# taz.de -- Georgette Dee über Freiheit und Liebe: „Ich könnte den ganzen P… | |
> Georgette Dee verzaubert seit den 1990ern mit Chansons und Anekdoten. Ein | |
> Gespräch übers Früher und Heute, Ferienlager, Gefängnisse und das Glück. | |
Bild: Tja, was Glück ist, fragt sich Georgette Dee manchmal auch. Einfach so h… | |
Im Westen von Berlin steht zwischen Rieselfeldern und Heerstraße ein | |
kleines Häuschen mit blauem Dach. Hier in Pichelsdorf, einer Ortslage im | |
Bezirk Spandau, wohnt Georgette Dee, die Neckermann-Pauschalreisende des | |
Berliner Kabaretts. Sie ist groß, mit Augen, die sehen aus wie gotische | |
Torbögen. Die wilden Locken sind inzwischen glatt und weiß. An der Wand | |
hängt ein Poster von einem Boxer, der von den Nazis erschlagen wurde, weil | |
er Sinti war. Er ist in Kampfstellung, Oberkörper frei. In der Ecke klemmt | |
James Dean: „only the gentle are really strong“. Es gibt Kaffee aus einer | |
großen Kanne und ihr berühmtes Gemüse-Fleischklößchen-Süppchen. Später d… | |
volle Gläser Wein. Von Anfang an duzen wir uns. | |
taz: Was bedeutet für dich Freiheit? | |
[1][Georgette Dee] Dass man sein kann, wie man ist. Und ich habe wahnsinnig | |
lange damit gekämpft, auch was meine Kunst betrifft. Dass die Leute das | |
nicht immer wieder auf Transenshow und das ganze Trans-Programm reduziert | |
haben. Also der deutsche Kulturbetrieb lebt ja von Schubladen. Das ist | |
manchmal gruselig. | |
taz: War deine Entscheidung, im Kleid auf die Bühne zu gehen, auch der | |
Versuch, aus einer Schublade auszubrechen? | |
Georgette Dee: Nein, das hatte eher was mit Selbstverwirklichung zu tun. | |
Also auch mit diesem ganz intensiven Wunsch, auf der Bühne zu stehen und | |
einfach den Leuten was vom Pferd zu erzählen. Das war immer mein Traum. Ich | |
habe mit sieben vor dem Radio gesessen, da lief [2][Édith Piaf] mit | |
„Milord“. Und ich weiß noch, ich bin fast ins Radio rein gekrochen, morgens | |
um acht oder so, und dachte nur: Das will ich auch! Ich habe gar nicht | |
gedacht, wer ist das? Sondern irgendwie war das: Das will ich auch! Das | |
weiß ich noch ganz genau. | |
taz: Aber das hättest du ja auch in Hose machen können. | |
Georgette Dee: Nein, eben nicht! Weil es dann nicht funktioniert. Ich | |
greife die Leute ja an! Dann machen sie zu und dann wäre die Karriere in | |
einem Jahr beendet. Ich bin für die Menschen nicht gefährlich, wenn ich im | |
Kleid die Männerwelt angreife, weil irgendwo wissen sie ja, dass ich auch | |
irgendwie ein Mann bin. Aber ich kann da Dinger landen, die könnte ich in | |
der Hose nicht landen. | |
taz: Wolltest du auch mal eine Frau sein? | |
Georgette Dee: Einmal, da war ich noch Krankenschwester in Hamburg, da | |
fragte mich der Mediziner, er war noch jung und mochte mich sehr: Sagen | |
Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber würden Sie lieber eine Frau | |
sein? Und das war Ende der 1970er Jahre, richtig schwieriges Thema also. | |
Der bot mir also an, wenn ich irgendwelche Sehnsüchte hätte, mir zu helfen, | |
da einen Weg zu finden. Und ich war völlig von den Socken und habe gesagt: | |
Nee, weiß ich nicht, muss ich drüber nachdenken. Aber dadurch, dass von | |
außen diese Frage an mich rankam, habe ich plötzlich tatsächlich darüber | |
nachgedacht. Will ich das eigentlich oder will ich das nicht? Und dann habe | |
ich festgestellt: Nein, all die geilen Jungs, die ich jetzt jeden Abend | |
haben kann, kriege ich ja niemals als Mädchen. Ganz pragmatisch. Das war so | |
ein wichtiger Moment in meinem Leben. Da habe ich gedacht: Nein. Das muss | |
