# taz.de -- Krise im Berliner ÖPNV: Die BVG lernt Empathie | |
> Mit einem „Stabilitätskonzept“ will der BVG-Vorstand das Unternehmen in | |
> Fahrt bringen. Bis neue Wagen rollen, vergeht allerdings noch einige | |
> Zeit. | |
Bild: Noch länger als die Trams der BVG sind oft die Wartezeiten ihrer KundInn… | |
Berlin taz | Eine verbesserte Kundenbetreuung, Aufbau des Personals und vor | |
allem viele neue Fahrzeuge: Der Vorstand der BVG hat einen Plan | |
vorgestellt, um das landeseigene Verkehrsunternehmen aus dem Krisenmodus | |
herauszuführen – oder, in seinen eigenen Worten, „Berlin wieder einen | |
stabilen und verlässlichen ÖPNV zu liefern“. Zumindest bei der Opposition | |
werden aber schon laute Zweifel an dem neuen „Stabilitätskonzept“ | |
angemeldet. | |
Wie schon öfters in den vergangenen Monaten spart der BVG-Vorstand auch | |
diesmal [1][nicht mit Selbstkritik]. „Insbesondere Fahrgäste der U-Bahn | |
konnten sich nicht mehr auf das versprochene Angebot verlassen“, heißt es | |
zu Beginn der ausführlichen Pressemitteilung des Unternehmens vom Freitag. | |
[2][„Überdurchschnittlich viele Fahrten“ seien ausgefallen,] „weil die a… | |
Fahrzeugflotte technisch anfällig ist und zeitweise hohe Krankenstände für | |
Engpässe sorgten“. Auch das „in die Jahre gekommene Informationssystem“ | |
habe die Unzufriedenheit vieler Fahrgäste geschürt. | |
Um letzteren Missstand im Rahmen des nun versprochenen „Kurswechsels“ | |
abzustellen, sollen die „Hintergrundsysteme grundlegend erneuert“, aber | |
auch kurzfristig Verbesserungen eingeführt werden. | |
## „Empathische Live-Ansagen“ | |
So gebe es seit einigen Tagen schon in allen Bussen Störmeldungen und | |
Umsteigeverbindungen in Echtzeit, im kommenden Jahr sollen auch die | |
Fahrgäste der U-Bahn und ab 2026 die der Straßenbahn davon profitieren. Die | |
Leitstellen würden personell aufgestockt, an immer mehr Bus- und | |
Tramhaltestellen digitale Fahrpläne angeboten. | |
Besonderes Schmankerl: Im Januar soll auf den U-Bahn-Linien 1 bis 4 ein | |
Test starten, bei dem Mitarbeitende „situative und empathische Live-Ansagen | |
bei Störungen und Ausfällen“ machen, und das „möglichst auf Deutsch und | |
Englisch“. Aktuell werden Wartende bei Zugausfällen oder Fahrgäste in | |
steckengebliebenen Zügen oft lange im Unklaren darüber gelassen, was der | |
Grund für die Verspätung ist und wann es tatsächlich weitergeht. | |
Unter dem Punkt „Team BVG stärken“ verspricht der aktuell zweiköpfige | |
Vorstand – Vorsitzender Henrik Falk und Personalvorständin Jenny | |
Zeller-Grothe – die Fortsetzung der laufenden Rekrutierungsoffensive, um | |
die gelichteten Reihen im Personal zu schließen. | |
Tatsächlich werde schon zum Ende dieses Jahres „trotz der schwierigen | |
betrieblichen Lage“ ein Plus von rund 360 bei der Zahl der Mitarbeitenden | |
stehen. 2.400 Personen habe man bis November bereits eingestellt, im | |
kommenden Jahr sollen 800 neue Mitarbeitende für den Fahrdienst und 300 für | |
die Werkstätten gewonnen werden. | |
## KI-generierte Schichtpläne | |
Aus der Zunahme der Bewerbungen – mit 34.200 im November liege man schon | |
deutlich über der Rekordzahl von 30.000 im Vorjahr – schließen Falk und | |
Zeller-Grothe, dass die BVG immer noch ein attraktiver Arbeitgeber ist. Um | |
das abzusichern und „Mitarbeitende nachhaltig an die BVG zu binden“, soll | |
ein ganzes „Maßnahmenbündel“ greifen, darunter „individualisiert gestal… | |
und perspektivisch KI-generierte Schichtpläne“. | |
