| # taz.de -- Refugee-Karawane „We'll Come United“: Die Isolation durchbrechen | |
| > Eine antirassistische Karawane ist eine Woche lang durch Asylunterkünfte | |
| > in Ostdeutschland gezogen. Für die Teilnehmenden war sie ein Erfolg. | |
| Bild: Am Ziel angelangt: Die Karavane auf einer ihrer letzten Kundgebungen vor … | |
| Berlin taz | „Shut Tegel down!“, ruft eine Sprecherin auf der Kundgebung | |
| vor [1][der Notunterkunft für Geflüchtete am ehemaligen Flughafen Tegel.] | |
| Hier ist alles grau: der Asphalt, die Betonbrücke, die den Blick zum | |
| ehemaligen Flughafengebäude versperrt, sogar der Himmel. Niemand kommt hier | |
| zufällig vorbei. Die betongraue Zufahrt ist eine angemessen trostlose | |
| Kulisse für diese bescheidene Kundgebung. | |
| Doch die rund 100 Anwesenden hören den Wort- und Musikbeiträgen aufmerksam | |
| zu, es gibt leckeres Essen gegen Spende, eine Frau verteilt Äpfel. Eine | |
| warmherzige, solidarische Stimmung ist spürbar, ein angenehmer Kontrast zum | |
| kalten Platz in Tegel. | |
| Die Kundgebung in Tegel ist die letzte Station der „Karawane für | |
| Bewegungsfreiheit“, die weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit vom | |
| 20. bis 27. September durch Ostdeutschland gezogen ist. | |
| ## Tour durch die Unterkünfte | |
| [2][„We’ll Come United“] hat die Karawane organisiert, ein Bündnis von | |
| Migrant*innen, Geflüchteten und Unterstützer*innen – zehn Jahre nach | |
| der großen Fluchtbewegung über die Balkanroute, die hier „Marsch der | |
| Hoffnung“ genannt wird. | |
| Das Bündnis fordert ein Bleiberecht für alle Geflüchteten, die Abschaffung | |
| der als rassistisch empfundenen Bezahlkarte, die Schließung aller Lager und | |
| angemessene Wohnmöglichkeiten sowie gleiche soziale und politische Rechte. | |
| Dutzende antirassistische Aktivist*innen haben verschiedene | |
| Geflüchtetenlager in Thüringen und Sachsen, in Brandenburg und Berlin | |
| besucht, Kundgebungen mit Geflüchteten durchgeführt, sich ausgetauscht und | |
| vernetzt. Die aus Somaliland stammende Journalistin Muna Abdi hat an der | |
| Karawane teilgenommen und von jeder Station [3][ein Tagebuch für die taz] | |
| geführt. | |
| Anders als etwa in Mühlhausen und Arnstadt sind auf der Kundgebung in Tegel | |
| nur wenige Geflüchtete aus „dem größten Lager in Deutschland“ anwesend. | |
| Lediglich ein Dutzend ukrainischer Kinder lässt sich schminken und von | |
| einem Luftballonkünstler bespaßen. | |
| ## Zurück zum O-Platz | |
| Die Kundgebung am Freitag ist die letzte Aktion der Karawane, die am | |
| Vorabend am symbolträchtigen Oranienplatz in Kreuzberg angelangt ist, der | |
| 2012/2013 anderthalb Jahre von Geflüchteten besetzt war. | |
| Nun haben dort lokale Unterstützer*innen vom 20. September bis zum 1. | |
| Oktober ein Protestcamp angemeldet. Anders als damals sind jetzt nur rund | |
| 30 kleine Zelte aufgebaut. Bei nasskaltem Herbstwetter findet am | |
| Freitagvormittag eine Pressekonferenz statt, allerdings ist kaum Presse da, | |
| dafür drängen sich viele Unterstützer*innen in dem Veranstaltungszelt. | |
| „Zehn Jahre nach dem Marsch der Hoffnung hat sich die Situation für | |
| Menschen auf der Flucht nur verschlechtert – mit rassistischen Gesetzen, | |
| Isolation in Lagern, Abschiebungen und der demütigenden Bezahlkarte“, | |
| beginnt Hassan Nugud, ein Sprecher der Karawane. „Eine Woche lang sind wir | |
| gemeinsam gereist, haben lokale Kämpfe miteinander verbunden und gezeigt, | |
| dass unsere Stimmen nicht zum Schweigen gebracht werden können.“ Diese | |
| Karawane sei ein Zeichen von Solidarität und Selbstorganisation. | |
| Neben Nugud sitzen Vertreter*innen von fünf weiteren Initiativen auf | |
| dem improvisierten Podium, unter anderem vom O-Platz-Kollektiv, Migrantifa | |
