die Sozialdemokraten vor gut 160 Jahren mitgegründet
und seitdem keine Nacht geschlafen, übernimmt am Montag in der
Parteizentrale erneut die Verantwortung für das „bittere“ Ergebnis. Künft…
will er als einfacher Abgeordneter mithelfen, dass die SPD in diesem Land
als Stimme der Gerechtigkeit wahrgenommen werde.
[2][Scholz ist also bald weg von der großen Bühne], aber reicht das?
SPD-Parteichef Lars Klingbeil überraschte schon am Sonntagabend auf der
SPD-Wahlparty – sie glich eher einer Beerdigung – mit der Ankündigung: Die
SPD brauche eine organisatorische, programmatische und personelle
Neuaufstellung. Er selbst wolle Parteichef bleiben und will am Mittwoch
auch für den Fraktionsvorsitz kandidieren.
Also kein Rücktritt, sondern Machtakkumulation. Und Co-Parteichefin Saskia
Esken zog am Montag nach und erklärte, dass auch sie im Amt bleiben wolle.
Die Parteispitze, die maßgeblich den Wahlkampf prägte, will also
weitermachen. Kritik kommt von den Jusos, doch auch parteiintern wird
heftig getuschelt, wenn auch nicht öffentlich
Denn noch ist die SPD in Schockstarre. Mit 16,4 Prozent ist die Partei
erstmals unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Die Fraktion, die sich am
Dienstag zum ersten Mal trifft, hat 87 Mitglieder verloren und schrumpft
auf 120 Sitze.
## Viele müssen diese historische Niederlage verdauen
Viele Genoss:innen müssen diese historische Niederlage erst einmal
verdauen. „Das Wahlergebnis ist übelster Mist, diplomatischer kann ich es
nicht sagen“, meint die sächsische Parteivorsitzende Rasha Nasr. Nasr zieht
über die Landesliste wieder in den Bundestag ein, doch ihr Wahlkreis, der
sich von der barocken Altstadt Dresdens bis zu den Plattenbauten in Prohlis
erstreckt, geht erstmals an die AfD. Die SPD müsse dieses Wahlergebnis nun
zum Anlass nehmen, gründlich zu analysieren, welche Themen liegen gelassen
wurden, sagt Nasr. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt der SPD nicht.
Denn die weltpolitische Lage mit einem feindlich gesinnten Russland im
Osten und einer auf Konfrontation getrimmten Trump-Regierung im Westen ist
turbulent, Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas braucht schnell
eine stabile Regierung. Und die einzige demokratische Zweiterkoalition, die
derzeit geht, ist eine wenn auch arg gerupfte Große Koalition. Es muss also
beides gleichzeitig passieren: Selbstfindung und Annäherung.
Das künftige Kraftzentrum der SPD, Lars Klingbeil, sieht die Notwendigkeit,
dass die Partei schnell handlungs- und entscheidungsfähig sein müsse.
Betont aber: „Ob die SPD in eine Regierung eintritt, steht noch nicht fest.
Der Ball liegt bei Friedrich Merz, auf die Sozialdemokratie zuzukommen.“
Wahlsieger und CDU-Chef Friedrich Merz will bereits kommende Woche mit den
Sondierungsgesprächen beginnen und spätestens Ostern mit einer
Regierungsbildung fertig zu sein. „Wir bieten der SPD gute, konstruktive
und vertrauensvolle Gespräche an“, rüstet Merz bereits rhetorisch ab. Und
auch der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte am
Montag, dass die Union „mit Demut und Verantwortung“ in die Verhandlungen
mit der SPD gehen solle. Es dürften jetzt keine Vorfestlegungen gemacht
oder roten Linien gezogen werden. Demonstrativ lobte er SPD-Chef Klingbeil
als Politiker, „den wir über viele Jahre kennen und schätzen und mit dem es
auf jeden Fall diese Vertrauensbasis gibt“.
## Über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal sprechen
Die neue Zuvorkommenheit der CDU ist auch dem Wahlergebnis geschuldet. Die
hatte auf ein Ergebnis deutlich über 30 Prozent gesetzt – und landete bei
28,5 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
Noch vor der Wahl hatte die Union in einem Sofortprogramm 15 Punkte
aufgelistet, die sie sofort nach Regierungsbildung umsetzen will, darunter:
die Rückabwicklung des Heizungs- und des Cannabisgesetzes sowie des
Bürgergeldes. Auch über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal
sprechen.
