| # taz.de -- Christian Drosten: „Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde… | |
| > Hatte die Coronapandemie ihren Ursprung in der Natur oder im Labor? | |
| > Virologe Christian Drosten ist überzeugt: China könnte für Klarheit | |
| > sorgen. | |
| Bild: Christian Drosten im Januar 2025 in einem Labor der Charité | |
| taz: Es war gar nicht so einfach, Sie von einem Interview zu überzeugen, | |
| Herr Drosten. | |
| Christian Drosten: Es gibt so diese Standardinterviews im Moment: Fünf | |
| Jahre Pandemie und was haben wir gelernt … Es ist mir wichtig, dass ein | |
| Zeitungsinterview darüber hinausgeht. | |
| taz: Dann versuchen wir das mal. Es gibt ein interessantes Paradoxon im | |
| Umgang mit gefährlichen Viren. Und das fängt so an: 2011 gab es eine große | |
| Debatte um das gefährlichste Virus, das jemals in einem Labor erzeugt wurde | |
| … | |
| Drosten: … Sie meinen die Forschung meiner Kollegen Ron Fouchier und Yoshi | |
| Kawaoka. | |
| taz: Genau. Die New York Times hat damals von einem „technisch | |
| herbeigeführtem Weltuntergang“ geschrieben. Es hieß zunächst, das im Labor | |
| erzeugte Vogelgrippevirus sei zu 60 Prozent tödlich und könne über die Luft | |
| übertragen werden. | |
| Drosten: Die Forschungsfrage war damals: Wie schnell können H5N1-, also | |
| Vogelgrippeviren, gefährlich werden für den Menschen? Ron Fouchier und sein | |
| Team haben verschiedene Mutationen, die bereits in der Natur vorkamen, im | |
| Labor kombiniert und auf Frettchen angepasst. Frettchen sind repräsentativ | |
| für die menschlichen Atemwege. Nach ein paar Anpassungsschritten entstand | |
| ein Virus, das tatsächlich über die Luft zwischen Säugetieren übertragbar | |
| war. Ron Fouchier hat das damals in einem wissenschaftlichen Meeting als | |
| das vielleicht gefährlichste Virus, das je in einem Labor untersucht wurde, | |
| bezeichnet. Das führte dann zu einer zugespitzten Debatte in der | |
| Öffentlichkeit. | |
| taz: Die Publikation der Studienergebnisse wurde zurückgehalten, es gab ein | |
| Moratorium für diese Art von Forschung. | |
| Drosten: Diese Diskussion wurde sehr breit geführt, ja. | |
| taz: Inzwischen zirkuliert das natürliche Vogelgrippevirus in den USA bei | |
| Milchkühen – ohne dass darüber so erhitzt in der Öffentlichkeit debattiert | |
| wird. Ist das nicht paradox? | |
| Drosten: Man kann inzwischen auch virologisch belegen, dass sich das | |
| Vogelgrippevirus in den USA schon ein Stück an Säugetiere angepasst hat. | |
| Und das, was dabei herauskommen könnte, kann sicherlich so gefährlich sein | |
| wie das, was auch in den Experimenten von Ron Fouchier bearbeitet wurde. | |
| taz: Es wird aber viel weniger überwacht als im Labor. | |
| Drosten: Ja, das findet in sehr großen Milchviehbetrieben mit Tausenden | |
| Tieren statt, die das Virus weitergeben und vermehren können. Wir wissen | |
| inzwischen: Auch Menschen werden dadurch infiziert. | |
| taz: Die potenzielle Bedrohung durch ein Laborvirus wird viel intensiver | |
| wahrgenommen als die reale Bedrohung durch ein in | |
| Massentierhaltungsbetrieben zirkulierendes Virus. | |
| Drosten: Das ist auch in gewisser Weise verständlich. Es ist eine monströse | |
| Vorstellung, dass in einem Labor ein gefährliches Virus entwickelt wird, | |
| das dann vielleicht durch Schlamperei entweicht, und am Ende haben wir eine | |
| Pandemie. | |
| taz: Genau so ein Laborunfall wird immer noch als Auslöser der | |
| Coronapandemie diskutiert. Welche Rolle spielt diese Debatte in | |
| Deutschland? | |
