# taz.de -- Wahlkämpfer*innen in Deutschland: Pöbeleien als Alltag | |
> An ihren Ständen wurden die Wahlkämpfer*innen gelobt und angeschrien. | |
> Fünf von ihnen berichten, wie sie die vergangenen Wochen erlebt haben. | |
Bild: Die Grünen berichten, dass sie an ihren Ständen weniger als noch im ver… | |
## CDU, Berlin | |
Als CDUler in Kreuzberg-Friedrichshain bin ich einiges gewohnt. Wenn ich | |
von Kollegen höre „Uns wurde ein Stand umgeschmissen“ oder „Wir wurden am | |
Wahlkampfstand beschimpft“, dann denke ich mir: bei uns ein ganz normaler | |
Montag. Hier war die Stimmung immer schon ein bisschen links-radikal. | |
Es gibt aber jetzt mehr Leute, die sehr aggressiv an unseren Wahlkampfstand | |
kommen. Wir werden oft massiv bepöbelt, und das ist kein schönes Gefühl. | |
Wenn jemand kommt und mich als Faschisten oder als Nazi beschimpft, dann | |
finde ich das sehr verletzend und nicht demokratisch. Oft kommt das von | |
Gruppen und eher von jungen Leuten. Ich will nicht pauschalisieren, aber | |
man erkennt schon aufgrund des Auftretens, dass es eher aus dem linken | |
Milieu kommt. | |
Nach der Abstimmung über die Verschärfung der Migrationspolitik, bei der | |
die AfD im Bundestag mit der Union gestimmt hat, hat sich die Stimmung | |
verändert – aber in beide Richtungen. Es gab einige Menschen, die uns | |
positiver begegnet sind, die an unseren Stand kamen und sagten: „Ich fand | |
das Zeichen gut.“ Aber viele sind aggressiver und undifferenziert geworden. | |
Wir haben auf einmal Meldungen vom LKA bekommen, nicht mehr frei | |
herumzulaufen und nichts Privates mehr zu posten, weil es eine | |
Gefährdungslage gab. Da hatte ich persönlich nicht so große Angst, weil ich | |
immer mit einem Team zusammen bin und mich ganz gut schützen kann. Aber als | |
demokratische Person hat das viel mit mir gemacht. Dass es auf einmal | |
gefährlich wird, unterschiedliche Meinungen zu haben. Demokratische | |
Auseinandersetzung kann gerne hitzig sein, aber wir dürfen uns nie mit | |
Gewalt zufriedengeben. Egal, wie das Motiv ist. | |
Kevin Kratzsch ist Direktkandidat der CDU im Berliner Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg. | |
## Die Grünen, Chemnitz | |
Wir hatten in Chemnitz nach der Kommunal- und der Landtagswahl jetzt den | |
dritten Wahlkampf in Folge. Ich habe die Stimmung an den Ständen diesmal | |
besser erlebt. Es gab weniger direkte Beleidigungen oder Beschimpfungen. Im | |
Landtagswahlkampf war das Thema Ukraine sehr groß und wir als Grüne wurden | |
sehr oft als „Kriegstreiber“ beschimpft und angeschrien. Wenn jetzt Leute | |
an unseren Stand kommen, die ausfällig werden, dann geht es meist um das | |
Thema Migration. Wir kriegen oft zu hören, dass wir „die ganzen kriminellen | |
Ausländer ins Land holen“. | |
Wir schauen immer, ob es eine Bereitschaft zum Reden gibt. Aber wir gehen | |
dazwischen bei rassistischen Äußerungen oder anderen verbalen | |
Grenzüberschreitungen und schicken diese Menschen weg. Wenn sie dann nicht | |
gehen, rufen wir die Polizei. Manchmal machen wir auch Beleidigungs-Bingo | |
am Stand und schauen dann: Wie viele „Kriegstreiber“-Beleidigungen kriegen | |
wir heute? | |
Es gibt weniger solcher negativen Begegnungen als bei den letzten | |
Wahlkämpfen. Aber wir haben hier seit ein paar Wochen eine immer präsentere | |
Nazi-Schlägertruppe: Chemnitz Revolte. Sie stehen mit ihren Bomberjacken | |
und Glatzen um unsere Stände. Und zwar in einem Abstand, dass die Polizei | |
nichts machen kann. Das ist neu und sehr beunruhigend. Bisher ist nie etwas | |
passiert, es ist einfach eine Machtdemonstration. Aber von dieser Gruppe | |
geht definitiv eine große Gefahr aus. Die kennen mein Gesicht und pöbeln | |
mich auch an, wenn ich nicht politisch unterwegs bin. | |
Gleichzeitig sagen uns immer mehr Leute, wie wichtig sie es finden, dass | |
wir uns nicht kleinkriegen lassen und dass sie unsere Kurs richtig finden. | |
Im Landtagswahlkampf waren viele fast schon verschämt, wenn sie gesagt | |
haben, dass sie grün wählen. Jetzt beobachte ich ein selbstbewussteres | |
Auftreten. Ich glaube, dieses Grünen-Bashing ist gerade nicht mehr so en | |
vogue. | |
Coretta Storz ist Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen Chemnitz. | |
## FDP, Hessen | |
Als Direktkandidat der FDP habe ich den Wahlkampf hier im ländlichen | |
Wahlkreis Rheingau-Taunus-Limburg nicht als besonders aggressiv erlebt. | |
