# taz.de -- Aufarbeitung der Mordserie: NSU-Terror bleibt in Hamburg eine akade… | |
> In Hamburg werden Forscher den Mordanschlag des NSU aufarbeiten. Das sei | |
> gut, könne aber keinen Untersuchungsausschuss ersetzen, findet Die Linke. | |
Bild: In Hamburg-Bahrenfeld ermordet: Gedenkstein für Süleyman Tasköprü vor… | |
Wie konnte es sein, dass die Sicherheitsbehörden für die Möglichkeit blind | |
waren, dass die NSU-Mordserie einen rassistischen Hintergrund hatte? Wie | |
konnte es sein, dass sie lieber Wahrsager beschäftigten, als dieser aus | |
heutiger Sicht so naheliegenden Hypothese nachzugehen. Diese Fragen sollen | |
nach dem Willen der Hamburgischen Bürgerschaft wissenschaftlich geklärt | |
werden. Der Auftrag dazu ging kürzlich an ein Forscherteam unter Führung | |
der Universität Bochum. | |
Der Mord am Hamburger Gemüsehändler [1][Süleyman Tasköprü] vor 24 Jahren | |
war der dritte mit der gleichen Pistole. „Ab dem Moment war klar, es | |
handelt sich um einen Serienmord“, sagt Constantin Goschler, [2][Professor | |
an der Uni Bochum], der die Forschungsgruppe koordiert. „Man ging davon | |
aus, dass es weitere Morde geben würde.“ Dabei folgte die Polizei von | |
Anfang an einer falschen Spur, indem sie die Morde mit organisierter | |
Kriminalität in Verbindung brachte und andere Möglichkeiten [3][weitgehend | |
ausblendete]. | |
Die beiden ersten Opfer waren in Nürnberg ermordet worden, sechs weitere | |
Morde über ganz Deutschland verteilt folgten – an türkischstämmigen und | |
einem griechischstämmigen Migranten. Verübt in den Jahren 2000 bis 2006, | |
wurde ihr wahrer Hintergrund erst offensichtlich, als die Gruppe 2011 | |
aufflog. Zwei der Terroristen töteten sich selbst. Ihre Komplizin Beate | |
Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. | |
Insgesamt 15 parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) versuchten, den | |
Hintergrund dieser Mordserie auszuleuchten. [4][Als einziges betroffenes | |
Bundesland verzichtete Hamburg] auf einen solchen. Stattdessen verwies die | |
zur Tatzeit und nach dem Auffliegen der Gruppe in Hamburg regierende SPD | |
darauf, dass der Hamburger Mord im Innenausschuss der Bürgerschaft | |
bearbeitet worden sei. Zudem legte der Senat einen 87-seitigen Bericht zu | |
dem Fall vor. | |
## Bloß die AfD stimmte dagegen | |
Wiederholte Forderungen der Linken und [5][von Teilen der Grünen] nach | |
einem Untersuchungsausschuss hatte die SPD abgewiesen. Die jetzt anstehende | |
wissenschaftliche Aufarbeitung bezeichnete Deniz Celik, | |
Bürgerschaftsabgeordneter der Linken, als „faulen Kompromissversuch der | |
Regierungsfraktionen, um ihren [6][politischen Unwillen zur Aufklärung] des | |
NSU zu kaschieren“. | |
Gleichwohl stimmte die Linke für die Ausschreibung – auch wenn eine solche | |
Studie einen PUA nicht ersetzen könne. Lediglich die AfD simmte dagegen. | |
Constantin Goschler als Sprecher der Forschergruppe freut sich angesichts | |
des langen Streits über die breite Zustimmung der Bürgerschaft. Damit werde | |
die Forschung vom Parteienstreit entlastet. Zwar habe ein PUA gewisse | |
Vorteile, etwa indem er Zeugen vorladen und zwangsweise vorführen könne. | |
Daraus ergebe sich aber auch ein doppelter Nachteil. | |
Ein gerichtsförmiges Verfahren wie ein Untersuchungsausschuss führe dazu, | |
dass sich Zeugen strategisch verhielten, weil sie sich nicht selbst | |
belasten wollten. Zudem sei das Ergebnis „einer politischen Logik | |
unterworfen“, [7][sagt Goschler.] „Das diktiert den Ablauf.“ Sein | |
Forschungsteam hingegen habe keine politische, sondern eine | |
staatsbürgerliche Agenda. | |
„Nicht nur die Morde selbst, sondern auch der Umgang damit führten zu einem | |
tiefen Vertrauensverlust“, sagt Goschler. Die Angehörigen ermordeter Reeder | |