Auch in den anstehenden Tarifverhandlungen werde es darum gehen, auf dem | |
umkämpften Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben: „Die Rahmenbedingungen | |
und auch die Bezahlung“ müssten „natürlich stimmen, um im Wettbewerb um | |
Mitarbeitende in Berlin-Brandenburg bestehen zu können“, so Zeller-Grothe. | |
Der ganz große Knackpunkt ist und bleibt allerdings der [3][stark | |
überalterte und entsprechend pannenanfällige Fuhrpark]. Seit Jahren wartet | |
die BVG auf U-Bahn-Nachschub im Rahmen der Großbestellung beim Schweizer | |
Hersteller Stadler Rail. | |
Und so lautet nun das Versprechen: Nach der Lieferung von 18 „Test- und | |
Schulungsfahrzeugen“ der Kleinprofil-Baureihe JK im Frühjahr und Sommer | |
2025 starten ab September die Serienlieferung und der Einsatz im | |
Fahrgastbetrieb, voraussichtlich auf der U2 und U3. Bis Jahresende 2025 | |
sollen „im Idealfall“ schon 140 neue Wagen im Einsatz sein – was dann doch | |
weniger nach einem Versprechen als nach einem frommen Wunsch klingt. | |
## Warten auf die Großprofil-Baureihe | |
Bei der Großprofil-Baureihe J für die Linien 5 bis 9 soll die | |
Serienlieferung dagegen erst im Sommer 2026 starten. Bis Ende 2026 wären | |
demnach alle bestellten 236 Wagen dieses Typs bei der BVG. Allzu viel ist | |
das noch nicht. | |
Gut, dass der BVG-Aufsichtsrat unter Vorsitz von Wirtschaftssenatorin | |
Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag den zweiten „Fahrzeugabruf“ aus dem | |
Rahmenvertrag mit Stadler freigegeben hat, wodurch weitere 108 J-Wagen | |
bestellt werden können. Ende 2027 sollen insgesamt schon 484 neue Waggons | |
auf allen Linien im Einsatz sein. Der Rahmenvertrag sieht die maximale | |
Lieferung von 1.500 Waggons vor. | |
Bei der Tram klingt der Aufwuchs bescheidener, allerdings ist hier auch die | |
Überalterung des Bestands etwas weniger dramatisch. In den kommenden beiden | |
Jahren sollen schon einmal 20 der neuen, [4][50 Meter langen | |
„Urbanliner“-Straßenbahnen] des Stadler-Konkurrenten Alstom und 50 neue | |
E-Busse auf die Straße kommen. | |
In Marienfelde und Schöneweide werden dazu neue Bus-Betriebshöfe gebaut, | |
bei der Straßenbahn startet der Neubau in Adlershof, und das stillgelegte | |
Gelände in Niederschönhausen soll reaktiviert werden. | |
## Kritik von den Grünen | |
Also wird doch noch alles gut? Eher nicht, meinen Antje Kapek und Oda | |
Hassepaß, die verkehrspolitischen Sprecherinnen der Grünen-Fraktion: Das | |
Stabilitätskonzept werde „die aktuelle Krise nicht lösen“, glauben sie. | |
Viele der Maßnahmen, gerade die Aufholjagd beim Fuhrpark und den | |
Betriebshöfen, seien „längst angekündigt oder überfällig“ gewesen. | |
„Ohne Investitionen in eine bessere Bezahlung für das Personal und eine | |
Rückkehr zum im Verkehrsvertrag vereinbarten Fahrplan bei Bus und Bahn | |
bleibt Stabilität ein wackliges Versprechen“, so die beiden Grünen. Das | |
vorgestellte Maßnahmenpaket bekämpfe nur Symptome. | |
Dass es Anfang 2025 eine Rückkehr zum Normalfahrplan geben werden, wie der | |
Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versprochen hat, sei dagegen | |
angesichts der jüngsten Haushaltskürzungen völlig unrealistisch: „Mit | |
dieser Politik nimmt der Senat der BVG nicht nur die Möglichkeit, dringend | |
notwendige Verbesserungen umzusetzen, sondern gefährdet die Mobilität in | |
Berlin insgesamt.“ | |
13 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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