# taz.de -- Das BSW im Wahlkampf: Kein Schlager mehr | |
> Für die Wagenknecht-Partei läuft's nicht. Gewerkschafter treten wegen | |
> ihres Migrationskurses aus. Der Ukraine-Krieg spielt keine große Rolle. | |
> Was tun? | |
Bild: Auftritt im BSW-Stammland: Sarah Wagenknecht in Erfurt | |
Berlin, Erfurt taz | „Bringen Sie alle noch drei Leute zusätzlich mit, wenn | |
Sie wählen gehen“, ruft Sahra Wagenknecht am Ende ihrer Rede in Erfurt in | |
der Saal. „Uns bläst der Wind ins Gesicht.“ Denn: „Sie wollen uns | |
loswerden.“ Alle sollen Freunde, Verwandte und Nachbarn überzeugen, für sie | |
zu stimmen, so die BSW-Chefin. | |
Der Appell scheint notwendig. Laut Umfragen schrammt das BSW bundesweit an | |
der Fünf-Prozent-Hürde. [1][Und die Massen strömen auch nicht mehr so wie | |
früher]. Der Carl-Zeiss-Saal im Erfurter Messezentrum mit Platz für 700 | |
Besucher ist nur zu gut zwei Dritteln gefüllt. Es sind vor allem stramme | |
Anhänger, überwiegend leicht ergraut. Die Welle der Euphorie, die die | |
Partei bei den Wahlen im Herbst in Ostdeutschland in drei Landesparlamente | |
getragen hat, scheint verebbt. | |
In Erfurt sorgt der ehemalige MDR-Moderator Steffen Quasebarth, der nun für | |
das BSW im Erfurter Landtag sitzt, professionell für Stimmung. Die drei | |
BSW-MinisterInnen in Thüringen, darunter die ehrgeizige Landeschefin Katja | |
Wolf, sitzen in der ersten Reihe. Reden dürfen sie nicht. | |
Für Wagenknecht ist es ein Heimspiel. In Thüringen hat das BSW bei der | |
Landtagswahl fast 16 Prozent erzielt, laut Umfragen würden dort bei der | |
Bundestagswahl immer noch 13 Prozent für das BSW stimmen. Die | |
Regierungsbeteiligung hat der Protestpartei nicht genutzt – aber auch nicht | |
allzu stark geschadet. | |
## Harter Wahlkampf im AfD-Land | |
„Der Wahlkampf ist sehr anstrengend, gerade durch die Kälte“, sagt Lucas | |
Saß vor der Veranstaltung. Der 18-jährige Afrodeutsche, der in Jena in | |
einem Plattenbau aufwuchs, kandidiert in Thüringen für das BSW für den | |
Bundestag auf dem dritten Listenplatz. Er ist eine Ausnahme in der Partei, | |
in der die älteren Semester überwiegen. Tagsüber war er in Kranichfeld, | |
einer AfD-Hochburg. Wo die AfD stark sei, müsse er sich oft „unterirdische“ | |
Beleidigungen anhören, es sei ekelhaft. | |
Trotzdem setzt er auf Dialog, an Wahlkampfständen und bei | |
Podiumsdiskussionen in Schulen. Es sei schwer, mit den Menschen in Kontakt | |
zu kommen, sagt der eloquente Teenager, „weil die Leute politikmüde sind“. | |
Nach Kommunalwahlen, Europa- und Landtagswahlen in Thüringen sagten viele | |
Leute: „Lasst uns doch einfach in Ruhe.“ Aber viele seien froh, dass es das | |
BSW gebe, so sein Eindruck. | |
Aber reicht das am 23. Februar? [2][Migration und der Ukrainekrieg waren | |
Gründe für die spektakulären Wahlerfolge der Wagenknecht-Partei im Osten.] | |
Doch seit Trump regiert und Friedrich Merz mit der AfD im Bundestag | |
gemeinsame Sache macht, haben sich die Koordinaten verschoben. Wer für | |
radikale Migrationsbegrenzung ist, kann die Merz-Spahn-Union wählen. Auf | |
der anderen Seite hat die Linkspartei plötzlich wieder Zulauf. Hat das BSW | |
eine Antwort auf die neue Lage? | |
## Applaus für Evergreens | |
In Erfurt bietet Wagenknecht bekannte Evergreens: Waffenlieferungen würden | |
den Krieg in der Ukraine nur weiter befeuern. Nur mit russischem Gas komme | |