| Drosten: Ich glaube durchaus, dass viele Menschen in Deutschland sich dafür | |
| interessieren. Im Vergleich wird die Diskussion allerdings in den USA viel | |
| schillernder geführt, viel kontroverser. Dort kommen auch Informationen aus | |
| Ministerien und Sicherheitsbehörden in die Öffentlichkeit, ohne dass Belege | |
| geliefert werden. Das stimuliert natürlich hitzige Diskussionen. | |
| taz: Liegt es auch an Ihnen, dass in Deutschland weniger hitzig diskutiert | |
| wird? Schließlich haben Sie von Anfang an vehement argumentiert, dass ein | |
| natürlicher Ursprung wahrscheinlicher ist als ein Laborunfall. | |
| Drosten: Die Vehemenz wurde mir vielleicht nachgesagt, aber so war das nie. | |
| Ich habe einfach das wiedergegeben, was wir in meinem Wissenschaftsfach | |
| wissen. Und ich muss auch darauf hinweisen, dass sich die Datenlage seit | |
| 2020 weiterentwickelt hat und meine Bewertung ebenso. | |
| taz: Beginnen wir von vorne. 2019 tritt das Virus, das wir später | |
| Sars-CoV-2 nennen, das erste Mal gehäuft im Umfeld des Markts im | |
| chinesischen Wuhan auf. Dort wurden auch Tiere gehandelt, die als typische | |
| Überträger auf den Menschen gelten. In Wuhan gibt es allerdings, und das | |
| ist sicher der Ursprung für alle Spekulationen, auch ein Labor, das an | |
| Sars-Viren forscht. | |
| Drosten: Das Institut in Wuhan ist eines der größten Forschungsinstitute | |
| für Virologie in [1][China]. Nach der ersten Sars-Epidemie im Jahr | |
| 2002/2003 wurde dort, aber auch in Peking und anderen Orten, an Sars | |
| gearbeitet. In Wuhan gibt es eine Arbeitsgruppe, die relativ früh die | |
| Verbindung zwischen dem Sars-1-Virus und Fledermäusen gefunden hat, und | |
| diese Arbeitsgruppe hat seitdem weiter daran gearbeitet. Ich kannte die | |
| leitende Wissenschaftlerin aus dem Forschungsfeld. | |
| taz: Als Sie die ersten Nachrichten über ein unbekanntes Virus aus Wuhan | |
| gehört haben, kam Ihnen das nicht komisch vor? Ausgerechnet Wuhan. | |
| Drosten: Nein. Meine Assoziation war eher: Das trifft sich ja gut, dann ist | |
| direkt jemand vor Ort, der sich damit befassen kann. Ich hatte gleich am | |
| Anfang die leitende Wissenschaftlerin kontaktiert und hatte den Eindruck, | |
| sie weiß selbst noch nicht, was genau passiert, befasst sich aber | |
| erwartungsgemäß direkt damit. Dann hat aber schnell das Zentrum für | |
| Krankheitskontrolle aus Peking übernommen, wie sie sagte. | |
| taz: Sie glaubten jedenfalls an einen natürlichen Ursprung. | |
| Drosten: Das halte ich immer noch für wahrscheinlich und das nehmen auch | |
| fast alle Wissenschaftler an, die mit dem Thema befasst sind. Annehmen | |
| heißt aber nicht wissen. | |
| taz: Was meinen Sie mit Wissenschaftlern, die damit befasst sind? | |
| Drosten: Das sind Wissenschaftler, die in dem spezifischen Feld forschen | |
| und Detailkenntnis haben. Im Gegensatz dazu argumentieren manche Experten | |
| aus einer entfernten Perspektive, ohne Detailkenntnis. Die sind sicherlich | |
| gute Wissenschaftler in ihrem Feld, aber eben nicht in diesem. | |
| taz: Und was sagen die Wissenschaftler*innen mit Detailkenntnis? | |
| Drosten: Da passt eigentlich alles zusammen: Die frühen Infektionen hatten | |
| eine räumliche Verbindung zum Markt. Dort gab es die Zwischenwirte, | |
| Marderhunde, und das Virus wurde genau da auf dem Markt gefunden, wo auch | |
| diese Tiere verkauft wurden. Auf dem Markt hat man auch die frühen beiden | |
| Viruslinien gefunden, von denen die Pandemie ausging. Diese Linien sind | |
| geringgradig unterschiedlich und gehen nicht auf einen bekannten | |