alles nicht sein. Es stimmt alles, wie es ist. Aber natürlich, auf der | |
Bühne wollte ich schon als Frau wahrgenommen werden. Es war dieses Spiel | |
dazwischen. So musste es irgendwie für mich sein. | |
taz: Und das schillernd zu halten. Ist das für dich auch Freiheit? | |
Georgette Dee: Eine Freundin von mir sagte mal über meine Shows: Ich sitze | |
da und nach zehn Minuten sind Mann und Frau verschwunden. Und mehr kann ich | |
von der Kunst nicht wollen als Performer. Also da steht ein Mensch und | |
reißt sich den Arsch auf. Und jammert über die Welt oder macht sich lustig | |
oder schreit laut, ich will ficken oder all so ein Zeug. Also alles, was | |
unser Menschsein ausmacht, was auch geschlechterübergreifend ist, weißt du? | |
taz: Nein, was denn? | |
Georgette Dee: Na, ich erzähl ja ganz viel von mir, von meinem Loosertum | |
und was wieder alles schiefgegangen ist oder wie das alles nicht klappt. | |
Und darin erkennen sich die Leute, weil das alle kennen. Ganz genau! Mund | |
riesig voll genommen und dann einfach hinter den Pfeiler gekotzt. Und | |
deswegen lieben die Menschen das so, weil das ist der menschliche Moment, | |
dass wir alle Verlierer sind. Eigentlich die ganze Zeit. | |
taz: Du bist in den 1980ern durch Knäste getourt. Wie kam es dazu? | |
Georgette Dee: Das damalige Programm hieß „Geburtstagslieder fürs | |
Hexenkind“. Und darauf war die Organisatorin angesprungen. Sie hat sich das | |
angeguckt, und dann sagte sie: Naja, die im Knast, das sind ja alles | |
Hexenkinder. Also die verstehen da vielleicht was. Na und ich war einfach | |
auch ein Hingucker. | |
taz: Bist du im Kleid aufgetreten? | |
Georgette Dee: Ja, ich bin aufgetreten, wie ich damals war. | |
taz: Und das ist gut angekommen? | |
Georgette Dee: Sehr. Also nicht in allen Knästen, aber ich weiß, in manchen | |
Knästen … die hätten mich am liebsten in den Hinterraum getragen. Bei den | |
schweren Jungs, lebenslänglich, da hat es gut funktioniert. Aber als wir | |
dann mal in Wiesbaden in irgendeinem Wirtschaftsknast waren, da haben die | |
so ein bis drei Jahre abzusitzen, wegen Steuerhinterziehung und so einem | |
Scheiß. Das waren auch alles mehr so Familienväter und | |
Einfamilienhausbesitzer. Und die waren ziemlich blasiert. Denen war das | |
irgendwie unter … die hätten lieber ’ne Peepshow gehabt. | |
taz: Ging es für dich dabei auch um Solidarität unter Unterdrückten? | |
Georgette Dee: Ich glaube schon. Gefängnis ist für mich das | |
Allerschlimmste, was ich mir nur vorstellen kann. Da würde ich jede schwere | |
Krankheit vorziehen. Aber eingesperrt sein ist für mich der Horror ohne | |
Ende. Nur die Vorstellung und ich krieg Schnappatmung. | |
taz: Und hat es was geholfen? | |
Georgette Dee: Einer der schönsten Auftritte war im Untersuchungsgefängnis | |
in Frankfurt am Main. Ich hatte einen weiten, roten Samtrock an und bin | |
tanzend durch die Reihen durchgegangen. Da sind die armen Sicherheitsleute | |
ausgerastet. Und in der ersten Reihe saß so ein Blonder. Der war so Ende | |
20, und … Das werde ich nie vergessen. Der war völlig versunken. Der hat | |
mich angefunkelt, als hätte er die Liebe seines Lebens entdeckt. Das war | |
irgendwie fast tragisch – aber es war auch wunderschön. Ich habe natürlich | |
zurückgeflirtet, aber der war abgeschossen. Also diese halbe Stunde war | |
seine Welt in Ordnung, völlig. So ein Strahlen! | |
taz: Was ist für dich Liebe? | |
Georgette Dee: Das kennst du ja wahrscheinlich auch, wie sich die Welt | |
verändert. Wie mit einem Fingerschnippen. Keine Kassenschlange nervt mehr, | |
