# taz.de -- Zukunft Sozialer Medien: Für freie Feeds | |
> Um die Macht der Tech-Bosse zu brechen, arbeiten Entwickler an | |
> alternativen Sozialen Medien. Wie könnten die Plattformen der Zukunft | |
> funktionieren? | |
Bild: Wie lässt sich die globale Kommunikation im Netz anders organisieren? | |
Berlin taz | Eigentlich wollten sie nur Geld. Der Sound aber glich einem | |
Manifest: Nachdem auch Meta-Chef Mark Zuckerberg sich „zum Musk gemacht | |
hat“, hätten sie nicht länger zulassen können, „dass Milliardäre unsere | |
digitale Öffentlichkeit kontrollieren“, heißt es in einem in der | |
vergangenen Woche veröffentlichten, vielbeachteten Aufruf alternativer | |
Tech-Größen. | |
„Free our Feeds“ hatten sie ihn überschrieben, frei übersetzt also: | |
„Freiheit für die Sozialen Medien“. Die Zeit sei gekommen für ein Netzwerk | |
„verbundener Apps und Unternehmen denen die Interessen der Menschen am | |
Herzen liegen“, heißt es darin weiter: Ein „offenes und gesundes | |
Social-Media-Ökosystem, das [1][nicht von einem Unternehmen oder Milliardär | |
kontrolliert werden kann].“ | |
Der Gedanke ist nicht erst seit Elon Musks unheilvollem Einstieg bei | |
Twitter 2023 vielen gekommen. Doch wie soll ein solches Ökosystem gegen die | |
Markt-, Reichweiten-, Technologie-, Kapital- und nun wohl auch unmittelbar | |
politische Macht der Tech-Konzerne entstehen können? Zuletzt machte Meta | |
von sich reden, weil Instagram offenbar Ergebnisse mit dem Suchwort | |
„Demokraten“ verbarg, während Facebook es anscheinend erschwerte, Trump zu | |
entfolgen. | |
Was lange eher ein Thema für Nerds war, ist nun gleichermaßen eine Frage | |
für Millionen Nutzer:innen wie auch für die große Politik: Wie lässt | |
sich die globale Kommunikation im Netz anders organisieren? Die Szene, die | |
seit Jahren an Antworten tüftelt, ist in Aufregung. | |
## Alternative zu Twitter | |
Eine dieser Antworten steckt in dem [2][„Free our Feeds“-Aufruf]. Hinter | |
diesem stehen unter anderem der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Nabiha | |
Syed, die Chefin der Mozilla Stiftung. Letztere hat den nichtkommerziellen, | |
aber höchst erfolgreichen Browser Firefox und das Mailprogramm Thunderbird | |
geschaffen. | |
Die technische Grundlage für beide ist „open source“, also vereinfacht | |
gesagt, für alle offen einsehbar und transparent. So bleibt sie kollektiv | |
verbessert und leichter demokratisch kontrollierbar. | |
Diesem Gedanken folgt auch Bluesky, eine seit 2024 [3][öffentlich | |
zugängliche Alternative zu Twitter/X]. Die Bluesky-Macher entwickelten | |
einen Standard, „AT“ genannt. Der ermöglicht eigenständigen sozialen | |
Netzwerken, miteinander Daten auszutauschen – also etwa Posts anzuzeigen. | |
Das Prinzip ist dabei ähnlich wie jenes der E-Mail: Ihr Standard erlaubt | |
allen Servern weltweit, einander Mails zu senden. | |
Der Hintergedanke: Statt große Monopole entstehen zu lassen, sollen so | |
verschiedene Plattformen aufgebaut und betrieben werden können, die aber zu | |
einem einzigen kommunikativen Raum zusammenfließen. So können sie | |
reichweitenmäßig immer größer und damit interessanter werden. Denn solange | |
die alternativen Plattformen mit ihren bisher kümmerlichen Nutzerzahlen | |
nebeneinanderher dümpeln, sind sie keine Konkurrenz für Giganten wie | |
Facebook. | |
## Der Marktplatz für die Menschen | |
Um das zu ändern, könnte das „AT“ genannte Protokoll, an dem bisher nur d… | |
Bluesky-Macher arbeiten, zu einer breiten, universellen Software-Basis | |
weiterentwickelt werden. Dafür wollen die „Free Our Feeds“-Macherinnen eine | |
neue Stiftung gründen – für die sie nun Geld einsammeln. | |
In Deutschland schlug der Autor Yves Venedy vor, einen Verein zum Aufbau | |
kollektiver technischer Infrastruktur für Bluesky – das bisher in | |
US-Rechenzentren gehostet wird – zu gründen. Er wolle Bluesky damit keine | |
