# taz.de -- Israelische Musikszene nach Oktober 2023: Im Club unerwünscht | |
> Nach dem 7. Oktober 2023 sehen sich viele Künstler der israelischen | |
> elektronischen Musikszene isoliert. Das Nova-Massaker wird ignoriert. | |
Bild: In der internationalen Clubszene ist Trauer über die Opfer des Terrorang… | |
Berlin taz | Vier Raver*innen umarmen sich innig neben einer | |
Lautsprecherbox auf einer Tanzfläche inmitten von Bäumen. Eine von ihnen | |
trägt ein rotes Palästinensertuch sowie ein grünes Stirnband mit der | |
Shahada, dem islamischen Glaubensbekenntnis, wie es auch von | |
Hamas-Terroristen getragen wird. | |
Die surreale Szene ereignete sich beim New Yorker Festival „Sustain | |
Release“ im September 2024. Ein Foto davon wurde von Alyce Currier auf | |
ihrem Instagram-Account geteilt. Sie ist eine der vier Personen auf dem | |
Foto und laut Festival-Webseite als Künstler-Koordinatorin angestellt. | |
Außerdem legt sie als DJ unter dem Alias Lychee auf und war im Vorstand der | |
Tantiemenplattform Aslice, gegründet vom US-Technoproduzenten DVS1. | |
Das Festival in New York fand nur drei Wochen vor dem ersten Jahrestag des | |
[1][Terrorangriffs auf das Nova-Festival statt: Am 7. Oktober 2023] | |
stürmten schwer bewaffnete Hamas-Terroristen das Psytrance-Festival in der | |
israelischen Negevwüste – viele trugen grüne Stirnbänder. Mindestens 364 | |
Festivalbesucher*innen wurden ermordet, 38 nach Gaza verschleppt. | |
## Weiter Nova-Besucher unter den Geiseln | |
Vergangenen Mittwoch wurde endlich ein Waffenstillstand zwischen der Hamas | |
und Israel beschlossen: 33 Geiseln sollen über die kommenden Wochen | |
freikommen, am Sonntag kamen die ersten drei Frauen aus der Geiselhaft der | |
Hamas im Austausch gegen 90 palästinensische Strafgefangene frei. Der Rest | |
der insgesamt noch 95 Geiseln, darunter einige Nova-Besucher, jedoch nicht. | |
Einige Todesopfer beim Nova-Festival wurden mit gespreizten Beinen oder | |
entfernter Unterhose verstümmelt aufgefunden, Überlebende berichten auch | |
von Vergewaltigungen und Folter. Und sie leiden bis heute an den | |
psychischen Folgen dieses brutalen Tages: Manche sollen sich laut | |
Medienberichten das Leben genommen haben. | |
Doch ihr Schicksal findet kaum Resonanz in der internationalen | |
elektronischen Musikszene. In den vergangenen 15 Monaten wurde der | |
Massenmord teils sogar als legitime Form von Widerstand gefeiert. Im | |
Februar 2024 starteten etwa angloamerikanische Aktivisten die | |
antiisraelische Kampagne „DJs Against Apartheid“. Auch sie bezeichnet den | |
„bewaffneten Widerstand“ vom 7. Oktober als „natürliche“ und | |
„unausweichliche Reaktion“. 3.000 DJs weltweit unterstützen den bizarren | |
Aufruf per Unterschrift, darunter auch Lychee. | |
## Druck auf Clubs von Aktivisten | |
Trauer über die Schicksale der Menschen, die beim Nova-Festival zu Schaden | |
gekommen sind, ist bis heute eher selten in der Szene – ja, sie stößt sogar | |
explizit auf Widerstand. Im Oktober lancierten propalästinensische DJs in | |
Berlin eine Social-Media-Kampagne gegen eine Gedenkveranstaltung im | |
[2][Club://about blank] anlässlich des ersten Jahrestags des | |
Festivalmassakers. | |
Federführend dafür war Lara Golz, die unter dem Namen Golden Medusa als DJ | |
auflegt. Sie rief ihre rund 4.000 Follower auf Instagram dazu auf, das | |
britische Veranstaltungsportal Resident Advisor unter Druck zu setzen, den | |
Hinweis auf die Veranstaltung von der Seite zu entfernen. | |
„Ekelhaft, dass diese Plattform zionistische Veranstaltungen wie diese | |
nicht löschen will“, schäumte Golz auf Instagram, garniert mit Kotz-Emojis. | |
Die Berliner DJ beschuldigte die Promoter der Gedenkveranstaltung, | |
„genozidale Lügen zu verbreiten, die schon vor Monaten entlarvt worden“ | |
seien, weil sie die „zahlreichen Aussagen zu Vergewaltigungen und | |