kein vollgestopfter Bus ist irgendwie blöd. Man ist einfach eins mit der | |
Welt. Das ist fast, als wäre man wieder fünf Jahre alt. Dieser Zustand, in | |
dem alles einfach herrlich ist. | |
taz: Du bist christlich erzogen worden, oder? | |
Georgette Dee: Der Vater war christlich, ja. Familie von evangelischen | |
Pietisten. Ich war auch jedes Jahr im christlichen Ferienlager. | |
taz: Und das ist in guter Erinnerung geblieben? | |
Georgette Dee: Die Ferienlager? Ja! All die ferienwütigen Jungs, mit denen | |
man in den Ferienlagern da … | |
taz: War da so viel Hanky Panky? | |
Georgette Dee: Ja schon. Außerdem war ich, wie ich immer sage, frühreif, | |
hochbegabt und ungefördert. Ich hab mir die Jungs schon gefällt, die ich | |
haben wollte. Oder dran rumgesägt, bis sie schwach geworden sind. Hat fast | |
immer geklappt. | |
taz: Und war es immer schön? | |
Georgette Dee: Naja, es war wild irgendwie. Und das hatte ja auch eine | |
gewisse Heimlichkeit. Also in meiner Pubertät war diese ganze Sexualität | |
heimlich. | |
taz: Das war auch nicht nur leicht? | |
Georgette Dee: Nein, aber wenn man geil ist und fünfzehn, ist einem das | |
egal. Aber das prägt einen natürlich. Das war später schwer, irgendwie eine | |
normale Beziehung mit irgendjemandem zu führen. | |
taz: Klingt schwierig. | |
Georgette Dee: Ja, weil man eigentlich immer … das hatte man irgendwie für | |
sich verinnerlicht: Man ist eigentlich illegal mit seiner Gefühlswelt. Man | |
kommt in der Gesellschaft nicht vor. Und das ist politisch gesehen immer | |
noch meine größte Wut. Dass sich das zwar extrem gebessert hat, also auch | |
von der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Akzeptanz her – zum Kotzen das | |
Wort! Aber es ist immer noch schwer. | |
taz: Ist es schwieriger, frei zu sein, wenn man schwul ist? | |
Georgette Dee: Na im Prinzip schon, oder? Also ich meine, ich konnte nie zu | |
Hause mit dem Boyfriend ankommen. Allein das, was das schon ausmacht für | |
einen Menschen in seiner Entwicklung, dass er irgendwie nach Hause kommt | |
und sagt: Hier, das ist mein Freund, und alle sagen: au toll! Das ist ja | |
super! Das wäre für mich normal, und ich habe das ja gelebt gesehen in | |
meiner Pubertät. Also alle die Jungs, die Girlfriends hatten, die waren in | |
den Familien, da wurde beschnuppert und geguckt. Aber es war immer eine | |
positive Zugewandtheit, egal, wie krass die Familien drauf waren. Aber bei | |
schwulen und lesbischen Menschen, gerade aus meiner Generation, ist das nie | |
ein Teil des Lebens gewesen. Also nur in ganz großen Ausnahmefällen. Und | |
wenn die Familie schon nicht zu dir sagt: Das ist ja alles wunderbar, wir | |
freuen uns. Wie soll man sich dann der Welt gegenüber verhalten? | |
taz: Und wann hat sich das geändert bei dir? | |
Georgette Dee: Wahrscheinlich im Grunde genommen nie (lacht). Immer nur | |
verklemmt. Sex im Dunkeln. Nein. Ich habe mir die Liebe und Bestätigung der | |
Menschheit natürlich zum Teil auch über meine Kunst geholt. Und am Anfang | |
war das noch viel mehr, dass ich unglaublich darauf bedacht war, ob die | |
Leute das auch mögen oder so. Naja, das Bewusstsein, die Wahrnehmung hat | |
sich geändert. Auch durch meine Arbeit. Auch wenn das nicht immer so | |
formuliert ist, aber das bläst schon Attacke darauf. Einfach die Art, wie | |
ich bin und wie ich mich präsentiere, öffentlich, ist schon ein Statement. | |
Leb es oder lass es. Ich hab mich irgendwann nicht mehr darum bemüht, ob | |
die Leute mich mögen oder nicht. | |
taz: Waren deine Eltern abweisend? | |
