# taz.de -- Aktivistinnen über gemeinsame Konferenz: „Wir zeigen, dass die G… | |
> Geflüchtete wollen sich gegen Rechtsruck und Asylverschärfungen rüsten. | |
> Dazu lädt das antirassistische Netzwerk „We'll come united“ nach Hamburg | |
> ein. | |
Bild: 2018 konnte das Bündnis 30.000 Menschen mobilisieren. Kann das heute noc… | |
taz: Worum geht es beim „We’ll come united“-Kongress an diesem Wochenende… | |
Asmara Habtezion: Wir wollen uns mit möglichst vielen Menschen darüber | |
austauschen, wie die Selbstorganisierung von Gruppen, Initiativen und | |
Vereinen weitergehen soll, die gegen Rassismus kämpfen. In den | |
Geflüchteten-Communitys ist der Rechtsruck der Gesellschaft deutlich | |
spürbar. Deswegen müssen wir neue Strategien besprechen und uns vernetzen. | |
Nächstes Jahr ist zehnjähriges Jubiläum des Summer of Migration, als es | |
hieß, „Wir schaffen das“. Und heute soll die Ursache aller Probleme | |
Migration sein? | |
taz: Wie 2018, als Horst Seehofer Bundesinnenminister war. Das war auch der | |
große Moment von We’ll come united“: [1][30.000 Menschen demonstrierten] in | |
Hamburg-St. Pauli, die Elbphilharmonie hisste die „We’ll come | |
united“-Flagge. Danach wurde es still um das Bündnis. | |
Habtezion: 2019 fanden Vernetzungstreffen in ganz Deutschland statt. Wir | |
haben auch eine Tour durch Ostdeutschland gemacht, danach hat uns Corona | |
ausgebremst. Wir haben uns online weiter getroffen, aber Face to Face ist | |
es was anderes. Wir hatten dieses Jahr eine Konferenz in Frankfurt und ein | |
Sommercamp in Thüringen. Das war sehr wichtig für die Menschen vor Ort. In | |
Hamburg wollen wir mehr Leute erreichen und zeigen, dass die Gesellschaft | |
nicht rassistisch ist. | |
taz: Ist das gesellschaftliche Momentum noch da, Zehntausende Menschen für | |
die Rechte Geflüchteter auf die Straße zu bringen? | |
Aicha El Saleh: Es ist momentan schwierig, weil die Leute krisengeplagt | |
sind. Aber die Massen sind da, und auch wir sind da. Wir Migrant*innen | |
der zweiten oder dritten Generation, Geflüchtete, sind schon immer da | |
gewesen. Das Problem ist, dass die Politik den Menschen signalisiert, | |
Migration sei ein Problem. | |
taz: Auf dem Kongress wollen Sie inhaltliche Schwerpunkte Ihrer | |
Kampagnenarbeit für 2025 setzen – welche könnten das sein? | |
Zingovala Adzović: Armut ist ein großes Thema und wird noch wichtiger | |
werden. In den Beratungen höre ich oft, dass das Jobcenter oder die | |
Ausländerbehörde nicht zahlt, mitunter warten Menschen acht Monate auf ihr | |
Geld und häufen Schulden an. Das liegt auch am Personalmangel in den | |
Ämtern. Und wie können wir den Personalmangel beheben? Durch Migration! | |
Stattdessen schottet Europa sich ab. Wer keine Leistungen bekommt, verliert | |
seine Wohnung, die Wohnungsnot ist ein riesiges Problem in den Communitys. | |
El Saleh: Im nächsten Jahr werden weitere Verschärfungen auf uns zukommen, | |
Familienzusammenführungen werden weiter erschwert, Menschen mit Duldung | |
weiter entrechtet. In Hamburg müssen wir uns schon [2][mit der Bezahlkarte] | |
herumplagen, bald auch bundesweit. Und natürlich werden Abschiebungen ein | |
großes Thema bleiben. | |
Habtezion: Wir müssen gucken, wie wir die Jugend ins Boot holen können, die | |
in den vergangenen Jahren von der Politik so vernachlässigt wurde. Wir | |
planen bei dem Kongress eine Social-Media-Werkstatt und Worskhops zu | |
