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# taz.de -- Tragikkomödie „A Real Pain“: Wo es wirklich wehtut
> Schauspieler und Regisseur Jesse Eisenberg erzählt in „A Real Pain“ vom
> Polen-Roadtrip zweier Cousins. Und stellt dabei Fragen zum Umgang mit
> Erinnerung.
Bild: Ein ungleiches Paar: Benji (Kieran Culkin, l.) und David (Jesse Eisenberg…
Berlin taz | Was tut man nicht alles für die Familie. Auch wenn es sich um
eine Reise mit einem Verwandten handelt, der einem längst nicht mehr so nah
ist wie einst. David hat jedenfalls seinem Cousin Benji versprochen, sich
gemeinsam auf die Spuren der vor kurzem gestorbenen Großmutter zu begeben.
Sie stammte aus Polen und war vor allem Benji sehr nah. Nach ihrem Tod ging
es ihm „nicht so gut“, wie er David gesteht.
„A Real Pain“ nennt der Schauspieler [1][Jesse Eisenberg] seine zweite
Regiearbeit, und die Entscheidung des Verleihs, den Titel unübersetzt zu
lassen, ist die einzige Möglichkeit, den doppelten Sinn, in dem er gemeint
sein dürfte, zu erhalten. Denn einerseits geht es in dieser Geschichte um
echten Schmerz, den die Protagonisten fühlen, andererseits hat man es mit
einer Begegnung zu tun, bei der einer der Beteiligten dem anderen kräftig
auf die Nerven geht und so zu „a real pain“ wird.
Die Charaktere der Hauptfiguren sind recht gegensätzlich angelegt. David
ist beruflich erfolgreicher Familienvater, arbeitet im
Online-Anzeigengeschäft, hat Frau und Tochter und ist auffällig
zwangsgestört. Jesse Eisenberg, der in seinem Hauptberuf ein bisschen auf
neurotische Typen abonniert ist, verkörpert ihn mit einer guten Mischung
aus konstanter körperlicher Angespanntheit und einer gehörigen Portion
Dauerfremdschämen. Dazu gleich mehr.
## Kraftzentrum des Films
[2][Kieran Culkin] bildet mit seinem Benji hingegen das Kraftzentrum des
Films. Privat hat er seine Schwierigkeiten, auch in der Arbeitswelt scheint
er nicht zurechtzukommen, dafür ist er einfühlsam und kontaktfreudig bis
zur Übergriffigkeit. Trotz gelegentlicher Gefühlsausbrüche hat Benji etwas
entwaffnend Gewinnendes.
Das macht sich gleich zu Beginn der Reise bemerkbar. Denn sie sind nicht zu
zweit unterwegs, sondern haben eine organisierte Gruppenreise gebucht, auf
der sie der Geschichte des Holocaust in Polen nachgehen. Ihre jüdische
Großmutter war vor den Nazis geflohen, jetzt bereisen David und Benji
Städte wie Warschau und Lublin, unternehmen einen Abstecher ins
Konzentrationslager Majdanek, abends machen sie Station in Restaurants für
die Geselligkeit.
Die Spannungen zwischen David und Benji kündigt Eisenberg schon zu Beginn
des Films an, wenn David sich auf den Weg zum Flughafen macht und alle paar
Minuten eine Nachricht auf Benjis Anrufbeantworter hinterlässt, um
herauszufinden, ob der Cousin womöglich verspätet ist. Benji reagiert auf
keinen der Anrufe, überrumpelt David dann aber, als er plötzlich – und
pünktlich – wie aus dem Nichts auftaucht. Auch auf der eigentlichen Reise
kommt es immer wieder zu Situationskomik, wenn der verzweifelt um Kontrolle
bemühte David vor der entregelten Spontaneität Benjis kapitulieren muss.
## Posen vor Denkmal
In einer besonders schönen Szene steht die Gruppe vor dem Denkmal des
Warschauer Aufstandes mit Statuen von dynamisch voranstürmenden Kämpfern.
Benji stellt sich in kämpferischer Pose dazu und bittet David, ein Foto zu
machen. David findet das ziemlich respektlos und möchte lieber nicht, doch
nach und nach bringt Benji die gesamte Gruppe dazu, sich um ihn herum zu
gruppieren. David bleibt als einziger davor stehen, während ihm die anderen
Teilnehmer der Reihe nach ihr Smartphone in die Hand drücken, damit er für
sie ein Bild knipst.
Eisenberg gelingt es durch genaues Beobachten, aus solchen Momenten keinen
Klamauk zu machen. Denn er bildet damit die peinlicheren Aspekte eines
Tourismus' ab, der sogar in historisch seriöser Absicht nicht vor
Albernheiten gefeit ist oder vor Gruppendynamiken, die an
Schulklassenausflüge denken lassen.
Auch zeigt er die fragwürdigeren Aspekte dieser Reiseangebote selbst, etwa
wenn die Gruppe einen jüdischen Friedhof besichtigt und der nichtjüdische
britische Reiseleiter James (Will Sharpe) anfängt, ausgiebig über das Alter
der Grabstätten zu dozieren. Irgendwann unterbricht ihn Benji entnervt und
weist ihn zurecht, dass das doch immerhin Gräber von echten Menschen seien
und nicht bloß irgendwelche Steine.
## Musik von Frédéric Chopin
Die Inszenierung wählt Eisenberg durchgehend nüchtern. Gefilmt ist „A Real
Pain“ in klaren, manchmal etwas glatt wirkenden Bildern. Als Soundtrack
verwendet er Klavierstücke des polnischen Komponisten Frédéric Chopin,
gespielt vom israelischen Pianisten Tzvi Erez. Die Musik hat dabei nie
etwas plakativ Illustrierendes und ist deutlich genug in den Ton gemischt,
um nicht Gefahr zu laufen, auf Hintergrundgeklingel reduziert zu werden.
Gegen Ende machen David und Benji ohne den Rest der Gruppe noch einen
Abstecher ins Dorf ihrer Großmutter. Ihren Versuch, ein paar gestapelte
Steine vor deren ehemaliger Haustür zu lassen, als Zeichen, dass sie dort
gewesen sind, zeigt Eisenberg mit zärtlicher Trockenheit als Ausdruck für
die Hilflosigkeit der Cousins, sich zum eigentlichen Ziel ihrer Reise zu
verhalten. Immerhin werden sie von den Anwohnern nicht verprügelt.
10 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
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