| # taz.de -- Prozess um verprügelte Neonazis: Anwälte fordern Freispruch für … | |
| > Hat Hanna S. in Budapest Neonazis verprügelt? Und wenn ja, sollte sie | |
| > dafür neun Jahre ins Gefängnis? Ihre Anwälte sagen zweimal: Nein. | |
| Bild: Sprecht Hanna frei! | |
| München taz | Bevor er den Anwälten von Hanna S. das Wort für ihr Plädoyer | |
| erteilt, will der Vorsitzende Richter Philipp Stoll selbst noch etwas | |
| loswerden. Er richtet sich allerdings nicht an die Anwälte, auch nicht an | |
| Hanna S. – sondern an die Zuschauer. Ausdrücklich weist er sie darauf hin, | |
| dass jegliche Äußerungen aus ihren Reihen zu unterlassen seien, | |
| insbesondere Beifall oder Missbilligung. Andernfalls drohe Ordnungsgeld bis | |
| zu 1.000 Euro oder Ordnungshaft. | |
| In der Tat sind die Zuschauerbänke wieder dicht besetzt – und das, obwohl | |
| der Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA Stadelheim so vielen Zuschauern | |
| Platz bietet wie kein anderer Gerichtssaal in München. Seit Prozessauftakt | |
| pilgerten zu jedem Termin des Verfahrens [1][zahlreiche Unterstützer von | |
| Hanna S.] Die Botschaft: Du bist nicht allein. Mitunter wurde diese | |
| Botschaft auch lautstark kundgetan, was in einem deutschen Gericht | |
| natürlich nicht geht. | |
| Dann also hat die Verteidigung das Wort, muss dem etwas entgegensetzen, was | |
| die Bundesanwaltschaft [2][hier vor einer Woche gefordert hat.] Und das war | |
| nicht wenig: Eine Freiheitsstrafe von neun Jahren beantragte sie für Hanna | |
| S. In ihren Augen steht es fest, dass die 30-jährige | |
| Kommunikationsdesignerin und Schreinerin eine Linksextremistin ist, die | |
| sich des versuchten Mordes, der gefährlichen Körperverletzung und der | |
| Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht hat. | |
| ## Anwalt: Anklage will Antifa dämonisieren | |
| Der zentrale Vorwurf: Im Februar 2023, beim sogenannten Tag der Ehre in | |
| Budapest, soll Hanna S. mit anderen Mitgliedern der linksextremen Szene | |
| [3][Menschen brutal zusammengeschlagen haben], die sie für Neonazis | |
| hielten. Hanna S. soll dabei unter anderem auf dem Arm eines zu Boden | |
| gegangenen Opfers gekniet haben, um ihn daran zu hindern, sich gegen die | |
| Schläge und Tritte der anderen zu wehren. Den Mann hätten sie attackiert, | |
| weil er „ein politisch Andersdenkender“ gewesen sei. Beim „Tag der Ehre“ | |
| kommen Rechtsextreme aus ganz Europa in der ungarischen Hauptstadt | |
| zusammen, um des Ausbruchsversuchs von Wehrmacht, Waffen-SS und ihren | |
| Kollaborateuren aus der von der Sowjetarmee belagerten Stadt zu gedenken. | |
| Verteidiger Peer Stolle nutzt die Gelegenheit zunächst für eine Apologie | |
| der Antifa im Allgemeinen. Die Anklage und die Strafforderung der | |
| Generalbundesanwaltschaft zielten darauf ab, antifaschistische Aktionen | |
| insgesamt zu dämonisieren – als Menschen, die den Tod des politischen | |
| Gegners in Kauf nehmen würden. Aber dann müsse es doch Hinweise auf eine | |
| Strategie von Antifa-Gruppen geben, die Tote mit einpreise, sagt Stolle und | |
| fragt: „Wann und wo wurden Neonazis von Antifaschisten getötet?“ | |
| Tötungshandlungen durch Rechtsextremisten fänden sich viele. Andersherum | |
| jedoch: Fehlanzeige. „Das ist die Realität“. | |
| Der Gewaltfetisch sei konstitutiv für die extreme Rechte. Die | |