Deutschland aus der Wirtschaftskrise. Routiniert schürt sie Ängste vor | |
einem Weltkrieg, sollten im nächsten Jahr wie geplant | |
US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden. | |
Routiniert keilt sie auch gegen „Kriegstüchtigkeits-Pistorius“ und | |
„Pleite-Minister Habeck“, der „das Weltklima im Heizungskeller retten“ | |
wolle, statt die Bahn zu reformieren. Scholz attestiert sie einen | |
„Realitätsverlust wie in den letzten Tagen der DDR“, weil er [3][beim | |
TV-„Kanzlerduell“] für eine zweite Amtszeit geworben hatte. Themen wie | |
Rente, Gesundheit und Bildung seien beim „Kanzlerduell“ gar nicht | |
vorgekommen. Wagenknecht fordert eine Mindestrente, mehr Geld für Bildung | |
und Pflege und keine Zweiklassenmedizin. Das kommt in Erfurt gut an. | |
In Berlin singt [4][Oskar Lafontaine] einen Tag später fast dasselbe Lied | |
wie Wagenknecht in Erfurt. In seiner Variante klingt es aber noch deftiger. | |
Man könne Parteien, „die die Scheiße angerichtet haben“, nicht wählen. | |
Damit ist der Ton für die Schimpfkanonade im Kino Babylon in Berlin-Mitte | |
gesetzt. | |
Lafontaine erinnert an den Auftritt einer alten Rock-’n’-Roll-Band. Man | |
kennt die Hits. Rente in Österreich zum Beispiel. „Warum bekommen Rentner | |
in Österreich 800 Euro mehr als in Deutschland?“, ruft der 82-Jährige. Der | |
Bundestag könne das österreichische Rentensystem doch einfach übernehmen. | |
Das sagt Wagenknecht einen Tag später auch in Erfurt. | |
## Polemisches Talent | |
Lafontaine ist einer der wortgewaltigsten Rhetoriker der deutschen Politik | |
in den letzten Jahrzehnten. Keiner kann schneidender formulieren. Sein | |
Talent für Wortspiele blitzt in Berlin auf. Die Kritik an Friedrich Merz | |
wegen der gemeinsamen Abstimmung mit AfD hält der Ex-SPD-Chef für | |
überzogen; „Merz ist doch kein Reichskanzler, sondern ein Reichenkanzler“, | |
ruft er in donnernden Applaus. | |
Doch das polemische Talent hat eine brüchige Stimme. Und Lafontaine ist | |
noch ideologischer, noch polemischer geworden. Den Anschlag auf die | |
Pipeline Nord Stream 2 nennt er einen „Terrorakt gegen Deutschland“. Man | |
müsse deshalb sofort alle Zahlung an die Ukraine einstellen. „Sind wir denn | |
bekloppt?“, ruft er. Und: „Die Welt ist verrückt geworden.“ Er klingt wie | |
ein Wutrentner, der den Fernseher anbrüllt. Wie Gernot Hassknechts Bruder. | |
Im Publikum im Babylon dominieren ältere Männer. Knapp 400 Leute sind | |
gekommen. Immerhin. Aber es gibt wie in Erfurt noch freie Plätze. | |
Schräg gegenüber im Karl-Liebknecht-Haus hatte Lafontaine drei Jahre lang | |
ein Zimmer, als er Vorsitzender der Linkspartei war. Die Linkspartei | |
rangiert in Umfragen vor dem BSW. Die Linke im Bundestag, das BSW draußen – | |
es wäre eine letzte Pointe in diesem Kampf. Lafontaine erwähnt seine | |
Ex-Genossen in seinem Empörungsreigen nicht. Deutschland, ruft er, sei „ein | |
kläglicher Vasall der USA“. Scholz – ein Vasall von Trump? Das ist kein | |
nostalgisches Abschiedskonzert eines alten Rocks ’n’ Rollers. Eher ein | |
Auftritt mit kreischend übersteuertem Ton. | |
## Agitation gegen „Kriegstreiber“ | |
Ein paar Tage davor, im 5. Stock des IG-Metall-Hauses in Berlin-Kreuzberg: | |
„Nein zum Krieg und Sozialabbau“ steht auf den Plakaten. Das Publikum – | |
ungefähr 60 Leute, viele Männer, wenig Frauen, viel Grau – müht sich die | |
Treppen hoch zum Saal unter dem Dach. Der Aufzug ist seit Langem kaputt. | |