Als wichtigste Themen sieht der künftige Kanzler jedoch die Außen- und
Sicherheitspolitik sowie Migration und die wirtschaftliche Lage im Land,
besonders die Zukunft der Industrie. „Ich bin zuversichtlich, dass es uns
gelingt, Lösungen zu finden“, sagte Merz in Richtung SPD. Klare Bedingungen
formulierte er am Montag nicht mehr. Allerdings lägen die Vorschläge der
Union zur Migrationspolitik weiterhin auf dem Tisch. Gemeint ist der
Fünfpunkteplan, der unter anderem Zurückweisung von Geflüchteten an der
Grenze vorsieht. Die SPD hatte im Januar ihre Zustimmung verweigert mit
Verweis auf die europarechtlichen Schwierigkeiten.
[3][Ein weiteres schwieriges Thema zwischen SPD] und Union wird das Thema
Verteidigung, genauer wie man die absehbar steigenden Ausgaben bezahlt.
2028 sind die 100 Milliarden aus dem Sondervermögen der Bundeswehr
aufgebraucht. Wenn eine unionsgeführte Regierung, wie angekündigt, künftig
2 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung stecken will,
bräuchte sie mindestens 80 Milliarden Euro zusätzlich – entweder aus dem
Haushalt oder über neue Schulden.
Deftige Kürzungen bei Rente, Gesundheit oder Pflege dürften mit der SPD
nicht zu machen sein. Zumal Generalsekretär Matthias Miersch schon eine
weitere Hürde eingezogen hat – die SPD-Mitglieder sollen über den
Koalitionsvertrag entscheiden.
## Grünen sind aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung
Bleiben also neue Kredite für steigende Ausgaben, die allerdings durch das
Grundgesetz streng gedeckelt sind. Für eine Reform der grundgesetzlichen
Schuldenbremse ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig – und
die ist nach der Konstituierung des neuen Bundestages ohne Stimmen von
Linken oder AfD nicht mehr möglich. Viel spricht also für ein neues
Sondervermögen, einen Schattenhaushalt, der mit einer einfachen Mehrheit
im Bundestag beschlossen werden kann.
Auf Nachfrage wollte Merz allerdings nicht ausschließen, noch mit der
Mehrheit des alten Bundestags Änderungen im Grundgesetz zu beschließen. Das
neue Parlament tritt voraussichtlich Ende März zusammen, es bliebe also nur
ein knapper Monat Zeit für Verhandlungen mit den FDP-Abgeordneten, die
gerade ihre Büros räumen, sowie mit SPD und Grünen, deren Anhänger Merz
noch einen Tag vor der Wahl als „Spinner“ bezeichnet hatte. Die Grünen
wären aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung, genauso wie die SPD.
Überhaupt dürfte die Union mit Klingbeil, der die SPD mehr auf Wirtschaft
und weniger auf Bürgergeld trimmen will, und Verteidigungsminister Boris
Pistorius, der für einen konsequenten Aufrüstungskurs steht, gut
zurechtkommen.
Andere SPD-Fraktionsmitglieder haben aber deutliche Zweifel, dass die
Annäherung an die Union ein Selbstläufer wird wird. „Der Weg zu Merz ist
extrem weit für die SPD“, glaubt Ralf Stegner. Auch der brandenburgischen
Abgeordneten Maja Wallstein fehlt derzeit noch die Fantasie für eine Groko
unter einem Kanzler Merz. „Er hat Wähler:innen verächtlich gemacht und
als linke Spinner geschimpft. Wie soll ich jemanden zum Kanzler wählen, der
die Menschen, die mich gewählt haben, beleidigt?“, fragt sich Wallstein.
Außerdem nimmt sie Merz bis heute übel, dass er Ende Januar im Bundestag
eine Mehrheit mit der AfD gesucht und gefunden hat. „Sein Kuscheln mit den
Rechtsextremen war unfassbar schädlich und wirkt noch lange nach.“ Denn
wenn man Rechtsextremen die Hand reiche, stärke das am Ende nur diese.
Auch Wallstein musste ihr 2021 errungenes Direktmandat an im Wahlkreis
Cottbus-Spree-Neiße an die AfD abtreten.Insgesamt hat die SPD 720.000
Menschen an die extrem Rechten verloren, den weitaus größeren Teil aber,
nämlich fast 1,8 Millionen, an die CDU.
Linke Sozialdemokraten wie Wallstein und Nasr glauben, dass es ein Fehler
war, dass im Wahlkampf vor allem über Migration gesprochen wurde. Nasr
fordert: „Wir müssen zurück zu unseren sozialpolitischen Wurzeln.“ Man
müsse Merz Zugeständnisse abverhandeln. Doch insgeheim hofft sie:
„Hoffentlich verkaufen wir uns nicht zu billig.“
24 Feb 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Sabine am Orde
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