# taz.de -- Telefonseelsorger über pöbelnde Anrufer: „Sie benutzen uns als … | |
> Die Lübecker Telefonseelsorge schlägt Alarm, weil den Mitarbeitenden | |
> immer mehr Aggression entgegenschlägt. Ein Grund: Das Gefühl von | |
> Kontrollverlust. | |
Bild: Werden gelegentlich als Prellbock missverstanden: Mitarbeiter:innen der T… | |
taz: Herr Gottschalk, was war für Sie der Anlass, mit der Aggression | |
gegenüber der Telefonseelsorge an die Öffentlichkeit zu gehen? | |
Frank Gottschalk: Seit etlichen Monaten vergreifen sich Menschen bei | |
Anrufen bei der Telefonseelsorge im Ton. Ich hatte nicht vor, damit an die | |
Presse zu gehen. Aber als ich es unserem Pressebeauftragen erzählte, wurde | |
der sehr hellhörig. Die Aggressionen haben in letzter Zeit sehr zugenommen. | |
Im ersten Moment denkt man: Das ist doch absurd, es sind doch Anrufende, | |
die Hilfe suchen. Warum pöbeln sie? | |
Gottschalk: Wir erleben am Telefon ohnehin so ziemlich alles, was unter | |
Menschen vorkommt. Natürlich gibt es bei uns Anrufe von Menschen, die tief | |
in Krisen stecken und unbedingt ein offenes Ohr brauchen. Aber es gibt eben | |
auch Menschen, die aus anderen Motivationen anrufen. Ich glaube, die können | |
selber manchmal gar nicht gut sagen, was sie gerade anrufen lässt. Sie | |
brauchen ein Ventil. Und Telefonseelsorge ist eben anonym und kostenfrei. | |
Das reicht für manche Menschen, um uns auch als Blitzableiter zu benutzen. | |
Für politische Frustration? | |
Gottschalk: Es hat durchaus auch mit politischen Richtungen zu tun. | |
Unzufriedenheit über die allgemeine Lage, sowohl innenpolitisch als über | |
auch die große Weltlage, die Sorgen bereitet: Nahostkonflikt, | |
Ukrainekonflikt, Klimawandel, einbrechende Wirtschaftsdaten, | |
Gesundheitswesen, Rente. Es gibt [1][so viele Themen, die Angst machen]. | |
Aber warum endet das in Pöbelei? | |
Gottschalk: Manchmal erleben wir hier, dass ein Gespräch kippt. Und das | |
fängt vielleicht schon damit an, dass eine Telefonseelsorgerin oder ein | |
Telefonseelsorger die richtige Frage stellt, die aber nicht gerne gehört | |
wird. Und dann wird jemand aggressiv. | |
Was kann denn so eine richtige Frage sein? | |
Gottschalk: Das kann schon die konkrete Nachfrage sein. Telefonseelsorge | |
ist nicht dafür da, über politische Themen im Allgemeinen zu reden. Wenn | |
also jemand zum Beispiel unzufrieden ist mit der innenpolitischen Lage, | |
versucht man nachzufragen: „Möchten Sie mir sagen, was konkret Sie in Ihrer | |
eigenen Lebensführung beschwert, also wo sich bestimmte Dinge ganz konkret | |
in Ihrem Leben auswirken?“ Da möchte der Anrufende gar nicht hin, und dann | |
heißt es: „Das müssen Sie doch wissen, was sind Sie denn für eine? Und da | |
habe ich gedacht, Sie sind schlauer“. | |
Haben Sie Strategien, damit das Gespräch noch die Kurve kriegt? | |
Man kann manchmal noch versuchen, Leute wieder einzufangen: In diesem Ton | |
möchte ich nicht mit Ihnen sprechen, so können wir auch nicht miteinander | |
sprechen. Manchmal gelingt es, manchmal auch nicht. | |
Sie selber sind ja auch in der Telefonseelsorge praktisch tätig. Ist es | |
manchmal schwierig, nicht selbst aggressiv zu werden? | |
Gottschalk: Es geht nicht darum, dass wir mit gleicher Münze zurückzahlen. | |
Aber es kann dazu führen, dass wir uns dann kurzerhand von jemandem | |
verabschieden und auflegen. Wenn man dann am Telefon als Telefonschlampe | |
beschimpft wird, perlt das nicht mal eben so an einem runter. Das ist einer | |
Mitarbeitenden passiert und ich bin froh, dass es wenigstens eine sehr | |
erfahrene Telefonseelsorgende war. Dabei muss man sich immer klar machen: | |
Bei der Telefonseelsorge sitzen Ehrenamtliche, die das in ihrer Freizeit | |
machen. | |
Was raten Sie den Mitarbeitenden in solchen Fällen? | |
Gottschalk: Es gibt Supervision und es gibt Weiterbildungen. Wir versuchen | |
den Leuten klar zu machen: Nehmen Sie Dinge nicht persönlich. Der Mensch, | |
der da anruft, weiß nicht mal, dass er Sie am Telefon hat. Der weiß nicht | |
mal, wo Sie sitzen. Es gibt Menschen, die suchen eine Prallfläche für die | |
eigene Unzufriedenheit im Leben. Aber Sie müssen sich nicht alles gefallen | |
lassen. Und trotzdem ist das eine Kränkung, eine Verletzung, wenn plötzlich | |
jemand mit einer Beleidigung durchs Telefon kommt. | |
Ich hätte gedacht, dass Pöbelei eher im Internet stattfindet, weil ein | |
Telefonat doch schon viel persönlicher ist. | |
Gottschalk: [2][Viele Leute haben eine recht kurze Zündschnur], und nach | |
meiner Einschätzung hat das in der Coronazeit deutlich zugenommen. Menschen | |
haben Kontrollverlust erlebt und weil das Angst erzeugt, gehen sie | |
sozusagen in Abwehrhaltung. Wenn dann irgendwas nicht so ist, wie man das | |
gerade will und braucht, dann ist die Bereitschaft hoch, in die Aggression | |
zu gehen. | |
2 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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