| gemeinsamen Vorfahren im Menschen zurück. Der Mensch hat also mit einiger | |
| Wahrscheinlichkeit das Virus mehrmals erworben, und das passt eher zu | |
| Infektionen an einer Gruppe von Tieren als im Labor. Natürlich könnten sich | |
| die Markttiere auch an infizierten Menschen angesteckt haben, aber | |
| wahrscheinlicher ist eine Infektion des Menschen am Tier, wie auch bei | |
| Sars-1. | |
| taz: Das klingt nach indirekten Indizien. | |
| Drosten: Richtig, das sind alles nur Indizien. Ein Beweis fehlt für den | |
| natürlichen Ursprung genauso wie für den Laborursprung. Und das | |
| Frappierende ist, dass der Beweis für den natürlichen Ursprung eigentlich | |
| erbracht werden könnte. Chinesische Wissenschaftler haben dafür alle | |
| technischen Möglichkeiten. Es ist medienbekannt, wenn auch für mich nicht | |
| überprüfbar, dass zu der Zeit auf dem Markt und auch in Zuchtbetrieben | |
| bestimmte Tierarten, die als Wirte im Verdacht stehen, gekeult wurden. Und | |
| es ist für mich schwer denkbar, dass so etwas passiert, ohne dass Proben | |
| genommen und getestet werden. Bei dem Sars-1-Ausbruch 2002/2003 hat es ein | |
| paar Jahre gedauert, aber dann kamen immer mehr Studien aus China, die | |
| wasserdicht gemacht haben, dass dieses Virus aus solchen Tieren kommt. | |
| taz: Das hätten Sie hier auch erwartet? | |
| Drosten: Ja, und ich muss sagen, je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer | |
| werde ich. Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein. | |
| Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war. Die | |
| Politik sollte nach all den Jahren deutlicher die Forderung an China | |
| stellen, jetzt wirklich zu beweisen, dass es aus der Natur kommt. | |
| taz: Wenn Sie jetzt sagen, dass dieses Virus vielleicht doch aus dem Labor | |
| kam, wird das für Aufruhr sorgen. | |
| Drosten: Das würde ich so direkt auch nicht postulieren. Es ist aber nicht | |
| dasselbe, wenn wir im Jahr 2020 den Beleg für einen natürlichen Ursprung | |
| noch nicht haben, wie wenn wir im Jahr 2025 diesen Beleg immer noch nicht | |
| haben. | |
| taz: Das Sars-CoV-2-Virus verfügt über eine besondere Eigenschaft, die es | |
| so übertragbar beim Menschen macht. | |
| Drosten: Das ist eine Viruseigenschaft, die berechtigterweise erst einmal | |
| zu Stirnrunzeln führt: die sogenannte Furinspaltstelle. Das ist etwas | |
| kompliziert, aber wir müssen uns kurz die Zeit nehmen zu verstehen, was das | |
| ist. | |
| taz: Nur zu. | |
| Drosten: Sie kennen doch diese Transportsicherungen bei Schränken oder | |
| Waschmaschinen – erst wenn man die abmacht, klappt die Tür auf oder dreht | |
| sich die Trommel. Und die Furinspaltstelle ist quasi ein Werkzeug, das beim | |
| Virus mitgeliefert wird, um seine Transportsicherung zu entfernen. Das | |
| Virus wird dadurch aktiviert und kann sich in den Atemwegen von Säugetieren | |
| besser ausbreiten. Bei dem Sars-1-Virus und seinen Verwandten in Tieren | |
| hatte man diese Furinspaltstelle vor der Pandemie nicht beobachtet, und das | |
| ist das Hauptargument der Verfechter der Laborursprungstheorie: Wenn es die | |
| sonst nicht gibt, muss die da jemand künstlich reingebaut haben. | |
| taz: Das sehen Sie anders? | |
| Drosten: Wir kennen solche Furinspaltstellen aus anderen Coronaviren und | |
| wir wissen von Influenzaviren, dass sie durch Mutation in der Natur | |
| entstehen und das Virus damit plötzlich hochansteckend ist für Tiere und | |
| Menschen. Das Vorkommen dieser Furinspaltstelle bei Sars-CoV-2 ist zwar | |
| auffällig, aber das ist erst mal ein Phänomen, das nichts beweist. | |
