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# taz.de -- 5 Jahre Coronavirus: Chinas großer Wandel
> Im Reich der Mitte begann die Pandemie und wirkt weiter nach.
> Wirtschaftlich, politisch und ideologisch ist das Land ein anderes als
> vor der Pandemie.
Bild: Auf die Spitze getrieben: Szene aus Wuhan im ersten Lockdown März 2020. …
Seoul taz | Es mutet wie ein Déjà-vu an: überfüllte Spitäler, Patienten mit
Fiebersymptomen, und alarmierende Postings in den sozialen Medien. Fünf
Jahre nach Beginn der Coronapandemie sorgt erneut ein Virus-Ausbruch in
China für internationale Schlagzeilen. Doch Experten geben vorerst
Entwarnung: Bei HMPV, dem Humanen Metapneumovirus, ist vorerst kein Grund
zur Panik angebracht. Der Erreger wurde zudem bereits im Jahr 2001
isoliert.
Anders war dies zu Beginn des Jahres 2020, als [1][erstmals Gerüchte über
eine mysteriöse Lungenkrankheit aus Wuhan die Runde machten]. Ein Erreger,
der am 10. Januar erstmals von der Weltgesundheitsorganisation WHO als
„neues Coronavirus“ bezeichnet wurde. Sars-CoV-2 wurde zunächst von den
chinesischen Behörden verschleiert, dann mit einer rigiden „Null
Covid“-Politik eingedämmt, nur um in Form der Omikron-Variante schließlich
weite Teile des Landes in eine endlose Lockdown-Schleife zu stürzen. Und
über allem hat die Parteiführung die Pandemie genutzt, die Gesellschaft
grundlegend umzupflügen.
Grund genug also, einmal zurückzublicken auf jene Zäsur, die China in ein
vorher und nachher teilt.
Wo das Virus einst seinen Ausgang nahm, erinnert fünf Jahre später weder
eine Gedenktafel noch ein Traueraltar an die historischen Ereignisse. Der
Huanan-Fischmarkt, nur einen Steinwurf vom Bahnhofsviertels in Wuhan
entfernt, wird weiterhin von blauen Bauplanen abgeschirmt. Wo sich im
Dezember 2019 erstmals Dutzende Personen mit dem neuartigen Erreger
ansteckten, soll nichts mehr an die Vergangenheit erinnern.
## Labor oder Fischmarkt?
Und mindestens ebenso heikel ist die Tatsache, dass sich nur wenige
Kilometer vom Huanan-Fischmarkt entfernt Wuhans Institut für Virologie
befindet; ein Labor, in dem Forscherinnen und Forscher Proben von
Fledermäusen aus Südchina sammelten und vor der Gefährlichkeit der
entnommenen Viren warnten.
Alles nur reiner Zufall? Ob Corona nun aus dem Tierreich stammt, wie viele
Experten vermuten, oder fahrlässig aus einem Labor entsprang: Dass diese
Frage nicht abschließend geklärt werden konnte, hat vor allem mit der
mangelnden Transparenz der chinesischen Behörden zu tun, die während der
kritischen Anfangsphase der Pandemie sensible Daten unter Verschluss
hielten.
Zur Ironie der Geschichte gehört auch, dass ausgerechnet in Wuhan die
Propaganda der chinesischen Staatsmedien auf fruchtbaren Boden gefallen
ist. Die Pandemie wurde am mutmaßlichen Ursprungsort, bereits wenige Monate
nachdem der erste Coronalockdown überstanden war, als vornehmlich
ausländisches Phänomen wahrgenommen. Jeden Abend berichtete das
Staatsfernsehen über die Covid-Toten in den USA und Europa, während im
Reich der Mitte eine scheinbar keimfreie „Null Covid“-Utopie zu herrschen
schien.
Und der Ursprung des Virus? Den vermuteten schon damals viele Bewohner
Wuhans, ermutigt durch die kruden Verschwörungstheorien der
Parteizeitungen, in einem US-Biowaffenlabor. Nur konsequent scheint nach
dieser Logik, dass ausländische Besucher während der ersten Pandemie-Jahre
in Wuhan besonders argwöhnisch beäugt worden sind: Die Fremdlinge könnten
schließlich das Virus erneut in die Stadt einschleppen.
