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# taz.de -- Uraufführung in Kiel: Die Müllschmerzen der großen Seejungfrauen
> Meeresvermüllung auf die Bühne bringen? Das geht: Die Farce „Modern
> Mermates“ in Kiel erlaubt, auch mal beklommen zu lachen.
Bild: Na Prost! Am Meeresgrund ist alles zugemüllt. Und dann kreuzt auch noch …
Unten waten sie im Dreck, oben tuckern Kreuzfahrtschiffe. Doch eines Tages
wagen die Meeresbewohner:innen in dem Stück „Modern Mermates“, das am
Theater Kiel uraufgeführt wurde, den Aufstand gegen die Menschen und die
Vermüllung ihres Lebensraums. Das ist sehr komisch – wenn es nicht [1][so
furchtbar traurig] wäre.
Solange die Bühne [2][im kleinen Studio des Kieler Schauspielhauses] im
Halbdunkel liegt, könnte sie eine anmutige Landschaft aus Felsen
darstellen, gestört nur durch einige Plastikverpackungen. Als das Licht
angeht, zeigt sich: Der Grund ist komplett von Müll bedeckt. Auch die
Felsen bestehen aus Folien.
Alle Weile strömt Schaum aus einer Düse und verschlimmert die Lage noch.
Delfin Dirk (Yvonne Ruprecht), [3][invalide durch langen Dienst als
Begleiter der Göttin Demeter], ist eh schon alles egal: „Ich hab’
Mikroplastik im Atem, also kann ich auch rauchen.“ Nachschub gibt es genug:
„Zigarettenkippen machen acht Prozent des Mülls am Meer aus“, weiß Dirk.
Solche Hinweise sind in den Text eingestreut und lenken den Blick immer
wieder auf die echte Situation der Weltmeere und konkret der Ostsee, an der
das Stück angesiedelt ist. Dort leben Thetis (Tiffany Köberich) und
Amphinome (Isabel Baumert), die Mermaids, also Meermaiden, oder
Meer-Gemachte, Mermades?
## Kein Bock auf Erlösung
Passt beides nicht so recht, finden sie, während sie sich in lockerer
Sportkleidung mit ein bisschen Glimmer und Glitzer auf dem vermüllten Grund
tummeln. Sie einigen sich schließlich auf Mermates. Unter allen
mythologischen Geschöpfen käme ihresgleichen am schlechtesten weg: „Wir
warten immer nur auf Erlösung.“
Am schlimmsten sei die kleine Seejungfrau. Warum sich eine Nixe Beine statt
der Flosse wünschen sollte, ist beiden nicht klar: „Igitt, Füße!“
Dass die Menschen die Natur mit Füßen treten, ist vom Meeresgrund aus
bestens zu sehen. Die Mermates beschließen, dagegen auf dem Klageweg
vorzugehen. Doch das Gericht weist den Fall ab.
Nun besinnen sich die beiden auf ihre Sirenen-Fähigkeit, Seeleute per
Gesang auf einen Felsen zu locken. Mit wallenden Locken und wogenden Busen
geht es [4][auf die Jagd nach Traumschiffen].
Entstanden ist die Farce im Rahmen des Wettbewerbs „Textflimmern“, zu dem
das Theater Kiel und das Literaturhaus Kiel aufgerufen haben. Das Oberthema
lautete Klimawandel. Eine Jury prüfte 53 Einsendungen und entschied sich
für den Entwurf von Simone Saftig.
Die Dortmunderin, Jahrgang 1993, hat Literaturwissenschaften studiert,
arbeitet als Journalistin und freie Autorin. „Modern Mermates“ ist [5][das
dritte Theaterstück von ihr, das seine Uraufführung erlebt.]
Beim Schreiben stand für sie der Mythos der Wasserfrauen als
Projektionsfiguren, mal niedlich, mal gefährlich, im Vordergrund,
berichtete Saftig bei einem Publikumsgespräch im Schauspielhaus. „Und wenn
es Meerjungfrauen gäbe, worüber würden sie wohl reden? Den Klimawandel.“
Wie ernst der Autorin das Thema ist, blitzt immer wieder auf. „Unser
Schmerz ist für sie nur Blubberblasen“, sagt Thetis, nachdem das Gericht
die als Beweise vorgelegten abgerissenen Hai-Flossen oder in Netzen
erstickten Pinguine als irrelevant zurückgewiesen hat.
Demos oder Streik als Mittel? Das würde die Menschen gar nicht stören, ahnt
Amphinome: „Wir arbeiten nicht für sie.“ Das erinnert stark an die endlosen
Debatten bei Klimakonferenzen und die Proteste kleiner Inselstaaten, die
kaum Schuld am Steigen des Meeresspiegels tragen, aber als erste betroffen
sind.
Das Stück nimmt den realen Problemen mit teils albernem, teils bösem Humor
den schlimmsten Schrecken. Dabei helfen die vielen Einfälle der
Inszenierung, an der Johannes Ender als Regisseur, Tristan Brenzmüller als
Dramaturg und Hannah Landes als Ausstatterin beteiligt sind.
## Ein Riesendampfer auf der Studiobühne
So robben die Mermates unter Klängen der Mission-Impossible-Filme durch den
Müll. Die Touristen Laurie und Harry als Vertreter:innen der Menschheit
geraten angesichts von ihren sooo soften Liegen in geradezu sexuelle
Ekstase – dargestellt werden die beiden durch Strumpfpuppen, die Yvonne
Ruprecht ebenso wie das Kreuzfahrtschiff spielt.
Die Frage, wie sich so ein Riesendampfer auf eine Bühne bringen lässt, habe
sie beim Schreiben nur kurz beschäftigt, berichtet Autorin Saftig: „Ich war
froh, dass ich das nicht lösen musste.“ Regisseur Ender fand einen Weg,
indem er Ruprecht ein Pappmodell umhängt.
Die Schauspielerinnen Tiffany Köberich als großäugig verzweifelte Thetis,
die sich zur furienhaften Sirene wandelt, und Isabel Baumert als ihr
zaudernder Widerpart überzeugen, die vielbeschäftigte Yvonne Ruprecht
sowieso. Den Schlussakkord des Dramas setzen dann die Menschen: Es zeigt
sich, dass sie zu Mitleid nicht fähig sind. Das ist böse. Aber
wirklichkeitsnah.
28 Feb 2025
## LINKS
[1] /Oekosystem-Meer/!6037891
[2] https://www.theater-kiel.de/schauspiel-kiel/programm/produktion/titel/moder…
[3] /Dokumentartheater-LebensWert/!5998777
[4] /Muellmuseum-in-Berlin/!6051232
[5] https://tdz.de/person/3c52cd92-e253-4c32-992d-0a237d01a690
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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