Einen krassen Vorfall gab es: Am Samstag nach der Abstimmung über den | |
Gesetzentwurf der Union zur Migrationspolitik wurden zwei meiner Autos | |
beschädigt. Mein weißer Mini, auf dem außen mein Antlitz klebt, wurde | |
nachts beschmiert, auf den Scheiben waren Antifa-Symbole und Hammer und | |
Sichel. Die Schmierereien konnten wir leicht mit Lösungsmittel entfernen. | |
Erst am nächsten Tag ist uns aufgefallen, dass auch ein Reifen aufgestochen | |
war. Und dass an einem anderen meiner Fahrzeuge vorne die Radmuttern | |
gelockert wurden. Jetzt ermitteln Polizei und Staatsschutz. | |
Eine spürbare Veränderung der Stimmung gab es nach der Abstimmung im | |
Bundestag nur ganz kurz. Es gab zwar einige, die gesagt haben: „Ihr macht | |
gemeinsame Sache mit den Rechten, euch kann ich nicht mehr wählen.“ Ich | |
hätte mehr Kritik erwartet, die meisten haben gesagt: „Warum habt ihr als | |
FDP nicht zusammengestanden, warum gab es bei euch so viele Abweichler“? | |
Alexander Müller ist Direktkandidat der FDP im Wahlkreis | |
Rheingau-Taunus-Limburg. | |
## SPD, Bonn | |
Ich habe in Bonn für die SPD vor allem Haustürwahlkampf gemacht und in den | |
letzten Wochen an über 1.500 Türen geklingelt. Wenn die Leute die Tür | |
aufmachen, gibt es fast nur positive Begegnungen. Oft bedanken sie sich für | |
den Besuch, für das demokratische Engagement. Um längere inhaltliche | |
Gespräche geht es an der Haustür weniger, wir sprechen zum Beispiel | |
häufiger kurz darüber, wie sich Erst- und Zweitstimme unterscheiden. | |
Zu Beginn des Wahlkampfs im Januar kamen auch vereinzelt Bürger zu den | |
Infoständen, die uns unbedingt sagen wollten, dass sie AfD wählen. Das hat | |
aber nachgelassen. Möglicherweise haben diese Wähler ihre Meinung zwar | |
nicht geändert, aber die breiten Demonstrationen gegen rechts könnten dafür | |
gesorgt haben, dass sie ihr Protestwählen nicht mehr so offen zum Ausdruck | |
bringen wollen. Bei uns in Bonn war die AfD aber ohnehin noch nie so stark, | |
bei der letzten Bundestagswahl lagen sie hier bei 4 Prozent. Wenn uns | |
jemand negativ begegnet, bringt er oder sie häufig eine allgemeine | |
Ablehnung von Politik mit. | |
Auch in Bonn wurde nach der Abstimmung der Union und FDP mit der AfD im | |
Bundestag gegen rechts demonstriert, hier waren 10.000 Leute auf dem | |
Marktplatz. So was mitten im Wahlkampf ist außergewöhnlich. Ich habe aber | |
bei unseren Mitgliedern keinen „Jetzt erst recht“-Moment wahrgenommen, weil | |
wir ohnehin schon von Anfang an sehr motiviert waren. | |
Benedikt Pocha, SPD, ist Stadtverordneter in Bonn. | |
## Die Linke, Erfurt | |
Ich habe für die Linke in Erfurt den Haustürwahlkampf organisiert. Einmal | |
waren wir unterwegs, zu siebt in einem Plattenbaugebiet. Als wir uns nach | |
dem Klingeln an den Haustüren wieder zusammengefunden haben, hat ein | |
Autofahrer neben uns gehalten. Der hat uns angepöbelt: „Belästigt die Leute | |
hier nicht“ und „Nehmt diese Plakate sofort runter.“ Dann ist er | |
ausgestiegen. Als wir weggegangen sind, hat einer aus unserer Gruppe den | |
Kopf geschüttelt. Das hat der Typ gesehen und unseren Wahlkämpfer richtig | |
geschubst, geschrien: „Ich nehme euch alle hoch.“ Wir konnten die Situation | |
aber beenden, ohne selbst Gewalt anzuwenden. | |
An den Haustüren kommen solche Situationen so gut wie gar nicht vor, | |
Sprüche fängt man sich eher auf der Straße ein. Einmal hat mir dort einer | |
gesagt: „Warum belästigt ihr die Leute hier?“ Ich habe ihm geantwortet, | |
dass wir den Leuten zeigen, wie sie gegen unfaire Heizkostenabrechnungen | |
vorgehen können. Das hat ihn interessiert und er hat einen Flyer genommen. | |
Nach der Aktion von Merz im Bundestag hat sich für uns nicht so viel | |
geändert. Wir kennen das hier in Thüringen schon von der CDU aus dem | |
Landtag, das langsame Aufweichen der Brandmauer bis schließlich Gesetze mit | |
Stimmen der AfD beschlossen werden. In den Haustürgesprächen war die | |
Resonanz zu diesem Thema gering. Was in den Parlamenten passiert, | |
interessiert nicht so wie zum Beispiel gestiegene Mieten. | |
Julian Degen ist Mitarbeiter der Linksfraktion im Thüringer Landtag. | |
Protokolle von Sarah Schubert und Luisa Faust | |
23 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Sarah Schubert | |
Luisa Faust | |
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