Machtstrukturen, Repression, Diskriminierung innerhalb linker Netzwerke und | |
eine Movie-und-chill-out-Ecke. | |
taz: Wahrscheinlich gibt es innerhalb einer so heterogenen Gruppe auch | |
Konflikte, etwa um den Nahen Osten, Verteilungsfragen oder | |
Generationenkonflikte. Wie gehen Sie damit um? | |
Habtezion: Klar, wir sind eine Riesengruppe oder besser gesagt: viele | |
Riesengruppen. Aber wir sind auch der lebende Beweis, dass man trotz aller | |
Differenzen zusammenstehen kann. Wir sind die Gesellschaft der vielen. Wir | |
haben einen Code of Conduct für einen respektvollen Umgang erarbeitet. | |
taz: Wenn Sie drei Forderungen an die Bundesregierung stellen könnten, | |
welche wären das? | |
Adzović: Es muss aufhören, dass die finanzielle Unterstützung der Vereine, | |
die sich für Integration und Demokratie einsetzen, immer weiter gekürzt | |
wird. Wir haben jedes Jahr weniger Möglichkeiten, dabei werden alle | |
Beratungsstellen, ob Caritas, AWO oder Mädchentreffs, komplett überrannt. | |
Habtezion: Es ist gefährlich, den Menschen Beratungsstellen und Angebote | |
wegzunehmen, die ihnen Halt geben. Es erschwert die Integration, Menschen | |
isolieren sich, irren perspektivlos herum und geraten im schlimmsten Fall | |
in die Fänge von Extremisten oder radikalisieren sich im Internet. | |
El Saleh: Wir fordern das Ende der Kriminalisierung von Migration. | |
Migration ist ein Menschenrecht. Und die Ampelkoalition sollte aufhören, | |
der AfD hinterherzulaufen und stattdessen soziale Politik für die Menschen | |
machen. | |
taz: Wird Deutschland unattraktiv als Ziel für Geflüchtete? | |
Adzović: Definitiv. Aber wohin soll man sonst? In Europa herrscht ein | |
[3][Unterbietungswettbewerb in Mindeststandards]. Die Leute berichten von | |
Folter in Kroatien, Bulgarien, Ungarn und in Polen. Wir haben Menschen in | |
Obdachlosigkeit in Italien, Spanien, Schweden. Selbst die skandinavischen | |
Länder sind in Sachen Menschenrechte [4][eine Katastrophe]. | |
El Saleh: Das gilt nicht nur für Geflüchtete. Auch Menschen, die schon in | |
zweiter Generation hier sind, fühlen sich zunehmend unwohl und fragen sich: | |
„Bin ich hier eigentlich noch sicher?“ Aus der syrischen und libanesischen | |
Community bekomme ich mit, dass die Menschen sich zurückziehen. Obwohl sie | |
20, 30 Jahre hier gelebt haben und voll integriert sind, denken sie jetzt: | |
„Okay, ich bin hier nicht mehr gewollt.“ | |
Habtezion: Deshalb ist es jetzt wichtig, Kräfte zu bündeln und sich zu | |
vergewissern: „Ich bin nicht alleine in dieser Scheiße.“ Deswegen richten | |
wir uns mit dem Kongress auch an Biodeutsche oder andere, die aktivistisch | |
oder interessiert sind oder gemeinsam Strategien suchen wollen, aus der | |
fatalistischen Stimmung zu kommen. | |
taz: Was hören sie von Geflüchteten, die nun in Gemeinden mit | |
AfD-Bürgermeistern leben, etwa dem sächsischen Pirna oder Raguhn-Jeßnitz | |
in Sachsen-Anhalt? | |
Habtezion: Sie tun alles, um da rauszukommen. Also wirklich alles. | |
El Saleh: Für die Gesellschaft dort ist das sehr schlecht, denn das sind ja | |
sowieso schon fast tote Orte. Aber als geflüchtete Person lässt es sich da | |
nicht aushalten. Menschen berichten uns, dass sie bespuckt werden oder der | |
Bus nicht für sie anhält. | |
31 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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