Im größten Museumsgebäude der Stadt wurde bereits 2021 eine patriotische
Ausstellung über den gewonnenen Coronakampf der Chinesen organisiert: Die
Pandemie wurde dabei nicht nur als reine Erfolgsgeschichte inszeniert,
sondern bereits überwunden geglaubt. Zhao Lijian, Sprecher des
Außenministeriums in Peking, sagte damals voll überbordendem
Selbstbewusstsein gegenüber den internationalen Korrespondenten, dass
diese sich doch vor Glück ins Fäustchen lachen könnten, in Sicherheit vor
dem Virus in China leben zu dürfen. Niemand hätte damals ahnen können, dass
sich mit Omikron das Blatt noch einmal fundamental wenden sollte.
Denn spätestens Ende 2022 ähnelte der Alltag der allermeisten Chinesen
einem virologischen Spießrutenlauf aus täglichem PCR-Test, digitaler
Überwachung und wochenlangen Lockdowns. Doch während in vielen Ländern die
Leute ihre Zeit daheim mit langen Spaziergängen und Yoga verbrachten, waren
die Chinesen wortwörtlich eingesperrt – entweder durch einen
Bewegungsmelder vor der Wohnungstür oder manchmal auch ein breites
Stahlschloss.
[2][Schanghai, die wohlhabendste und internationalste Metropole des Landes,
wurde knapp drei Monate vollständig abgeriegelt.] Vom Lieferkurier bis zum
deutschen Konsul: Alle saßen sie in ihren Wohnungen fest, vollkommen von
staatlichen Essenslieferungen abhängig. Reich war damals nicht, wer ein
sechsstelliges Jahresgehalt verdiente. Sondern wer über Kühlschrank und
gefüllte Speisekammer verfügte.
Als Bewohner der Hochhaussiedlungen ihren Frust in Schanghais Nachthimmel
brüllten, ließ die Lokalregierung Drohnen aufsteigen: „Beherrschen Sie den
Drang Ihrer Seele nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster – und singen
Sie nicht“, verkündeten die Lautsprecher der Flugobjekte.
Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Viele der Chinesen, die den
Corona-Ausbruch aus direkter Nähe beobachtet haben, machen sich keine
Illusionen mehr über die Glaubwürdigkeit der Staatsführung. Vor allem in
Wuhan haben etliche Bewohner gesehen, wie ihre Nachbarn reihenweise
sterbenskrank wurden, während die Behörden noch behaupteten, dass das Virus
nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden könne. Und der Doktor Li
Wenliang, der als Whistleblower Alarm schlug, wurde von der Partei mit
einem Maulkorb abgekanzelt. [3][Im Februar 2020 starb der 33-jährige Li
selbst an den Folgen des Virus.]
Wanke hat den Lockdown in Wuhan als Student miterlebt. Er half als
Freiwilliger bei der Telefonseelsorge aus. Mit Hunderten Erkrankten, die
ängstlich und allein in ihren Wohnungen ausharrten, sprach er damals über
ihre tiefsten Sorgen. Viele von ihnen haben die Zeit nicht überlebt.
## Wendepunkte
Für den Anfangzwanziger war dies ein Wendepunkt in seinem Leben: Den
ursprünglichen Berufswunsch, Journalist zu werden, gab der junge Mann auf.
Stattdessen entschied er sich für seine Leidenschaft als Rockmusiker. Denn
in der Kunst, so sagte er mit melancholischem Unterton, könne er sich noch
wirklich und wahrhaftig ausdrücken. Im Journalismus sei dies längst nicht
mehr der Fall.
Wer das Land während jener Jahre bereiste, traf auf unzählige junge Leute,
deren Lebenswege durch die Pandemie eine vollkommen andere Abzweigung
nahmen. Etwa die Mittdreißigerin Lili aus Wuhan, die mittlerweile an der
US-Westküste lebt, weil sie das repressive Klima und die zunehmende
Isolation während der Pandemie nicht mehr ausgehalten hat.