| Berlin sowie Samee Ullah vom Lieferando Workers Collective. Freiwillige | |
| übersetzen die Beiträge simultan in drei Sprachen. | |
| ## Wie ein Gefängnis | |
| Ullah arbeitet seit fünf Jahren bei Lieferando und ist seit einem Jahr | |
| Mitglied im Betriebsrat. [4][Er beklagt schlechte Arbeitsbedingungen und | |
| eine systematische Ausbeutung migrantischer Arbeiter*innen durch | |
| „falsche“ Subunternehmen]. „Wir wollen legale Arbeit“, fordert er. | |
| Die Migrantifa Berlin will „die verstärkten Repressionen“ gegen die | |
| Menschen in den Lagern nicht tatenlos hinnehmen, wie eine Sprecherin | |
| erklärt. „Diese Lager existieren, um den Menschen die gleichberechtigte | |
| Teilhabe an der Gesellschaft zu verwehren.“ | |
| Davon kann Evren berichten, der kurdische Aktivist von der Initiative Alan | |
| Kurdi war 2024 selbst vier Monate in der Notunterkunft in Tegel | |
| untergebracht. „Es gibt dort viele Verletzungen grundlegender | |
| Menschenrechte“, sagt Evren zur taz. Man könne dort keinen Besuch | |
| empfangen, nicht selbst kochen. | |
| „Es ist wie ein Gefängnis“, sagt Evren. Der Zugang zu medizinischer und | |
| psychologischer Versorgung sei stark eingeschränkt, außerdem gebe es | |
| sexuellen Missbrauch seitens der Wachleute. Ein kurdischer Mann habe sich | |
| dort das Leben genommen. Evren fordert die sofortige Schließung von Tegel. | |
| ## Von Abschiebung bedroht | |
| Tatsächlich hat sich die Lage dort inzwischen entspannt, Ende des Jahres | |
| soll die Notunterkunft geschlossen werden. An deren Stelle soll allerdings | |
| ein Aufnahmezentrum für Asylsuchende nach den neuen EU-Regeln zum | |
| Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) eingerichtet werden. | |
| Flüchtlingsorganisationen befürchten, dass Tegel dann [5][zum größten | |
| „Haftzentrum“ für Asylsuchende in Deutschland] wird. | |
| Auch eine Sprecherin auf der Kundgebung befürchtet, dass dieser | |
| „deprimierende“ Ort zu einem Abschiebelager umgewandelt wird. Die | |
| individuelle Geschichte spiele dann keine Rolle mehr: „Wer eine schlechte | |
| Bleibeperspektive hat, wird abgeschoben“. | |
| Rex Osa war selbst jahrelang von Abschiebung bedroht, heute engagiert er | |
| sich für andere Geflüchtete. Er hat ebenfalls an der Karawane teilgenommen | |
| und zieht ein positives Fazit: „Dass die Karawane stattgefunden hat, ist | |
| großartig und ein Aufruf an uns, aufzuwachen und uns als linke Bewegung zu | |
| vernetzen“, so Osa. | |
| „Unser größter Erfolg ist, dass der Protest von Geflüchteten und der Kampf | |
| von Migrant*innen sichtbar ist.“ Das sei eine Motivation, | |
| weiterzumachen. | |
| ## Langer Atem nötig | |
| „Es war viel Arbeit, aber es hat sich total gelohnt“, findet auch Dora, die | |
| seit über 30 Jahren in der Soliarbeit aktiv ist. Aber wie realistisch sind | |
| Forderungen nach der Schließung aller Lager, einem Abschiebestopp und einem | |
| Bleiberecht für alle, angesichts des wachsenden Drucks auf Geflüchtete | |
| seitens Behörden, Medien und Parteien? | |
| „Die Forderungen sind utopisch, und trotzdem würde ich sie immer | |
| aufrechterhalten, weil es sozusagen unser Ziel am Ende ist“, sagt Dora | |
| bestimmt. | |
| Am Samstag ist dann die „große Parade“: Immerhin gut 500 Leute scharen sich | |
| um fünf Lkws, auf denen Reden gehalten werden, Musik gespielt und live | |
| gerappt wird. Die Parade ist der Abschluss der Karawane, aber nicht das | |
| Ende des Protests. | |
| „Es ist ein permanenter Kampf und wir erreichen ja für manche Leute | |
| gemeinsam was“, sagt Aktivistin Dora. „Und wenn wir nicht kämpfen würden, | |
| würden wir gar nichts erreichen.“ | |
| 28 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Darius Ossami | |
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