| # taz.de -- Inszenierungen des Theaterstücks „Asche“: Schlafwandler im Asc… | |
| > Mal eindrücklich optimistisch, mal voller Melancholie: In Hamburg und | |
| > Hannover sind Inszenierungen von Elfriede Jelineks Stück „Asche“ zu | |
| > sehen. | |
| Bild: Wandern im mystischen Nebel: „Asche“ am Thalia Theater | |
| Die Wutenergie der Verzweiflung braucht ein Ventil. Elfriede Jelinek bringt | |
| sie mit Satz- und Assoziationsketten ins Fließen, feiert das mäandernde | |
| Denken und versucht den Schmerz abzufedern mit ironischen Sprachvolten und | |
| zynischen Zuspitzungen. In ihrem „Asche“ betitelten Text gönnt die | |
| Literaturnobelpreisträgerin den Leser:innen weniger bitterböse | |
| Heiterkeit als üblich, dafür resignierendes Empören. Sie collagiert nach | |
| fast 50 Ehejahren ihre Trauer über den Tod des Lebenspartners mit der Angst | |
| vor der menschengemachten Zerstörung der Welt. Konstatiert eine Zeit des | |
| Abschiednehmens. | |
| Der widmen sich nun zwei Theaterregisseurinnen sehr unterschiedlich. | |
| [1][Jette Steckel] holt am Hamburger Thalia Theater mal wieder Jugendliche | |
| auf die Bühne und lässt sie eine Gegenthese zur Vorlage erspielen. Und | |
| [2][Lilja Rupprecht] bringt Jelineks Klagegesang am Schauspiel Hannover | |
| unwidersprochen in eine opulente Form. | |
| Die Welt ist in Hamburg eine mit Plastikrasen beklebte Drehbühne, die als | |
| Rad der Geschichte rotiert, mal beschleunigt, mal langsamer läuft oder auch | |
| innehält. In diesem Welt-Raum scheint alles tot – bis auf vier | |
| Sprecherinnen. Die wirken in historisierend anmutenden Kostümen wie Relikte | |
| unterschiedlicher Geschichtsepochen. Verlorene Seelen, „armselige Häufchen | |
| Mensch“, händchenhaltend. Ein waffenähnliches Requisit verwandelt das | |
| Quartett in ein Kreuz und verankert es im Bühnenzentrum als zu umwandernden | |
| Mittelpunkt. So schlendern die famos Schauspielenden gegen die | |
| Rotationsrichtung der Bühnenscheibe, gehen endlos geradeaus und kommen nie | |
| voran. | |
| Ebenso ergeht es ihnen beim gedanklichen Umkreisen des Kreuzsymbols und den | |
| Debatten um Gott, Schicksal, Schuld usw. Zur Entspannung singspielen alle | |
| mit [3][Gustav Mahlers] „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die Jelinek | |
| zitiert und nun in zartdichter Live-Musik-Untermalung des | |
| Multiinstrumentalisten Matthias Jakisic zu erleben sind. | |
| Geweint wird über die toten Augen des Liebsten, „heute geschlossen, morgen | |
| auch und immer geschlossen, wegen Geschäftsaufgabe“, und eine nun | |
| machtvolle Einsamkeit bei zunehmendem Weltverlust. Geschrien wird | |
| angesichts Erkenntnissen über das Sein und Nicht-mehr-Sein. Somnambul | |
| getanzt wird im Ascheregen. Da können Jelineks sarkastische Bonmots nicht | |
| mehr über die Sinnlosigkeit des Todes hinwegtrösten. | |
| ## Umtanzter Würfel | |
| Sehr wohl aber die „Jungs & Deerns“ vom Altonaer Zirkusprojekt Zartinka, | |
| die der Wort- ihre Körperakrobatik hinzugesellen. Dabei nimmt Steckel gern | |
| Textpassagen wörtlich. Beschreibt Jelinek die Erde als Würfel, beturnen die | |
| Artisten zu einem Würfel verschweißte Reckstangen. Später auch ein | |
| kreuzförmiges Turngerät. Sie hantieren mit Lichtreifen. Balancieren auf | |
| einem Ball. Jonglieren mit Leuchtkugeln. Sind mit ihren wildschönmutigen | |
| Darbietungen die Hoffnungs-, die Zukunftsträger der Inszenierung. Ein | |
| Abend, der sich erhellend über die Vorlage und damit die Zuschauerseelen | |
| erhebt. Eindrücklich optimistisch. | |
| Lilja Rupprechts Inszenierung in Hannover indes huldigt der existenziellen | |
| Melancholie. Sie findet Orte für die Worte Jelineks. In üppiger Breite | |
| fläzt sich ein schäbiges, seit bestimmt 50 Jahren nicht mehr renoviertes | |
| Hotelfoyer auf die Bühne. Das fünfköpfige Ensemble spielt in Diener-Livree | |
| die letzten Bewohner:innen. | |
| ## Den Kosmos beschworen | |
| Jelineks Selbstgespräch bereiten sie nicht wie in Hamburg dialogisch auf, | |
| sondern jede:r monologisiert die ihm zugeteilten Textpassagen. Eine Frau | |
| beginnt zu reden über „mein lieber Toter“, den sie nicht loslassen könne. | |
| Eine Urne wird gebracht, die Asche wie Tee aufgebrüht und eine Träne | |
| weggedrückt bei der Aussage, jeder sterbe nur für sich allein. Hinzu | |
| gesellt sich die Betrachtung des eigenen körperlichen Zerfalls. Die | |
| Spielenden suchen Halt, Haltung – und finden sie zumindest im Rhythmus der | |
| Artikulation. Mal befeuert, mal besänftigt von Schlagzeuger Fabian Ristau. | |
| Die Idee, das Leben nochmal auf Anfang zu stellen, in neue Welten | |
| aufzubrechen, war bei der Hamburger Inszenierung nur ein Gedanke. In | |
| Hannover zieht sich das Ensemble Astronautenanzüge an und beschwört per | |
| Video den Kosmos – kommt aber wie die Kolleg:innen am Thalia nicht vom | |
| Fleck. Für Attacken gegen die höheren Mächte versammelt sich Rupprechts | |
| Quintett in einer Minikirche. | |
| Am Ende hockt es in Unterwäsche wie Überlebende des Ökokollapses in einer | |
| Höhle mit geretteten Grünpflanzen. Das Wortgestöber ist formvollendet zum | |
| Stationendrama strukturiert: Erst Vorstellung der Endzeit-Situation, dann | |
| gescheiterte Flucht, vergebliche Anklagen, Abgesang. „Und abends, wenn wir | |
| schlafen gehn, was machen wir dann? An unser Leid denken. Sonst nichts.“ So | |
| endet Jelineks Text. So endet die Hannoversche Inszenierung. Eindrücklich | |
| pessimistisch. | |
| 13 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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