Georgette Dee: Also, als ich mit meinem ersten seriösen Boyfriend antanzte, | |
da hat meine Mutter 14 Tage Hackfresse gezogen, während mein Vater sich | |
jeden Tag mit meinem Freund zusammengesetzt und geklönt hat. Nein, da war | |
mein Vater richtig cool. Er ist an Aids gestorben dann, dieser Freund, also | |
Jahre später, und ich hatte ihn noch ein paar Mal zu mir eingeladen, als er | |
schon Kaposi und sonst was hatte. Und dann saßen wir im Garten und meine | |
Mutter hat sich nicht einmal blicken lassen, aber mein Vater kam runter, | |
hat sich dazugesetzt und sich mit ihm unterhalten und auch total souverän | |
und interessiert. Also nicht so Smalltalk, sondern einfach so geredet. Und | |
der sah wirklich schon schlimm aus zu der Zeit. Das fand ich sehr cool. Ja, | |
das fand ich schon erstaunlich. So die kleinen Dinge des Lebens. | |
taz: Meinst du, man hat es heutzutage leichter aufzuwachsen, wenn man | |
schwul ist? | |
Georgette Dee: Vielleicht schon, aber ich habe das jetzt immer noch bei | |
meinen Studenten. Es gibt die Tupperparty-Jungs, so nenne ich die immer, | |
die immer alles ihrer Mutter recht machen wollen und immer von allen | |
liebgehabt werden wollen. Ich nenne das mal das schwule Syndrom. Kein | |
hetero Junge, der richtig pubertiert und bockig ist, gibt einen Scheiß | |
drauf, ob die Welt ihn lieb hat oder nicht. Aber bei schwulen Jungs ist es | |
manchmal wirklich so ein Phänomen. Und ich finde das manchmal amüsant, aber | |
manchmal ärgert es mich auch. Warum willst du unbedingt, dass dich alle | |
liebhaben? Scheiß doch drauf! Mein Gott, du magst Arschficken, also die | |
sollen dich doch alle am selbigen lecken, die Deppen. | |
taz: Wenn man eh irgendwie illegal ist, ist man dann auch freier von | |
Konventionen? | |
Georgette Dee: Ja, das ist das Magische wiederum. Also mir kam natürlich | |
auch oft die schwule Welt wirklich wie so ein Fairy Tail vor. Es gab | |
einfach diese Welt, in der getanzt, gesoffen, gefickt, gefeiert wurde, | |
neben der wirklichen Welt. Und die war natürlich toll. Und Aids hat dem | |
dann einen ziemlichen Riegel vorgeschoben, ’ne Weile. Ja, und auch die | |
Community irgendwie zum Explodieren oder Implodieren gebracht. | |
taz: Ist das dein Eindruck? | |
Georgette Dee: Ja und nein. Also bei der Bundestagswahl 2017 haben die | |
blauen Seiten (gemeint ist ein schwules Datingportal – Anm. d. Red.) auch | |
eine Umfrage gemacht. Und die Prozentzahlen bei den Parteien waren fast | |
identisch mit den Umfrageinstituten. Also AfD 12 Prozent, auch bei den | |
Schwulen. Da dachte ich, irgendwie hat es etwas Beruhigendes, es ist also | |
Normalität eingekehrt. Aber es ist auch zum Kotzen. | |
taz: Meinst du, die Bewegung ist politisch eher weniger weit als in den | |
1980ern? | |
Georgette Dee: Ich weiß es nicht, ich finde es auf der anderen Seite ganz | |
schön in den Zeiten, in denen wir jetzt leben: Es gibt einfach sichtbare | |
alte Schwule und das hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Und das finde ich | |
ganz wichtig. Und ich weiß auch, dass viele Jungs das sehr schätzen. | |
taz: Du hast eine Zeitlang wieder bei Lüneburg gelebt, aber dann bist du | |
zurück nach Berlin gezogen. Wieso? | |
Georgette Dee: Ich bin wieder hergezogen vor über zehn Jahren an den | |
Nollendorfplatz, in ein Atelier. Da wollte ich nämlich Kunst machen. Und | |
das ging natürlich gar nicht. Also in den 1980ern habe ich eine Postkarte | |
an die Litfaßsäule geklebt und war drei Wochen ausverkauft. Ja, und im | |
Jahre 2012 hätte ich nackend über den Kudamm mit Trompeten gehen können, es | |