Konkurrenz machen, „sondern eine echte Föderation aufzubauen, die nicht von | |
einem Milliardär dominiert werden kann und resilient gegenüber Autokraten | |
ist“, schrieb Venedy. | |
Praktisch zeitgleich mit Bluesky ging eine zweite große Hoffnung auf eine | |
demokratische Social-Media-Welt an die Öffentlichkeit: Mastodon. „Warum den | |
Menschen der Marktplatz gehören sollte“ stand über einer Erklärung des | |
Gründers Eugen Rochko, einem russlanddeutschen Software-Entwickler. Er | |
kündigte an, das bisher als GmbH geführte Mastodon in eine gemeinnützige, | |
spendenfinanzierte Organisation zu überführen, ähnlich wie etwa der | |
Messengerdienst Signal. | |
Grob gesagt bietet auch Mastodon einen ähnlichen Dienst wie einst Twitter. | |
Rund 15 Millionen Menschen haben sich seit 2016 bei Mastodon angemeldet, | |
die Daten sind auf über 11.000 dezentrale Server verteilt. Privatpersonen, | |
Unis, NGOs oder Regierungen – jeder kann einen solchen Server einrichten. | |
## Widerstandsfähige Räume | |
Auch hier ist die technische Basis „open source“, der zugrundeliegende | |
Standard heißt ActivityPub. Seit Jahren arbeiten Entwickler daran, auf | |
dieser Grundlage Soziale Netzwerke zum sogenannten „Fediverse“ | |
zusammenzuführen: „Ein Nutzer soll auf einer beliebigen Plattform ein Konto | |
erstellen können und sich darüber mit allen Nutzern auf allen anderen | |
Plattformen austauschen können“ – diesen Zustand streben die | |
Fediverse-Macher:innen an. | |
Um dem näherzukommen, will jetzt auch Rochko, mit Mastdon einer der größten | |
Fediverse-Player, Geld für die Expansion einsammeln. Er verspricht, mit | |
„allen zusammenarbeiten, um widerstandsfähige, regierbare, offene und | |
sichere digitale Räume zu schaffen.“ | |
Ob bei Videos, Fotos oder Mikroblogging: „Bisher heißt es: The Winner takes | |
it all, der Rest stirbt“, sagt der Experte für demokratische Öffentlichkeit | |
Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stiftung. Auf diese Form der Konzentration | |
sei die Geschäftspolitik der großen Tech-Konzerne angelegt. Kompatibilität | |
stört da nur. Deshalb sei Dezentralität „das Gegenmodell zu den dominanten | |
einzelnen Plattformen.“ | |
Wenn sich die Devise „Protokolle statt Plattformen“ durchsetze, könnten | |
Tech-Unternehmen Menschen nicht länger zwingen, ihre eigene Plattform zu | |
nutzen, um bestimmte Inhalte zu sehen oder bestimmten Personen zu folgen, | |
sagt auch Oliver Marsh, Forschungsleiter der NGO AlgorithmWatch der taz. | |
Und technisch sei die Ausweitung der Protokolle AT und ActivityPub „relativ | |
einfach“. Allerdings: Bisher sind die beiden unabhängig voneinander | |
entstandenen Protokolle nicht miteinander kompatibel. | |
## Wikipedia als Vorbild | |
Doch das müsse nicht so bleiben, meint Cathleen Berger, die bei der | |
Bertelsmann Stiftung für Demokratie und Zukunftstechnologien zuständig ist. | |
In Zukunft könnten etwa Feeds auch protokollübergreifend wechselseitig | |
sichtbar werden. Es gebe heute viele denkbare Formen, um kombinierbare | |
digitale Räume und damit eine „globale Wissensbasis“ zu schaffen, sagt | |
Berger. | |
Möglich sei etwa ein Gebührenmodell, bei dem Nutzerinnen monatlich einen | |
kleinen Obolus zahlen. Entscheidungen könnten von Gremien getroffen werden, | |
die demokratisch mit interessierten Nutzer:innen und Fachleuten besetzt | |
seien. Über solche Modelle konkreter nachzudenken „haben wir zu lange | |
hintenan gestellt, weil es komfortabel war, nicht bezahlen zu müssen“, so | |
Berger. | |
Wenn von neuen Formen der Kontrolle des Internets die Rede ist, fällt immer | |
wieder ein Name: Wikimedia. Die Stiftung betreibt seit 2001 mit großem | |
Erfolg die bekannte Online-Enzyklopädie – gemeinnützig, demokratisch | |
kontrolliert, stiftungsbasiert, staatsfrei. Die Wikipedia ist der Beweis, | |
wie gut das Netz sein kann, wenn Konzerne ihre Finger nicht im Spiel haben. | |
Es kommt nicht von ungefähr, dass unter anderem Elon Musk Anfang Januar das | |
