| # taz.de -- Hamburger Bernhard-Nocht-Institut: Ein Tropenmediziner und Rassist | |
| > Bernhard Nocht war tief in den Kolonialismus verstrickt. Das nach ihm | |
| > benannte Institut für Tropenmedizin schließt eine Namensänderung nicht | |
| > mehr aus. | |
| Bild: Bernhard Nocht: Namensgeber des Instituts für Tropenmedizin – nur wie … | |
| Hamburg taz | Das renommierte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in | |
| Hamburg setzt sich seit ein paar Jahren [1][kritisch mit seinem Namensgeber | |
| auseinander]. Ein kürzlich erschienenes Gutachten des Historikers Thomas | |
| Großbölting von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, das vom | |
| Nocht-Institut in Auftrag gegeben wurde, beleuchtet nun die Haltung des | |
| Tropenmediziners Bernhard Nocht zu Rassismus und Nationalsozialismus. | |
| Zugleich ist im Wallstein-Verlag die Biografie „Bernhard Nocht. Der | |
| Organisator der deutschen Kolonialmedizin“ von Markus Hedrich erschienen. | |
| Beide Studien werfen ein komplexes Licht auf eine Persönlichkeit, die | |
| einerseits als Pionier der Tropenmedizin gilt, andererseits tief in | |
| Kolonialismus und rassistisches Gedankengut verstrickt war. Bernhard Nocht, | |
| geboren 1857, war von 1900 bis 1930 der erste Direktor des Hamburger | |
| Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten, das seit 1942 seinen Namen | |
| trägt. | |
| Nocht hat bedeutende Beiträge zur Tropenmedizin geleistet, unter seiner | |
| Leitung gab es wichtige Fortschritte in der Malariaforschung, und er | |
| förderte die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, | |
| Mikrobiolog:innen, Chemiker:innen und Pharmakolog:innen. Aber seine | |
| Karriere begann im Kontext der deutschen Kolonialbestrebungen und war, das | |
| machen beide Studien deutlich, von Anfang an von einem eurozentrischen und | |
| rassistischen Weltbild geprägt. | |
| Großbölting beschreibt Nocht [2][in seinem 52-seitigen Gutachten] als einen | |
| Mann, der stark nationalistisch und rassistisch eingestellt war. Wie viele | |
| seiner Zeitgenoss:innen sah er die Überlegenheit der „weißen Rasse“ als | |
| gegeben an und stellte seine medizinische Arbeit in den Dienst der | |
| Kolonialherrschaft. | |
| ## Kein Malariamittel an „Farbige“ | |
| Besonders kritisch sind Nochts Äußerungen während einer Forschungsreise in | |
| die damalige Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ im Jahr 1912. Er kritisierte | |
| damals, dass das Malariamittel Chinin sowohl an europäische Kolonialbeamte | |
| als auch an die einheimische Bevölkerung ausgegeben wurde. Zudem bemängelte | |
| er, dass man nicht genügend auf die „möglichste Trennung der | |
| Europäerwohnungen von denen der Farbigen“ geachtet habe. | |
| Hoch problematisch war auch Nochts Haltung in Bezug auf medizinische | |
| Forschung an der einheimischen Bevölkerung in den damaligen Kolonien. So | |
| wird im Gutachten eine Aussage Nochts zitiert, in der er bedauert, dass | |
| eine „Schule für Schwarze Kinder als Lieferanten von Malaria-Parasiten“ | |
| nicht aus dem Europäerviertel verlegt werden konnte. Diese Sichtweise, die | |
| Menschen auf ihre Funktion als Forschungsobjekte reduziert, offenbart die | |
| tiefe Verwurzelung kolonial-rassistischer Ideologien in der damaligen | |
| Wissenschaft. | |
| Auch [3][Markus Hedrich beschreibt Nocht in seiner Biografie als kolonialen | |
| Karrieristen], dessen Leben und Wirken exemplarisch für die Verflechtungen | |
| zwischen Wissenschaft, Kolonialismus und Nationalismus steht. Nochts Leben | |
| spannte sich über entscheidende Epochen der deutschen Geschichte – vom | |
| Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die NS-Zeit. | |
| Seine Karriere war eng mit dem Hamburger Hafen und der kolonialen | |
| Globalisierung verknüpft. Das auf Beschluss von Senat und Bürgerschaft | |
