# taz.de -- Online-Tool „Climate Storylines“: Was die Klimakrise mit der ei… | |
> Ein neues Online-Tool des Alfred-Wegener-Instituts zeigt live, wie sich | |
> die Erderwärmung auf einzelne Regionen auswirkt. Das Tool ist frei | |
> zugänglich. | |
Bild: Ein Julitag im Jahr 2095: vom Norden Afrikas bis nach MItteleuropa über … | |
Osnabrück taz | Wer googelt, was das Bundesministerium für Umwelt und | |
Naturschutz (BMUV) über Hitzewellen und Dürren ins Netz stellt, über Orkane | |
und Starkregen, stößt auf demonstrative Sätze wie diesen: „Schon die bisher | |
beobachteten Klimaveränderungen in Deutschland führen zu einer Zunahme | |
extremer Wetterereignisse, die Teile unserer Gesellschaft vor große | |
Herausforderungen stellen.“ | |
Klima? Wetter? Dass beides zusammenhängt, ist zwar vielen inzwischen | |
bewusst. Aber wie, können sich nur wenige vorstellen. Ein Computermodell | |
kann helfen. Ein komplexes Stück Mathematik, das alle Prozesse | |
zusammenrechnet, die über die Entwicklung des Klimas entscheiden. | |
Ein solches Modell ist das Online-Simulationstool „[1][Climate Storylines]“ | |
des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und | |
Meeresforschung, Bremerhaven. Der experimentelle Prototyp, auch für | |
Nicht-WissenschaftlerInnen zugänglich, ermöglicht es, reale Wetterphänomene | |
vor dem Hintergrund realer Klimaereignisse zu betrachten, mehrere | |
Klimaszenarien, fast in Echtzeit. | |
Wer die Weltregion eingibt, den Tag oder Zeitraum, kann wählen: | |
Gegenwärtige Bedingungen? Vorindustrielle, also ohne Klimakrise? Oder | |
künftige, als hätten wir schon vier Grad Erderhitzung? Die Lufttemperatur | |
lässt sich zeigen, oder der Niederschlag. Der Blick in die Zukunft ist | |
beunruhigend: „Vier Grad wären schon brutal“, sagt Helge Gößling, | |
Klimaphysiker und Leiter der Storyline-Forschung am AWI. „Das wären | |
dramatische Zustände.“ | |
Seit sechs Jahren arbeitet das AWI an dieser Modellierung, und wer sich in | |
die Tiefen des Tools einarbeitet, erlebt schnell, was Gößling als | |
„Aha-Moment“ bezeichnet: „Besonders greifbar ist das natürlich, wenn ich | |
mich mit dem Wetterereignis identifizieren kann, das ich auswähle, es zu | |
meinem eigenen Lebensumfeld in Beziehung bringen kann.“ | |
In ihrer Studie [2][„How climate change intensified storm Boris’ extreme | |
rainfall, revealed by near-real-time storylines]“, in der sie Anfang | |
November 2024 in der Umweltwissenschafts-Zeitschrift „Nature Communications | |
Earth & Environment“ ihre Modellierung erklären, haben ForscherInnen des | |
[3][Alfred-Wegener-Instituts] ihrerseits auf einen Aha-Moment gesetzt: Das | |
Sturmtief „Boris“ hatte im September 2024 für heftige Regenfälle gesorgt, | |
von Polen bis Italien, für Tote, Stromausfälle, Schäden an der | |
Infrastruktur. Gößling ist Mitautor der Studie. | |
Eine Wettervorhersage ist „Climate Storylines“ nicht. Es geht hier um | |
Generelleres. Um ein Mittel, Menschen bewusst zu machen, was geschehen | |
könnte, wenn wir nicht umsteuern. Es sei „ziemlich mutig“ gewesen, mit | |
„Climate Storylines“ online zu gehen, sagt Gößling. Denn „Climate | |
Storylines“ ist noch nicht ausgereift. Mitunter hakt eine Eingabemaske. | |
Mitunter friert das System beim Kartenplotting ein. Aber das sind | |
Kinderkrankheiten. | |
Auch inhaltlich gibt es noch viel zu tun. Bisher sind nur Daten ab Januar | |
2024 eingespeist; demnächst sollen Daten ergänzt werden, die bis 2018 | |
zurückreichen. Bisher sind nur 100-Kilometer-Gitterzellen verfügbar; | |
demnächst soll es tiefer in regionale und lokale Details gehen. | |
Bisher steht zur Simulation der Folgen der Erderhitzung nur ein hartes | |
Vier-Grad-Szenario zur Verfügung; demnächst könnte es Zwischenschritte | |
geben, kalkuliert auf zwei Grad, auf [4][drei Grad]. „Für den ersten | |
Schritt wollten wir möglichst klare Effekte, ein möglichst gutes | |
Signal-Rausch-Verhältnis“, sagt Gößling. „Wir wollten den Extremfall | |
testen.“ Auch Verfeinerungen bieten sich an. Szenarien zur Agrarplanung | |
wären denkbar, zur Hydrologie, zu gesundheitlichen Auswirkungen, zu | |
Temperaturfeldern in Städten, bei Hitzewellen. Aber das ist Zukunftsmusik. | |
## Hilfreich gegen Desinformation | |
Zudem könnte „Climate Storylines“ eine selbsterklärendere | |
Benutzeroberfläche vertragen, eine niedrigere Hemmschwelle für alle, die | |
zwar interessiert sind, aber Laien. Und wer das Tool nach Ereignissen wie | |
dem [5][Sturmtief Boris] durchsucht, was derzeit noch die Eingabe des | |
richtigen Zeitraums erfordert, könnte demnächst auf Hilfe durch | |
Vorinstalliertes hoffen. | |
Aber das Potenzial ist schon jetzt unübersehbar. Ein paar Klicks, und | |
jeder, der Menschen gegenübertreten will, die desinformativ behaupten, die | |
Klimakrise sei Schwindel, die derzeitige Erderhitzung gehe nicht fast | |
gänzlich auf anthropogene Faktoren zurück, findet gute Argumente. „Wir | |
sahen uns als Wissenschaftler getrieben, zu sehen, was möglich ist“, | |
erklärt Gößling den Launch von „Climate Storylines“. | |
Sehen, was möglich ist: Das ist beim AWI Alltag, zumal in der Analyse der | |
Folgen der [6][Klimakrise]. „Hoffnung ist aus Mut gemacht“, hat Martin | |
Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland 2021 gesagt. Es gelte, | |
die Erderhitzung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. 2024 könnten wir diese | |
Grenze überschreiten. Ob sie 2095, wie im Szenario des AWI, vier Grad | |
beträgt, wird sich zeigen. | |
24 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://climate-storylines.awi.de/ | |
[2] https://epic.awi.de/id/eprint/59768/ | |
[3] /Alfred-Wegener-Institut-fuer-Polar--und-Meeresforschung/!t5036967 | |
[4] /UN-Bericht-zur-globalen-Klimapolitik/!6044986 | |
[5] /Hochwasser-in-Mitteleuropa/!6034137 | |
[6] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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