etwa wären wohl nicht auf eine Verwicklung in organisierte Kriminalität hin | |
verhört worden, wie es den Angehörigen der NSU-Opfer geschah. „Das hat | |
gesellschaftliche Relevanz“, sagt Goschler. | |
Den Forschern geht es nicht darum, die Neonazi-Szene in Norddeutschland zu | |
durchleuchten und ein mögliches Unterstützernetzwerk aufzudecken, sondern | |
um die Arbeit der Polizei und des Verfassungsschutzes. | |
„Wir können nicht die Ermittlungsarbeit, die gegebenenfalls nicht gemacht | |
wurde, nachholen“, sagt Goschler – ebenso wenig wie ein PUA. Die Forscher | |
wollten vielmehr auf die Ermittler selbst schauen, die Kultur der | |
Sicherheitsbehörden, die Brille, mit der sie auf die Mordserie und die | |
Neonazi-Szene blickten. | |
Im Mittelpunkt stehe das Verwaltungsversagen und die Frage, was sich besser | |
machen lasse, wobei auch die Perspektive der Angehörigen der Mordopfer | |
wichtig sei. „Wir werden nicht den einen Schuldigen finden“, sagt Goschler, | |
eher Entscheidungen, die auch anders hätten getroffen werden können, etwa | |
wofür wie viele Ressourcen eingesetzt werden. | |
Dabei soll es auch um den Resonanzraum gehen, in dem die | |
Sicherheitsbehörden arbeiten, also deren Wechselspiel mit der | |
Öffentlichkeit, in der von „Dönermorden“ [8][die Rede war]. Goschler spit… | |
es zu: „Jede Gesellschaft hat die Polizei, die sie verdient.“ | |
Um der Vielschichtigkeit ihres Gegenstandes gerecht zu werden, arbeitet die | |
Forschergruppe interdisziplinär. Goschler selbst ist Zeithistoriker und hat | |
eine grundlegende Studie zum Verfassungsschutz mitverfasst. Die | |
Polizeisoziologin Daniela Hunold von der Hochschule für Wirtschaft und | |
Recht Berlin forscht zu Rassismus in der Polizei. | |
## Bundesanwalt muss Akten freigeben | |
Charlotte Schmitt-Leonardy ist [9][Expertin für Strafverfahrensrecht]. Sie | |
hat sich mit den Problemen großer, komplexer Verfahren befasst wie dem | |
Duisburger Loveparade-Unglück. Zusammengebracht hat die Forschungsgruppe | |
Wolfgang Seibel von der Uni Konstanz, der die Muster erforscht hat, die | |
hinter schwerem Verwaltungsversagen stecken. | |
Zu den vier erwähnten kommen drei weitere Mitarbeiter, die das Team | |
vervollständigen. Sie alle müssen eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, | |
weil sie auch auf Verschlusssachen der Behörden zugreifen dürfen. „Die | |
Behörden haben uns uneingeschränkten Zugang zugesichert“, sagt Goschler. | |
Dabei geht es um Hunderte Akten der Polizei und des Landesamtes für | |
Verfassungsschutz, die mindestens bis zum Abschluss der wissenschaftlichen | |
Aufarbeitung erhalten bleiben sollen. Ein Teil davon muss von der | |
Bundesanwaltschaft freigegeben werden. | |
Bis die Sicherheitsfreigabe erteilt ist, will das Team sozusagen den | |
Forschungsstand ermitteln und die Ergebnisse der bisherigen 15 | |
parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sowie das Internet durchforsten. | |
„Zur Forschung gehört, das Rad nicht neu zu erfinden“, sagt Goschler. | |
14 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Rechtsterroristischer-Mord-in-Hamburg/!5107397 | |
[2] /Entschaedigung-fuer-Holocaustopfer/!5992661 | |
[3] https://tuttle.taz.de/!421422&s=S%C3%BCleyman+Task%C3%B6pr%C3%BC&Su… | |
[4] /Streit-bei-Gruenen-um-NSU-Ausschuss/!5933831 | |
[5] /Hamburgs-Gruene-waehlen-Landesvorsitzende/!5939121 | |
[6] /Halbherziges-Erinnern/!6033895 | |
[7] https://www.ruhr-uni-bochum.de/lehrstuhl-ng2/mitarbeiter/goschler.html | |
[8] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/kriminalitaet-verfas… | |
[9] https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/rechtswissenschaft/ls/schmitt-leon… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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