Einer sieht darin ein Zeichen für die Deindustrialisierung Deutschlands. So | |
ist es nicht. Der Fahrstuhl funktioniert nicht, weil die Aufzugfirma an | |
Auflagen des Denkmalschutzes scheiterte. | |
Sevim Dağdelen, Ex-Außenpolitikerin der Linkspartei, ätzt, dass die „dummen | |
Deutschen“ ihre Waffen an die Ukraine verschenken und einen | |
Wirtschaftskrieg gegen Russland führen, statt an sich selbst zu denken. | |
Kein russisches Gas und Öl zu kaufen, sei „scheinmoralisch“. Die USA seien | |
doch schlimmer als Russland. | |
Doch seit Trump an der Macht ist, ist vieles anders. Im Wahlkampf spielt | |
die Ukraine kaum eine Rolle. Die BSW-Agitation gegen die „Kriegstreiber“ in | |
Washington dreht leer. Die Diskussion im IG-Metall-Haus plätschert | |
entsprechend überraschungsarm dahin. Man ist für Frieden mit Putin, die | |
anderen sind für den Krieg, so der Konsens. Aber seit Trump fehlt der | |
Schwung. Populistische Parteien sind stimmungsabhängig. Wenn ihre Themen | |
keine Konjunktur haben, ist die Baisse tiefer als bei Parteien mit | |
beständigem Wertegerüst. | |
## Streit über Migrationspakt mit der AfD | |
Nach eineinhalb Stunden fragt eine Frau leise und vorsichtig, ob die | |
Migrationspolitik des BSW nicht „in die Nähe von unappetitlicher Parteien“ | |
führe. Der Satz wirkt wie ein Streichholz im Heuhaufen. Das BSW hat im | |
Bundestag [5][mit der AfD die Hand für das Zustrombegrenzungsgesetz | |
gehoben]. | |
„Wir können nicht jedes Jahr 250.000 Leute aufnehmen“, so Dağdelen. Einen | |
Aktivisten mit grauem Zopf und Palästinensertuch hält es da kaum noch auf | |
seinem Stuhl. „Das ist verdeckter Rassismus“, ruft er in den Saal. Dağdelen | |
kontert, das BSW mache „Politik für die Mehrheit“, um die AfD klein zu | |
bekommen. Aus dem Publikum schallt es zurück: „Nein, ihr redet der AfD nach | |
dem Mund.“ | |
Wagenknechts Plan, mit restriktiver Migrationspolitik die AfD zu bekämpfen, | |
spaltet nicht die AfD, sondern die eigenen Reihen. Die Wählerschaft des BSW | |
speist sich bisher vor allem aus Ex-Anhängern von Linkspartei, SPD, Union | |
und sogar den Grünen – weniger aus AfD-Anhängern. | |
Im Moment wirkt das BSW weder nach links noch nach rechts attraktiv. In | |
Bayern sind ein halbes Dutzend BSW-Gewerkschafter wegen Wagenknechts rüder | |
Ansagen in der Migrationspolitik ausgetreten. Die IG Metall in Bayern legte | |
dem BSW-Bundestagsabgeordneten und Gewerkschafter Klaus Ernst am Mittwoch | |
den Austritt aus der IG Metall nahe. Er habe sich, so der Vorwurf, „mit | |
Rassist*innen gemeingemacht“. | |
Der Moderator im IG-Metall-Haus in Berlin stellt am Ende seufzend fest, es | |
gebe Diskussionsbedarf. Und: „Wir sollten alle zusammen bleiben.“ Das ist | |
keine Selbstverständlichkeit mehr. Sogar Wagenknecht will lieber wieder | |
Bücher schreiben, wenn das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Es | |
läuft, kurz vor der Wahl, nicht rund für das BSW. | |
13 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /BSW-im-Wahlkampf/!6064936 | |
[2] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-22-LT-DE-BB/umfrage-bsw.shtml | |
[3] /Scholz-und-Merz-im-Kanzlerduell/!6068134 | |
[4] /Bundesparteitag-des-BSW/!6058429 | |
[5] /Anti-Asyl-Plan-der-Union/!6066149 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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gemacht. |