Als Xi Jinping dann im Zuge seiner Regulierungswut auch noch private
Englischnachhilfe unter Verbot stellte – möglicherweise auch, um den Blick
der Jugend nicht allzu sehr über den nationalen Tellerrand zu richten –,
brachte dies das Fass für Lili zum Überlaufen: In einer solchen
Gesellschaft wollte sie ihren Sohn nicht aufwachsen lassen. Und ihre
Emigration war auch deshalb von einer Dringlichkeit durchtrieben, weil
während der letzten Jahre immer mehr Chinesen mit Ausreisesperren belegt
wurden: Von Lehrkräften bis Angestellten von Staatsunternehmen – Millionen
mussten ihre Reisepässe abgeben.
## Pandemie und Industriepolitik
Doch die Pandemie gab der Volksrepublik China auch die Möglichkeit, sich
wirtschaftlich zu häuten – unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Die
Industriepolitik unter Xi Jinping führte zu einer atemberaubenden
Transformation hin zu erneuerbaren Energien und Elektromobilität. [4][Als
die deutschen Automanager erstmals nach Öffnung der Grenzen 2023 wieder zur
Branchenmesse nach Schanghai anreisten, traf sie ein Schock, von dem sie
sich bis heute nicht erholt haben]: Die traditionellen Marktführer merkten
auf einmal, wie radikal sie bei E-Autos und Batterien technologisch
hinterherhinkten. Mit runtergefallener Kinnlade stierten sie auf die
Straßen der Ostküstenmetropolen, wo längst zu großen Teilen futuristische
Pkws von chinesischen Autobauern fuhren, von denen sie zuvor niemals gehört
hatten.
Aber nach fünf Jahren Pandemie bleibt vor allem der Eindruck zurück, dass
Corona die hässliche Fratze der immer autoritärer werdenden Parteiführung
offenbart hat: Anders ist nicht zu erklären, dass trotz der
schwerwiegendsten medizinischen Notfallsituation der letzten Jahrzehnte
China selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO über ein Jahr hinhielt,
ehe sie ein Expertenteam ins Land ließ.
Doch was die Forscher im Frühjahr 2021 in Wuhan zu sehen bekamen, war
lediglich eine inszenierte Choreografie unter Leitung der KP. Die
abschließende Pressekonferenz der Untersuchungskommission wurde von Mi
Feng, Sprecher der chinesischen Gesundheitskommission, gleich zu Beginn
torpediert: „Wir haben bereits den China-Teil der Ursprungssuche beendet.“
Nun würde er empfehlen, in Südostasien weiterzusuchen.
Damals machten die WHO-Experten gute Miene zum bösen Spiel – allein schon
aus Angst, die fragilen Zugänge zum Reich der Mitte sonst vollends zu
verlieren. Längst jedoch ist auch bei der Weltgesundheitsorganisation der
Geduldsfaden gerissen. „Wir fordern China weiterhin auf, Daten und Zugang
zu teilen, damit wir die Ursprünge von Covid-19 verstehen können“, hieß es
auch fünf Jahre später vom WHO-Sprecher: „Dies ist ein moralisches und
wissenschaftliches Gebot.“ Es gehe darum, Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Doch in der Volksrepublik wird die Kritik schlichtweg abgeschüttelt: China
habe nicht nur die meisten Daten geteilt, sondern auch den größten Beitrag
zur Suche nach dem Ursprung des Virus geleistet, sagte Mao Ning, Sprecherin
des Außenministeriums, am 31. Dezember. Und fügte mit bierernster Mine an:
„Chinas Offenheit und Transparenz hat die Erwartungen übertroffen“.
10 Jan 2025
## LINKS
[1] /Faelle-von-Lungenkrankheit-in-China/!5654806
[2] /Ein-Jahr-nach-dem-Lockdown-in-Schanghai/!5920126
[3] /Erinnerung-an-Whistleblower/!5746530
[4] /Automesse-in-Shanghai/!5929192
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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