Projekt heftig attackierte und zum Wikipedia-Spendenboykott aufrief. | |
Was können Initiativen, die Social-Media-Plattformen nach ähnlichen | |
Prinzipien aufbauen wollen, von Wikimedia lernen? | |
## Am Ende entscheiden die Nutzer:innen | |
Ein entscheidender Faktor sei das Engagement der Freiwilligen, sagt | |
Franziska Heine, die Vorständin der deutschen Wikimedia. Das Ziel, das | |
„Wissen der Welt allen zugänglich zu machen, treibt die an.“ Die Wikipedia | |
gehöre niemand, aber sie folge Regeln, auf die sich die Nutzer:innen | |
verständigt hätten. Jeder kann Inhalte erstellen, eine Community wacht, | |
unter anderem mit „Administrator:innen“, „Sichter:innen“ und | |
„Checkuser:innen“, über die Einhaltung der Regeln für das Schreiben. | |
Stiftung und Verein, die vor allem die Infrastruktur stellen, seien davon | |
strikt getrennt. | |
„Ich als Vorständin könnte nie hingehen und Inhalte ändern“, sagt Heine. | |
Bisher habe sich gezeigt, dass die Strukturen funktionieren – und sie so | |
auch Versuchen der Unterwanderung und anderen Angriffen von Außen „gut was | |
entgegensetzen können“, sagt Heine. „Auch, weil wir das immer aktiv | |
mitdenken.“ | |
Wikimedia versuche, eine immer aktuelle Antwort auf die Frage zu finden, | |
„wie das Wissen am besten zu den Menschen kommt“, sagt Heine. Und heute, da | |
Jugendliche oft nur auf TikTok nachschauen, statt etwa zu googeln, könnten | |
dies auch andere Wege als eine Browser-Enzyklopädie sein. Es sei deshalb | |
sinnvoll, etwa Mastodon und das Fediverse mit ihrer freien Infrastruktur zu | |
unterstützen, sagt Heine. | |
Gute Erfahrungen gesammelt habe Wikipedia auch bei der Zusammenarbeit mit | |
der OpenStreetMap, einer konzernfreien Alternative zu Google Maps. „Deshalb | |
versuchen wir, uns gegenseitig Bausteine zu einer nichtkommerziellen | |
Infrastruktur zur Verfügung stellen, die wir gut zusammenbringen können – | |
und dabei den anderen zu helfen“, so Heine. | |
Die große Frage ist, welche Aussichten all diese Projekte auf nennenswertes | |
Wachstum haben. Für Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stiftung hängt dies | |
auch davon ab, wie sensibel Nutzer:innen [4][auf Entwicklungen bei den | |
großen Plattformen reagieren]. „Gehen sie bei manchen Sachen nicht mehr | |
mit? Schrecken gewisse Nutzungsbedingungen sie ab?“ | |
Wenn Nutzer:innen Verschlechterungen mitbekommen und deshalb wechseln, | |
hätten andere Geschäftsmodelle eine Zukunft. „Wenn die Nutzer:innen sich | |
aber an alles gewöhnen und die Veränderungen für normal halten, dann wird | |
es schwierig.“ Unzicker erinnert an X: Trotz der enormen Veränderungen nach | |
Musks Übernahme sei der große Exodus bisher ausgeblieben, die Nutzerzahlen | |
liegen weiter bei rund einer halben Milliarde. Und doch: „Erfolgreiche | |
Plattformen können auch wieder verschwinden“, sagt Unzicker. | |
Seine Kollegin Cathleen Berger erinnert an solche Fälle, wie etwa „Myspace“ | |
mit 267 Millionen Nutzer:innen im Jahr 2009, „Tumblr“ mit rund 100 | |
Millionen Nutzer:innen im Jahr 2014 oder „StudiVZ“, das 2011 in nur | |
sechs Ländern 16 Millionen Mitglieder hatte. „Plattformen wachsen und | |
sterben“, sagt Berger. Der Konzern, der davon bisher am meisten profitiert | |
hat, war Meta. „Die haben viele Konkurrenten geschluckt.“ | |
Doch ob in zehn Jahren die gleichen Netzwerke wie heute dominieren sei | |
„völlig offen“, meint Berger. „Das kann schnell gehen. Aber ob sich | |
dezentrale und gemeinwohlorientierte Modelle tatsächlich durchsetzen | |
können, hängt sehr von den Rahmenbedingungen ab.“ | |
27 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Factchecking-bei-Facebook-und-Instagram/!6057237 | |
[2] https://freeourfeeds.com/ | |
[3] /Twitter-Ersatz-Bluesky/!6048298 | |
[4] /Elon-Musks-politischer-Feldzug/!6058331 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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