sexualisierter Gewalt“ erwähnten. | |
In einem anderen Beitrag, in dem maskierte bewaffnete Männer zu sehen sind, | |
die Gleitschirm fliegen und stark an die Hamas-Terroristen vom 7. Oktober | |
erinnern, schrieb Golz in Großbuchstaben: „Widerstand ist die tiefste Form | |
der Liebe.“ Die Bitte um Stellungnahme ließ sie unbeantwortet. | |
## Nicht mehr „Teil von etwas Globalem“ | |
Resident Advisor knickte dennoch ein. In einer E-Mail, die der taz | |
vorliegt, bat die Plattform, jegliche Erwähnung von sexualisierter Gewalt | |
gegen die Israelis aus der Online-Beschreibung der Gedenkveranstaltung zu | |
löschen, da das „triggernd“ sein könne. Die Veranstalter kamen der Bitte | |
nicht nach. | |
Auf taz-Nachfrage schreibt Resident Advisor, man habe mehrere Beschwerden | |
erhalten und deshalb „in Übereinstimmung mit unserem Moderationsprozess“ | |
die Promoter der Gedenkveranstaltung im://about blank kontaktiert. Da die | |
Veranstaltung jedoch nicht gegen die betrieblichen Richtlinien verstoßen | |
habe, sei dies eine „nicht-obligatorische Bitte“. Der Text zur | |
Veranstaltung sei schließlich unverändert übernommen worden und stehe bis | |
heute online. | |
Wegen solcher Vorfälle fühlen sich viele israelische Künstler*innen | |
zunehmend isoliert. „Wir waren sehr naiv zu glauben, dass wir als | |
israelische Protagonisten der elektronischen Musikszene Teil von etwas | |
Globalem sind“, sagt Adi Shabat der taz. Sie war Resident-DJ im inzwischen | |
geschlossenen Tel Aviver Club The Block, bezeichnet sich selbst als links | |
und Kritikerin der Netanjahu-Regierung. Shabat ist jedoch der Meinung, dass | |
antiisraelische Vorurteile in der internationalen elektronischen Musikszene | |
weit verbreitet seien. „Viele meiner Freunde haben jetzt Probleme, | |
Auftritte im Ausland zu bekommen.“ | |
## Sorge um die eigene Karriere | |
Ähnlich sieht es „Block“-Gründer Yaron Trax, der nun Festivals in der | |
Negevwüste organisiert. Am 7. Oktober 2023 wurde auch der Tontechniker | |
seines ehemaligen Clubs, Matan Lior, beim Nova-Festival ermordet. | |
„Viele Leute haben Angst, offen über die Ereignisse beim Festival zu | |
sprechen, sogar internationale DJs, die hier regelmäßig aufgelegt haben“, | |
sagt er zur taz. Sie hätten Sorge um ihre Karrieren, glaubt er. Selbst | |
israelische Künstler*innen, die weiterhin regelmäßig auftreten, aber nur, | |
solange sie die Geschehnisse beim Nova-Festival und die verbliebenen | |
Geiseln in Fängen der Hamas nicht thematisieren, sagt Trax. | |
Auch Maayan Nidam ist bei dem Thema eher zurückhaltend, sagt sie zur taz. | |
Öffentlich äußert sie sich kaum – aus Angst vor Gegenreaktionen und aus | |
Rücksicht auf die Promoter, von denen sie noch gebucht wird. Seit 2003 lebt | |
die Produzentin in Berlin, sie veröffentlicht beim deutschen | |
Minimal-Techno-Label Perlon. Die Bookinganfragen werden seit dem 7. Oktober | |
weniger, zumindest in Europa. | |
Zuvor habe sie sich nie als „israelische Künstlerin“ gesehen, sagt Nidam. | |
Jetzt werde sie als „Zionistin“ beschimpft. „Ich fühle mich nun viel mehr | |
mit israelischen Künstlern verbunden, aber auch mit libanesischen und | |
palästinensischen“, sagt sie. „Niemand sonst versteht meinen Schmerz. | |
Niemand spricht über die [3][Geiseln].“ Ihre Familie kenne zwei der | |
Todesopfer vom Nova-Festival, eine Verwandte wurde verschleppt und in Gaza | |
schließlich ermordet. | |
Anderswo wächst dagegen die Faszination für die Gewalttaten der Hamas. Zum | |
ersten Jahrestag teilte die New Yorker DJ Alyce Currier alias Lychee einen | |
Beitrag auf Instagram: Zu sehen gab es ein Interview mit einem hochrangigen | |
Hamas-Führer, der von einer „heldenhaften Haltung“ der antiisraelischen | |
Fronten spricht. Currier kommentierte: „Auf den Widerstand, überall.“ | |
20 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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