wäre trotzdem keiner gekommen. | |
taz: Aber du bist trotzdem geblieben. Hat sie auch was Gutes, die Stadt? | |
Georgette Dee: Berlin war immer ’ne Hassliebe. Aber die Westberliner haben | |
immer so eine schöne Distanz gehabt zu den Menschen und gleichzeitig so | |
eine Neugier. Erst mal wird alles gelten gelassen. Da wird nie erst mal | |
gemeckert oder bekrittelt oder so. Und wenn es nicht passt, geht man eher | |
weg, als dass man was sagt. Meine Ostberliner Jungs, die waren viel | |
frecher. Also, wenn denen was gestunken hat, haben sie gleich auf die Pauke | |
gehauen. War auch lustig. Aber das mochte ich an den Westberlinern immer so | |
gerne, dass die so eine weite Range hatten von Geltenlassen. | |
taz: Bist du auch so? | |
Georgette Dee: Vielleicht. Also mein Nachbar ist ein strammer AfD-Wähler | |
und wir verstehen uns prächtig. Aber dann wollte der irgendwann neulich mal | |
über die ganzen Ausländer schwadronieren. Dann habe ich gesagt, mein | |
Lieber, nicht mit mir, lass uns über Blumen reden. Dann war das gegessen. | |
Dann hatte er das auch geschnallt, denn es ist ja reines Aufplustern. | |
taz: Du lebst hier quasi auf dem Land. | |
Georgette Dee: Ja, weil ich auf dem Land groß geworden bin. Und ich bin | |
eigentlich nie Großstädter geworden. Das hier ist für mich die perfekte | |
Symbiose. Zwischen Rieselfeldern und Heerstraße. | |
taz: Fällst du hier am Stadtrand auf? | |
Georgette Dee: Ach, die kennen mich hier in meinem Spandauer Look. Also | |
Schlabberhosen und schräg sitzende T-Shirts. Und wenn ich dann mal so ein | |
bisschen aufgebrezelt nur in die Tankstelle fahre, dann zucken die schon | |
zusammen. Also mit Bewunderung. Und ich finde das super. Ich liebe meine | |
Rentner-Elastikhosen, die man bis unter die Arme hochziehen kann. Wenn ich | |
durch Pichelsdorf schleiche, glaubt kein Mensch, dass ich eine berühmte | |
Sängerin bin. | |
taz: Du verreist auch gerne. Hat die Welt dich immer genauso offen | |
aufgenommen wie [3][Pichelsdorf]? | |
Georgette Dee: Die haben auch geschimpft. Das war im Oman und auch in | |
Saudi-Arabien und in Katar. Aber wahrscheinlich nur, weil du einfach ein | |
weißer Schwuler warst. In Ägypten hatte ich manchmal das Gefühl, dass die | |
mich anstarrten. Weil nach deren Verständnis konnte es so was wie mich gar | |
nicht geben. Aber ich stand dann vor ihnen auf der Straße, das hatte fast | |
so einen Alien-Effekt. Und im Libanon auch. Da bin ich einmal abends | |
draußen gewesen und hab gedacht, oh, jetzt muss ich mal Fersengeld geben. | |
Aber eben auch manchmal genau das Gegenteil, dass ich von fremden Jungs zum | |
Tee ins Haus eingeladen wurde. Und dann wieder … in Kuba, da bin ich auf | |
Liebe gestoßen. Das war völlig verblüffend. Bei einem Mann, der sonst nur | |
mit Frauen schlief. Aber das war irgendwie ganz klar. Er liebte mich und | |
ich ihn. Ich habe dem aber nicht nachgegeben. Und er hat die ganze Nacht | |
geweint. Neben mir. Und dann habe ich ihm vorgesungen. Lieder vorgesungen. | |
Und er hat sich beruhigt. | |
taz: Hast du mal das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben? | |
Georgette Dee: Ich denke nicht. Aber ich gehe über die Straße, sehe zehn | |
Jungs und denke, die hast du jetzt auch alle nicht gekriegt. Wenn es nach | |
mir ginge, könnte ich den ganzen Planeten ficken. | |
taz: Was ist das Glück, Georgette? | |
Georgette Dee: Ja, das frage ich mich auch manchmal. | |
12 Jan 2025 | |
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Hanno Rehlinger | |
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