| taz: Inzwischen ist aber bekannt, dass in Wuhan Forschung in diese Richtung | |
| geplant war. | |
| Drosten: In meiner Anfangseinschätzung zum Virusursprung wusste ich davon | |
| noch nichts. 2021 wurde mithilfe des amerikanischen | |
| Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht, dass amerikanische | |
| Wissenschaftler bereits 2018 einen Antrag auf Forschungsfinanzierung | |
| gestellt hatten für Arbeiten, die in meiner Bewertung durchaus nicht | |
| harmlos sind. Das Labor in Wuhan ist in diesem Förderantrag als Partner | |
| genannt. | |
| taz: Um was genau handelte es sich dabei? | |
| Drosten: Man wollte Sars-Viren aus Fledermäusen ins Labor bringen und | |
| isolieren. Für den Fall, dass man es nicht schafft, diese Viren in | |
| Zellkulturen zur Vermehrung zu bringen, wollte man ihnen künstlich | |
| ausgerechnet eine Furinspaltstelle einsetzen. Das ist aus diesem | |
| Blickwinkel durchaus besorgniserregend. | |
| taz: Ist das vergleichbar mit dem, was Ron Fouchier damals gemacht hat? | |
| Drosten: Es ist anders. Ron Fouchier hat verschiedene in der Natur | |
| vorkommende Veränderungen von H5N1-Viren im Labor zusammengetan, um zu | |
| schauen, ob das Virus dadurch gefährlicher wird. Solche Kombinationen | |
| entstehen auch in der Natur. Wenn ich dagegen Sars-Viren eine künstliche | |
| Furinspaltstelle einsetzen würde, dann würde ich etwas machen, das | |
| möglicherweise in der Natur noch gar nicht da ist und von dem ich schon | |
| vermuten könnte, dass es das Virus übertragbarer macht. | |
| taz: Und welcher Nutzen läge darin? | |
| Drosten: Zunächst ein technischer Nutzen, denn diese Viren lassen sich | |
| normalerweise gar nicht in Zellkultur vermehren. Das ist aber die | |
| Voraussetzung, um die Viren gründlich zu untersuchen. Erst dann könnte man | |
| auch beispielsweise einen Impfstoff gegen sie entwickeln. In dem | |
| Forschungsantrag wurde argumentiert, dass man Viren aus Fledermäusen | |
| vielleicht durch eine Furinspaltstelle dazu bringen könnte, sich im Labor | |
| besser untersuchen zu lassen. | |
| taz: Aber der Antrag wurde abgelehnt? | |
| Drosten: Richtig, wohl auch aus Sicherheitsüberlegungen. In der | |
| Öffentlichkeit stellt man aber zurecht die Frage, ob chinesische | |
| Wissenschaftler vielleicht dennoch daran gearbeitet haben. Hatten sie | |
| bereits die Technologie dafür? Würden sie diese Art der Forschung auch in | |
| Eigenregie durchführen? Ich habe das lange bezweifelt. Aber in jüngster | |
| Zeit habe ich manchmal ein ungutes Gefühl. | |
| taz: Warum? | |
| Drosten: Ich werde regelmäßig von wissenschaftlichen Journalen angefragt, | |
| Beiträge von anderen Wissenschaftlern zu begutachten. Was mir in letzter | |
| Zeit manchmal untergekommen ist, waren eingereichte Arbeiten aus China, die | |
| durchaus in diese Richtung gehen. Nicht speziell am Sars-Virus, dagegen | |
| sind wir jetzt ohnehin alle immun. Aber es gibt in Tieren noch andere | |
| zoonotische Viren, auch Coronaviren, die gefährlich sein könnten. Die würde | |
| man eigentlich im Labor nur mit gesteigerten Sicherheitsauflagen handhaben. | |
| Das wird aus diesen Studien aber manchmal nicht ganz klar. In letzter Zeit | |
| habe ich Arbeiten vorgelegt bekommen, die würde ich so hier nicht machen, | |
| und ich weise dann bei der Begutachtung auch darauf hin, dass das | |
| gefährlich sein könnte. | |
| taz: Solche Forschung wird in China gemacht und die Ergebnisse werden auch | |
| hier bekannt? | |
| Drosten: Wissenschaftler machen ja ihre Forschung nicht, um sie | |