| gegründete und später nach Nocht benannte Institut diente nicht nur der | |
| medizinischen Forschung, sondern auch den wirtschaftlichen und politischen | |
| Interessen des Deutschen Reiches und seiner Kolonialpolitik. | |
| ## Sympathien mit NS-Regime | |
| Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus verhielt sich Nocht, obwohl er zu | |
| diesem Zeitpunkt bereits emeritiert war, laut Großbölting opportunistisch. | |
| Er unterzeichnete 1933 das „Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf | |
| Hitler“ und war Mitglied im Reichskolonialbund. Auch wenn er nie der NSDAP | |
| beitrat, sympathisierte er offenkundig mit dem Regime. Großbölting hebt | |
| hervor, dass Nocht sich zwar nicht aktiv an NS-Verbrechen beteiligte, sich | |
| aber auch nicht dagegen positionierte. | |
| Ein besonders dunkles Kapitel in der Geschichte des Nocht-Instituts | |
| betrifft die Aktivitäten von Ernst Nauck, einem Mitarbeiter und späteren | |
| Direktor. Nauck betrieb 1940 Fleckfieberforschung im Warschauer Ghetto, was | |
| im Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gesehen werden | |
| muss. Die Nazis nutzten die Seuche als Rechtfertigung für die Abriegelung | |
| und Isolation des Ghettos, indem sie die jüdische Bevölkerung als | |
| Hauptträger und Verbreiter der Infektion darstellten. | |
| Diese Stigmatisierung diente dazu, sie weiter zu isolieren und zu | |
| diskriminieren. Die katastrophalen Lebensbedingungen im Ghetto, die durch | |
| die Abriegelung und Unterernährung verschärft wurden, führten zu einer | |
| hohen Sterblichkeitsrate, die den Nazis als Mittel zur Kontrolle und | |
| Vernichtung diente. | |
| Obwohl Nocht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr offiziell am Institut tätig | |
| war, war er über diese Vorgänge informiert und erhob keinen Einspruch. | |
| ## Eine Umbenennung des Tropeninstituts ist denkbar | |
| Nochts Rassismus, betont Großbölting, habe sich allerdings nicht in dem | |
| Maße radikalisiert, wie es bei vielen anderen Wissenschaftler:innen | |
| während der NS-Zeit der Fall war. Soweit derzeit bekannt, äußerte sich | |
| Nocht nach 1933 nicht antisemitisch und plädierte nicht für politische | |
| Gewalt im Inneren. Sowohl Großbölting als auch Hedrich betonen zudem, dass | |
| Nocht, [4][im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenoss:innen wie Robert | |
| Koch], keine Menschenversuche in den Kolonien durchführte. | |
| Die Namensgebung des Instituts nach Bernhard Nocht im Jahr 1942 erscheint | |
| vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse in einem neuen Licht: Sie war nicht | |
| nur eine Ehrung anlässlich seines 85. Geburtstags, sondern auch ein | |
| propagandistischer Akt des NS-Regimes in einer Phase des Krieges, als sich | |
| die Niederlage bereits abzeichnete. | |
| Das Gutachten stellt das Bernhard-Nocht-Institut nun vor die | |
| Herausforderung, einen angemessenen Umgang mit diesem ambivalenten Erbe zu | |
| finden. Das Institut erwägt eine Kommission zu berufen mit | |
| Historiker:innen aus dem globalen Süden. | |
| Eine Umbenennung des Instituts schließt er nicht aus. Das Gutachten möchte | |
| sich in dieser Frage nicht entscheiden: „Ob der Name Bernhard Nocht | |
| beibehalten oder aufgegeben werden soll, bleibt aus der historischen | |
| Analyse heraus offen“, schreibt Großbölting. „Zu ambivalent bleiben die | |
| Befunde zu Nocht und dessen Wirken.“ | |
| 6 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tropeninstitut-hinterfragt-Namenspatron/!5831250 | |
| [2] https://www.bnitm.de/fileadmin/media/Aktuelles/2025/Gutachten_zu_Bernhard_N… | |
| [3] https://www.wallstein-verlag.de/9783835357204-bernhard-nocht.html | |
| [4] /Hamburg-Krimi-Toedlicher-Schlaf/!5972303 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
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