# taz.de -- Rapper Jassin: „Ich hatte nie das Gefühl dazuzugehören“ | |
> Jassin rappt über seine Jugend in der ostdeutschen Provinz als Kind mit | |
> Migrationshintergrund. Aus seinen Texten spricht radikale | |
> Gesellschaftskritik. | |
Bild: Reflektiert und trotzdem cool: Der Rapper Jassin | |
Berlin taz | Mit Kippe in der linken, Limo in der rechten Hand steht Jassin | |
im Innenhof des Backstage-Bereichs. Er zieht an seiner Zigarette und wartet | |
auf seinen Auftritt. An diesem Montagabend Ende November singt Jassin als | |
Tour-Support für die Rapper RIN & Schmyt im Velodrom im Prenzlauer Berg. | |
Aufgeregt? Kaum. Der 19-Jährige scherzt locker mit seiner Crew über den | |
Transporter, der ihnen am Vorabend samt Equipment ausgeraubt wurde. Den | |
Auftritt in Frankfurt/Main einen Tag zuvor hat er problemlos weggesteckt. | |
Das Selbstbewusstsein, das der Nachwuchsrapper aus Lutherstadt Wittenberg | |
in Sachsen-Anhalt heute ausstrahlt, hat er sich hart erarbeitet. In seinen | |
Songs schildert er eindringlich den oft einsamen und schmerzhaften | |
Selbstfindungsprozess, den er als Junge mit Migrationshintergrund in der | |
ostdeutschen Provinz durchlief. Jassin, bürgerlich Jassin Awadallah, rappt | |
zärtlich über Kummer und Frustration in der Kindheit und Jugend, über den | |
Verlust von Freundschaften, das Aufwachsen als Trennungskind und den | |
gesellschaftlichen Druck, als Junge keine Schwäche zeigen zu dürfen. | |
Im Velodrom bahnt sich der junge Künstler den Weg durch den | |
Backstage-Bereich und lässt sich in einem der Zimmer auf die Couch fallen. | |
Er trägt einen Nike-Trainingsanzug, unter dem Hoodie verschwinden seine | |
schwarzen Haare. „Ich hatte nie das Gefühl dazuzugehören“, sagt Jassin. | |
In seinen Liedern rappt er vom Fußballverein „voller Rassistenkinder“, | |
davon, dass sie eine Mannschaft waren, aber er nie Teil des Teams. „Ich | |
habe mich immer zwischen den Gruppen bewegt“, sagt der Sohn eines | |
ägyptischen Einwanderers. Weder zu den ausländischen noch den deutschen | |
Kids habe er sich zugehörig gefühlt. „Jetzt kenne ich mich besser, weiß, | |
was mir in Freundschaften wichtig ist, setze Grenzen und habe Menschen | |
gefunden, die das respektieren“, sagt er. | |
## Steile Karriere | |
Indem er Themen anspricht, die für heranwachsende Jungs oft noch als tabu | |
gelten, trifft er den Nerv reflektierter Jugendlicher, die sich in seinen | |
Texten wiederfinden. Erst im Frühjahr 2024 veröffentlicht Jassin seine | |
ersten Musikvideos auf Instagram und Tiktok, die in kürzester Zeit viral | |
gingen. Seine Fans reagieren gerührt auf die sozialkritischen und | |
persönlichen Themen, die er in seiner Musik behandelt. | |
Im Mai erschien seine Debüt-EP, es folgte ein Auftritt bei einer | |
HipHop-Eventreihe für Newcomer. Ende dieses Jahres tourt er bereits als | |
Support-Act mit dem Moabiter Rapper Apsilon, RIN & Schmyt sowie Trettmann. | |
Im kommenden April startet seine deutschlandweite Tour, benannt nach dem | |
Titelsong der ersten EP, „Kinder können fies sein“. | |
Eigentlich beteuert der 19-Jährige, er sei „nicht besonders politisch“. Und | |
doch spricht aus Jassins Tracks eine schonungslose Gesellschafts- und | |
Kapitalismuskritik, er rappt über institutionellen und alltäglichen | |
Rassismus, rechte Gewalt und patriarchale Strukturen. Doch seine Lieder | |
sind vor allem autobiografisch – und zeigen damit eindrucksvoll, dass das | |
Private politisch ist. | |
„Die Texte dienen vor allem meiner Verarbeitung. Die Aufklärung ist eher | |
ein Beigeschmack“, sagt Jassin. Das Lied „Bind mir die Augen zu“ etwa, das | |