| zugrundeliegenden Ideologien von Rechts- und Linksextremen unterschieden | |
| sich diametral. Er selbst sei in Ostdeutschland groß geworden, in den | |
| „Baseballschlägerjahre“. Damals seien viele froh gewesen, dass es Menschen | |
| gegeben habe, die den Mut hatten, sich den Neonazis entgegenzustellen. „Sie | |
| dagegen zu wehren sollte Aufgabe aller sein.“ | |
| ## Kein Nachweis einer Beteiligung | |
| Im Fall ihrer Mandantin fahren Stolle und sein Kollege Yunus Ziyal in ihrer | |
| Verteidigung dann zweigleisig: Es gebe überhaupt keinen Nachweis, dass die | |
| Person, die die Generalbundesanwaltschaft auf Bildern und Videos von den | |
| Vorfällen in Budapest als Hanna S. ausgemacht hat, auch tatsächlich diese | |
| sei. Für den Fall, dass sie es doch sei, argumentieren die beiden, dass man | |
| ihr allenfalls gefährliche Körperverletzung zur Last legen könne, | |
| keinesfalls aber versuchten Mord oder Mitgliedschaft in einer kriminellen | |
| Vereinigung. | |
| Zunächst aber, argumentiert Stolle, habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, | |
| dass Hanna S. an den Taten beteiligt gewesen sei. Weder hätten | |
| Fingerabdrücke oder DNA-Spuren darauf hingewiesen, noch habe es Hinweise | |
| auf eine Anreise ihrer Mandantin nach Budapest oder eine Beteiligung an | |
| Vorbereitung hierfür gegeben. Im Gegenteil: Ein Kontoauszug habe gezeigt, | |
| dass Hanna S. noch am 8. Februar, als andere schon nach Budapest gereist | |
| waren, noch in Nürnberg Geld abgehoben habe. Es gebe auch keine Hinweise | |
| darauf, dass Hanna S. und andere der Tat Beschuldigten sich gekannt hätten. | |
| Auch die Aussagen sogenannter Super-Recognizer, die Hanna S. auf Bild- und | |
| Videomaterial aus Budapest identifizieren sollten, seien nicht klar genug | |
| gewesen, um als Beweismittel herangezogen werden zu können. Gegen eine | |
| Täterschaft ihrer Mandantin spreche beispielsweise auch, dass sich Hanna S. | |
| – anders als andere Beschuldigte – nicht dem Verfahren entzogen habe, | |
| sondern in ihrer Wohnung in Nürnberg anzutreffen gewesen sei. | |
| ## Hanna S. schweigt | |
| Für ihre Verteidiger ist daher klar: Hanna S. ist freizusprechen und für | |
| die erlittene Untersuchungshaft von rund anderthalb Jahren zu entschädigen. | |
| Anwalt Ziyal spricht von einer Überinszenierung und einer überzogenen | |
| Strafforderung auf Seiten der Generalbundesanwaltschaft. Allenfalls könnten | |
| die Taten, derer Hanna S. beschuldigt wird, als gefährliche | |
| Körperverletzung gewertet werden. Dafür stünden Freiheitsstrafen von sechs | |
| Monaten bis 10 Jahren. Letzteres aber nur in schwersten Fällen. Hier habe | |
| es aber gar keine schweren Verletzungen gegeben, auch keinen Hinweis | |
| darauf, dass diese geplant gewesen sein. Im Gegenteil: Schon nach kurzer | |
| Zeit sei der Angriff auf ein verabredetes Signal hin abgebrochen worden. | |
| Für vergleichbare Taten hätten Gericht sonst höchsten Strafen von zwei bis | |
| zweieinhalb Jahren verhängt. | |
| Das letzte Wort hat die Angeklagte. Nein, sie wolle nichts sagen, sagt | |
| Hanna S. Und dann lässt sie den Kopf auf den Tisch fallen. Und dann, als | |
| die Richter den Saal bereits verlassen haben, brandet er doch noch auf, der | |
| Applaus. | |
| Die Urteilsverkündung ist für den 26. September angesetzt. | |
| 15 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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