| geheimzuhalten. Die Veröffentlichung ist das Ziel und der Lohn der Arbeit. | |
| Und diesen Antrieb gibt es natürlich nicht nur in der westlichen | |
| Hemisphäre. Gerade in China sieht man den schnellen technologischen | |
| Fortschritt wie eben auch in anderen Spitzengebieten der Technik. Rein aus | |
| dieser Perspektive betrachtet ziehe ich vor solchen Arbeiten meinen Hut. | |
| Aber es wird manchmal nicht klar, wie konsequent hier die Regulation und | |
| Kontrolle greift und ob die überhaupt so ausgeprägt ist wie bei uns. | |
| taz: In der Debatte um Ron Fouchiers Forschung hatten Sie sich noch gegen | |
| zu starke Regulierung ausgesprochen. Offenbar hat sich Ihre Bewertung auch | |
| hier verändert? | |
| Drosten: Sie beziehen sich auf eine Expertenstellungnahme, die 15 Jahre alt | |
| ist und die ich mitunterzeichnet habe. In der Wissenschaft ändert sich aber | |
| immer wieder die Faktenbasis und daran muss man auch seine Einschätzungen | |
| weiterentwickeln. Je mehr die Technik fortschreitet und je breiter sie | |
| angewendet wird, desto mehr Möglichkeiten gibt es auch für gefährliche | |
| Folgen. | |
| taz: Wie können wir diese Risiken eindämmen? | |
| Drosten: Die Frage stellt sich ganz unabhängig von der | |
| Laborursprungstheorie. Das Rätsel, wie es zur Coronapandemie kam, klären | |
| wir vielleicht nie auf. Aber nach vorne gedacht ist doch die Frage, ob es | |
| eine bindende Übereinkunft zu gefährlicher Forschung an Viren auf UN- oder | |
| WHO-Ebene geben kann und welche Durchgriffsrechte es da gäbe. | |
| taz: Der WHO-Pandemievertrag ist gescheitert. Nur ein paar Jahre nach der | |
| Pandemie rücken die Länder schon wieder auseinander. Ganz aktuell wollen | |
| die USA aus der WHO austreten. | |
| Drosten: Eine Chance, die wir vielleicht haben, ist so eine Art Soft Power | |
| in der Wissenschaft. Wir könnten sagen, dass wir zur Veröffentlichung | |
| eingereichte Arbeiten nur begutachten, wenn klargestellt ist, unter welchen | |
| Bedingungen sie genau gemacht wurden, wo die Virussequenzen dokumentiert | |
| sind und ob gefährliches Material nach Ende der Arbeiten wirklich zerstört | |
| wurde. Auch die renommierten wissenschaftlichen Journale könnten einen | |
| gemeinsamen Kriterienkatalog aufstellen. | |
| taz: Ist das realistisch? | |
| Drosten: In der westlichen Forschungswelt passiert das längst. Schon die | |
| bloße Spekulation um einen Laborursprung führt dazu, dass experimentelle | |
| Planungen noch kritischer und selbstkritischer angeschaut werden. Man macht | |
| einfach keine Arbeiten, die wirklich gefährlich sind. Und zusätzlich zu | |
| dieser Selbstkontrolle gibt es natürlich eine durchgehende behördliche | |
| Regulation und Überwachung der Arbeiten. | |
| taz: Ende vergangenen Jahres gab es eine Konferenz zur wissenschaftlichen | |
| Aufarbeitung der Coronapandemie in Japan. | |
| Drosten: Ja, da war ich auch. | |
| taz: Eine Wissenschaftlerin sagte dort, dass wir uns in einer Welt bewegen, | |
| in der niemand mehr etwas von Covid hören will. | |
| Drosten: Das war die Epidemiologin Maria van Kerkhove von der WHO. Auf | |
| einer ihrer Vortragsfolien hatte sie die Überschrift „Erinnert ihr euch?“ | |
| durchgestrichen und drübergeschrieben „Habt ihr vergessen?“. Das hat mich | |
| sehr beeindruckt. Sie illustrierte damit, was in der öffentlichen | |
| Wahrnehmung längst passiert ist: Wir koppeln uns ab von einer realistischen | |
| Rekonstruktion der Ereignisse. Manche Wissenschaftler haben die | |
| essenziellen Kennzahlen vergessen, und die meisten Privatpersonen haben die | |
