# taz.de -- Prozessauftakt im Budapest-Komplex: Hanna S. ist nicht allein | |
> In München steht eine 30-jährige Kunststudentin wegen mutmaßlicher | |
> Überfälle auf Neonazis in Budapest vor Gericht. Die Solidarität mit der | |
> Angeklagten ist groß. | |
Bild: Unterstützung für Hanna S. in München vor dem Prozessauftakt am 19. Fe… | |
München taz | Eines möchte der vorsitzende Richter Philipp Stoll am Anfang | |
der Verhandlung klarstellen: Dass das Verfahren gegen Hanna S. hier im | |
Untergrund [1][[kleines Wortspiel, was? unterirdisch!; d. säzz.]] unter der | |
JVA Stadelheim stattfindet, habe nun gar nichts damit zu tun, dass man | |
davon ausgehe, dass eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit bestehe. | |
Das solle nun bitte nicht als Stigmatisierung verstanden werden. | |
In dem vor neun Jahren in Betrieb genommenen Münchner | |
Hochsicherheitsgerichtssaal fänden aus organisatorischen Gründen alle | |
möglichen Verfahren statt. So werde er für den [2][Wirecard-Prozess] | |
benutzt, er selbst habe hier auch schon ein Drogendelikt verhandelt. Und | |
der Saal habe durchaus seine Vorzüge, schwärmt der Richter: Er sei viel | |
freundlicher und größer als selbst der größte Saal des Justizzentrums im | |
Stadtinneren. Rund 100 Zuschauer passen in den Saal. | |
Hanna S., eine kleine, zierliche Frau mit brünettem Haar, ist gelernte | |
Kommunikationsdesignerin und Schreinerin, zuletzt studierte sie an der | |
Kunstakademie in Nürnberg. Jetzt steht die 30-Jährige hier wegen versuchten | |
Mordes vor dem Oberlandesgericht München. Dessen zumindest beschuldigt sie | |
der Generalbundesanwalt. Seit Mai vergangenen Jahres sitzt sie in | |
Untersuchungshaft. Als sie den Gerichtssaal betritt, brandet Applaus auf, | |
ein Großteil der Zuschauer springt auf, skandiert: „You are not alone!“ Die | |
Solidarität ist groß. Auch oben vor dem Eingang läuft seit 7.30 Uhr eine | |
Kundgebung mit Musik und Transparenten, auf denen „Wir sind alle Antifa“ | |
steht. Oder: „Feuer und Flamme der Repression“. | |
Bei den Vorwürfen gegen Hanna S. geht es um Gewalttaten am Rande des | |
[3][„Tages der Ehre“], eines Aufmarschs von hunderten, wenn nicht tausenden | |
Neonazis, die jeden Februar durch Budapest ziehen und den | |
Nationalsozialismus verherrlichen. Unter „Budapest-Komplex“ werden | |
Überfälle von mutmaßlichen Linksextremisten auf Menschen im Umfeld des | |
Aufmarschs zusammengefasst. | |
Im Februar 2023 soll es fünf solche Angriffe gegeben haben, an zweien davon | |
war Hanna S. nach Ansicht der Generalbundesanwaltschaft beteiligt. So sei | |
sie mittags mit sechs anderen Personen im Bus einem Mann gefolgt, in dem | |
die Gruppe aufgrund seiner militärischen Kleidung einen Rechtsextremisten | |
vermutete. An der Zielhaltestelle angekommen, habe man den Ungarn gefragt, | |
ob er zum „Tag der Ehre“ gehe. Dieser antwortete, dass er nicht könne, weil | |
er arbeiten gehen müsse, aber Bekannte habe, die daran teilnähmen. | |
## Verteidiger kritisieren „Dämonisierung“ | |
Die Gruppe, so die Anklage, entschied daraufhin, den mutmaßlichen Neonazi | |
zu überfallen. Einer habe ihn mit einem Teleskopschlagstock | |
niedergeprügelt, andere, darunter Hanna S., hätten ihn so fixiert, dass er | |
den Schlägen besser ausgesetzt gewesen sei. Nach dem etwa 30 Sekunden | |
dauernden Angriff habe man dem Mann noch Pfefferspray ins Gesicht gesprüht | |
und sei geflüchtet. Das Opfer hätten die Täter stark blutend liegen lassen. | |
Es habe Schädelprellungen, diverse weitere Prellungen und massive | |
Platzwunden am Kopf davongetragen. Die Täter hätten den Tod des Mannes | |
billigend in Kauf genommen. Bei einem ähnlichen Angriff in der Nacht wurden | |
ein deutsches Paar, das zum „Tag der Ehre“ nach Budapest gekommen war, | |
verletzt. | |
Dass der Richter so ausführlich erklärt, warum in diesem Saal verhandelt | |
wird, kommt freilich nicht von ungefähr. Das zeigt sich, als die beiden | |
Verteidiger ein Eröffnungsstatement verlesen, in dem sie der Justiz massive | |
Vorwürfe machen. Hier solle ein politischer Prozess abgehalten werden mit | |
der Botschaft: Haltet euch von Antifaschisten fern! Die Verlegung in den an | |
die JVA angeschlossenen Gerichtssaal, den sie als „Verhandlungszelle“ | |
bezeichnen und [4][mit Stammheim vergleichen], diene nur der Dämonisierung | |
ihrer Mandantin, die zur besonders gefährlichen Straftäterin hochstilisiert | |
werden solle. Normalerweise würde ein solcher Tatvorwurf am Amtsgericht | |
verhandelt. | |
Der Vorwurf des versuchten Mordes sei zudem mit nichts belegt. Auch das | |
Gericht hatte im Vorfeld bereits angedeutet, dass es am Ende nur um den | |
Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gehen könnte. Für diesen Fall | |
läge der Strafrahmen bei sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe. | |
Andernfalls wären es 3 bis 15 Jahre. Das Gericht hat für den Prozess 32 | |
Termine bis 15. September angesetzt. | |
19 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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