# taz.de -- Steve Bishop in der Kunsthalle Osnabrück: Mehr als nur zwei Böden | |
> Der kanadische Künstler Steve Bishop ruft in seiner Schau „On the Streets | |
> Where You Live“ ein Gefühl vom Vorstadtleben wach. Schwer, ihm | |
> auszuweichen. | |
Bild: Ausgeleuchtete Garageneinfahrt in gotischer Kirche: Steve Bishops „On t… | |
Osnabrück taz | Eine ebenmäßig weiß verputzte Mauer schiebt sich wie ein | |
vorstädtischer Fremdkörper durch das Schiff einer profanierten | |
Dominikanerkirche, [1][in der die Kunsthalle Osnabrück] eingerichtet ist. | |
Sie markiert die Einfahrt eines Einfamilienhauses. An ihrem Ende beginnt | |
die Garage, davor steht ein silberner VW-Passat, die Scheinwerfer des Autos | |
leuchten, strahlen auf das Rolltor des in den Raum gebauten Raums. Die | |
Fenster sind leicht heruntergekurbelt, aus ihnen quellen seichte | |
Jazz-Klänge in die gotische Halle, es könnte Archie Shepps & Horace Parlans | |
„Nobody Knows the Trouble I’ve Seen“ sein. Ein kurzer Blick auf die | |
Songtitel der Autoradioplaylist, die dem Ausstellungstext beigefügt ist, | |
bestätigt den Verdacht. | |
Es fällt schwer, nicht unmittelbar emotional angefasst zu sein von der | |
Ausstellung „On the Street Where You Live“ von Steve Bishop. Das Werk des | |
1983 in Kanada geborenen Künstlers kreist um Emotionen und Erinnerungen, | |
die Unterschwelligkeiten des menschlichen Lebens. Häufig baut er große | |
Installationen, psychologische Bühnenbilder, die von den Betrachtenden | |
betreten werden können – so auch in Osnabrück. | |
Nähert man sich der Mauer, reagieren die Bewegungsmelder der Laternen an | |
der vermeintlichen Hauswand. Ist es eine Gartenmauer? Ein architektonischer | |
Platzhalter einer kleinbürgerlichen Fantasie? Unwillkürlich fühlt man sich | |
ertappt, quellen die Assoziationen über: amerikanische Filme, beiges Leder, | |
das Haus in dem dieser eine Mitschüler lebte, Vorabendserien, | |
Rasenmähroboter, Urvertrauen, Albträume, Computerspiele, schlechte | |
Literatur, Alkoholvergiftung, Kleinstadthass und Geborgenheitsneid sind da. | |
Und wahrscheinlich noch viel, viel mehr, je nachdem zu welchem Kopf sie | |
halt gehören, der hier in diese Ausstellung gespült wurde. | |
Hinter der Mauer finden sich schlichte Bilderrahmen, in Ihnen Fotos. | |
Zusammengesammelte Kleinformate, sortiert und montiert, wie man es von | |
Gruppenfotos in Klickrahmen in tristen, öffentlichen Gebäuden auf der | |
ganzen Welt kennt, nicht zuletzt aus den Jugendräumen christlicher | |
Gemeinden. Steve Bishop ist ein scharfer Beobachter kollektiver | |
menschlicher Ästhetik. | |
Bei den sorgfältig angeordneten Abbildungen handelt es sich um über Jahre | |
gesammelte Familienfotos, entstanden [2][in Disneyland]. Im Hintergrund die | |
immer gleichen Nachbildungen des verschnörkelten Schlosses und des | |
künstlichen Matterhorns. Es sind vollendete Symbole artifizieller | |
Erinnerung – so artifiziell wie die Kulisse, die der Künstler hier für uns | |
in dem gotischen Kirchenraum aufgebaut und somit gleichzeitig ins | |
Doppelt-Künstliche erhoben hat. Die Räume Bishops haben mehr als nur zwei | |
Böden. | |
## Die Illusion eines Schattenspiels | |
Durch die Hintertür lässt sich die Garage betreten, die barrierefreie Rampe | |
ist genauso sichtbar wie der Beamer, der die Illusion eines Schattenspiels | |
sich im Wind wiegender Blätter in den Raum projiziert, die Gefriertruhe ist | |
offen, doch verströmt sie keine Kälte – alles egal. Bishops Bilder sind zu | |
stark, zu generisch und dabei gleichzeitig zu detailliert. Sie bilden die | |
perfekte Reflexionsfläche autobiografischer Projektion und | |
gesellschaftlicher Beobachtung. | |
Im Chor des Raumes findet sich eine Sitzgruppe überdimensionierter, | |
missproportionierter Fisher-Price-Plastikstühle, abweisend angeordnet in | |
einem abgeschlossenen Kreis. Arbeitete Bishop im Jahr 2019 in seiner | |
Ausstellung in den Berliner KW noch mit gezüchteten Pilzen und real | |
existierenden Orten, bleibt er nun in Osnabrück generisch und trotzdem | |
bestechend konkret, unterstrichen von der optimalen Anpassung der | |
Installation an den Ausstellungsraum. Den Besuchenden eröffnet er so ein | |
Erlebnis, das gleichermaßen allgemeingültig und höchstemotional im | |
persönlichen, individuellen Empfinden sein dürfte. | |
Im Selbstverständniskatalog der Kunsthalle findet sich die Frage: Was ist | |
wichtig für unser Zusammenleben in der Gesellschaft? Verlässt man Steve | |
Bishops Ausstellung, könnte eine Antwort lauten: Die Kombination | |
schmerzhafter Tiefe und zärtlicher Zugänglichkeit. | |
7 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Kunstfreiheit-und-ihre-Institutionen/!6017731 | |
[2] /100-Jahre-Disney/!5965273 | |
## AUTOREN | |
Hilka Dirks | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Installation | |
zeitgenössische Kunst | |
Auto | |
Provinz | |
Erinnerung | |
Freizeitpark | |
wochentaz | |
Berlin Ausstellung | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Künstlerin über Technik und Kunst: „Unsere Daten sind ein kostbarerer Rohst… | |
Eine Autonomie des Subjekts gibt es nicht, meint die Künstlerin Agnieszka | |
Kurant. Sie untersucht biologische und künstliche Erfahrungswelten. | |
Martin Assig in der St.-Matthäus-Kirche: Zwischen hier und dort | |
Bilder stellen Fragen in der Ausstellung „Gottweißwo“ von Martin Assig in | |
der St.-Matthäus-Kirche. Sie ist eine farbenfrohe Ermutigung zur | |
Zuversicht. | |
Digitale Sphäre in der Kunst: So düster, dieses Technozän | |
Es rauscht in der Black Box: 40 Künstler:innen rechnen in der Berliner | |
Ausstellung „Poetics of Encryption“ mit der digital durchdrungenen Welt ab. |