| wahrgenommene und reale Bedrohung verdrängt. | |
| taz: Das sind wahrscheinlich natürliche Abwehrreflexe. | |
| Drosten: Ja, das mag gesund sein. | |
| taz: Warum sollten wir diesem „Bleib mir weg mit Corona“ trotzdem nicht | |
| nachgeben? | |
| Drosten: Wir werden ja auch Generationen nach uns haben, die irgendwie mal | |
| in die Dokumente schauen wollen. Denken Sie mal an die Spanische Grippe, | |
| die letzte Pandemie dieses Schweregrades: Hätten wir die Aufbereitung | |
| präsent gehabt, dann hätten wir vieles schon wissen können, was passieren | |
| wird. | |
| taz: Zukünftige Generationen … das ist doch den Leuten zu abstrakt. | |
| Drosten: Populäre Politik kann sich kurzfristig über Tatsachen | |
| hinwegsetzen, aber langfristig wird sich das rächen. Jetzt, wo die Gefahr | |
| überwunden ist, lässt es sich wohlfeil argumentieren. Aber | |
| wissenschaftliche Tatsachen sind weder verhandelbar noch bequem oder | |
| populär. Im politischen Raum sehen wir jetzt allerhand unsaubere | |
| Argumentation, von Verwechslungen und Auslassungen bis hin zu absichtlich | |
| gestreuten Fehlinformationen. Man muss aufpassen und populistische | |
| Strategien erkennen. Wenn wir den Anspruch haben, unsere demokratischen | |
| Entscheidungen anhand von Tatsachen zu treffen, dann müssen wir uns in der | |
| Breite der Gesellschaft darum bemühen. | |
| taz: Klingt anstrengend. Auch dieses Interview ist kein leichter Stoff. | |
| Drosten: Mitdenken ist anstrengend. So ist das nun mal. | |
| 24 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /5-Jahre-Coronavirus/!6057416 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Christian Drosten | |
| Wuhan | |
| China | |
| Forschung | |
| GNS | |
| Social-Auswahl | |
| Vogelgrippe | |
| Bundestag | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neuer Ausbruch der Vogelgrippe: Wenn Kraniche vom Himmel fallen | |
| Naturschützer vor Ort fühlen sich beim Bergen der Vogelleichen überfordert. | |
| Experten sprechen inzwischen von einer weltweiten Verbreitung. | |
| Enquetekommission im Bundestag: Lehren ziehen aus der Pandemie | |
| Der Bundestag setzt eine neue Enquetekommission ein. Sie soll aufarbeiten, | |
| was während der Pandemie alles schief gelaufen ist – Maskendeals inklusive. | |
| Drosten zur Corona-Einschätzung des BND: Ohne Quelldaten keine Einschätzung m… | |
| Wissenschaftler sollten Hinweise von Geheimdienstlern zum Corona-Ursprung | |
| einordnen helfen. Christian Drosten fehlen dafür aber grundsätzliche Daten. | |
| Wie entstand das Coronavirus?: Einschätzung des BND | |
| Der BND hielt offenbar seit 2020 eine Einschätzung zur Entstehung des | |
| Corona-Virus unter Verschluss. Die Erkenntnisse sollen geprüft werden. | |
| Vogelgrippe in den USA: Eine einzige Mutation könnte die nächste Pandemie aus… | |
| Weltweit breitet sich H5N1 in Vögeln und Rindern aus. Viele Änderungen | |
| braucht es nicht, um auch Menschen zu gefährden, zeigt eine neue Studie. | |
| 5 Jahre Coronavirus: Chinas großer Wandel | |
| Im Reich der Mitte begann die Pandemie und wirkt weiter nach. | |
| Wirtschaftlich, politisch und ideologisch ist das Land ein anderes als vor | |
| der Pandemie. | |
| Virologin über Zoonosen: Die Herrschaft der Viren | |
| Die Vogelgrippe befällt Rinder und könnte auch den Menschen bedrohen. Dabei | |
| gäbe es Möglichkeiten zur Prävention, sagt Isabella Eckerle. | |
| Maßnahmen in Corona-Pandemie: Lasst die Aufarbeitung beginnen! | |
| Die Debatte über Corona-Maßnahmen muss endlich auch in Deutschland offen | |
| geführt werden. Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt. |