er im Juli veröffentlichte, habe er einen Tag nach der Europawahl 2024 mit | |
zwei Stunden Schlaf geschrieben. „Ich habe das aus dem Bauch heraus | |
geschrieben, weil es mich alles so aufgeregt hat. Ich war so fertig und | |
hatte keinen Bock mehr auf gar nichts“, sagt er. In Wittenberg war die AfD | |
mit 31 Prozent stärkste Kraft geworden. | |
## Rap gegen rechten Terror | |
Was diese Wahlergebnisse mit ihm machen? „Man sieht es dann halt schwarz | |
auf weiß“, sagt Jassin. Doch [1][Rassismus habe er in der ostdeutschen | |
Kleinstadt] bereits sein Leben lang erfahren: Auf dem Fußballplatz oder im | |
Elternhaus seiner Ex-Freundin, die ihn nicht mit nach Hause nehmen durfte. | |
Jassin rappt von Hakenkreuzen auf Schultoiletten und im Klassenchat, von | |
Nachbarn in der Kleingartenkolonie, die von FC-Bayern- zu Reichsflaggen | |
wechseln. „Das’ nicht die Welt, nein, das sind ostdeutsche | |
Kleinstadtsachen“, singt Jassin. | |
Während er sich intensiv damit auseinandersetzt, was es heißt, mit | |
Migrationshintergrund in der ostdeutschen Provinz zu leben, habe sein | |
Vater, der vor 20 Jahren aus Ägypten „mit einem Koffer und ein bisschen | |
Hoffnung“ nach Deutschland kam, das weniger getan, erzählt Jassin. In | |
„Schlechte Träume“ singt er über seinen Vater: „Und obwohl sich niemals | |
jemand ein’n Scheiß um ihn bemühte, sagt er: Deutschland bestes Land“. Do… | |
weiter heißt es, sein Vater werde traurig, wenn er in den Nachrichten sehe, | |
„was halb Germania in ihm sieht“. Er wolle nun wahrscheinlich wieder nach | |
Ägypten ziehen. | |
„Er will im Alter zu seinen Wurzeln und seiner Familie zurückzukehren“, | |
erzählt Jassin. Grund für dieses Verlangen sei auch der Rechtsruck in | |
Deutschland. Die Zunahme an rechter Gewalt thematisiert Jassin gemeinsam | |
mit dem Rapper Trettmann in ihrem Lied „Nach Hause komm“, das am 22. | |
November erschien. Im Musikvideo tragen die Rapper Bomberjacken mit | |
Koordinaten von Tatorten rechter Gewalt. Im Abspann werden einige | |
aufgelistet, darunter Hanau, Halle, Mölln, Solingen und Hoyerswerda. | |
## Linke Strukturen stärken | |
Dass das Aufwachsen als Junge mit Migrationshintergrund in der ostdeutschen | |
Provinz besonders hart ist, sei ihm erst später bewusst geworden, erzählt | |
Jassin – etwa als Freunde aus Berlin ihm spiegelten, dass es alles andere | |
als normal ist, bei einem Dorffest rassistisch beleidigt zu werden. | |
Um [2][linke Strukturen zu stärken, die in Ostdeutschland in der Minderheit | |
sind], ging Jassin im Oktober auf die „Solitour Südost“ und trat in Städt… | |
wie Bautzen, Rosswein, Chemnitz und Zwiesel auf. Der Eintritt war frei oder | |
spendenbasiert und wurde mit der Gage direkt an die Veranstaltungsorte und | |
Initiativen gegen rechts gespendet. | |
Doch trotz des erstarkenden Faschismus fühlt sich Jassin in Wittenberg, | |
umgeben von seinen Freund*innen und Familie, wohl. Seiner Heimatstadt | |
bleibt er treu, nach Berlin ziehen will er nicht. „Berlin ist überfordernd | |
für ein Kleinstadtkind“, sagt er. | |
Während Jassin nochmal schnell unter die Dusche gesprungen ist und eine | |
letzte Zigarette raucht, haben sich im Velodrom bereits rund 4.000 | |
euphorische Fans eingefunden. Der Jubel ist groß, als er die Bühne betritt: | |
Fans rappen mit, die Menge wippt im Takt der Musik und erleuchtet die Halle | |
mit flackernden Feuerzeugen. Jassin blickt zum Abschluss strahlend ins | |
Publikum: „Danke Berlin! Danke, dass ihr so lieb wart.“ | |
19 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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