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# taz.de -- Urteile zu Rechten von Geflüchteten: Frausein ist Asylgrund
> Die Maßnahmen der Taliban gegen afghanische Frauen sind laut EuGH als
> Verfolgung einzustufen. Der EGMR verurteilt Menschenrechtsverletzungen
> auf Samos.
Bild: In Afghanistan ist das Tragen einer Burka in der Öffentlichkeit für Fra…
Berlin taz | In mehreren Entscheidungen haben der Europäische Gerichtshof
(EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Rechte
von Geflüchteten gestärkt. Der EuGH entschied am Freitag, dass die
diskriminierenden Maßnahmen des Taliban-Regimes gegen Frauen in Afghanistan
allgemein als Verfolgung einzustufen sind.
Zwei Frauen mit afghanischer Staatsangehörigkeit hatten in Österreich gegen
die [1][Ablehnung ihres Asylantrags] geklagt. Sie machten geltend, dass die
Situation der Frauen unter dem Taliban-Regime in Afghanistan sei 2021 für
die Anerkennung ausreichend sei.
Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte die Klage an den EuGH
weiter gereicht. Der schloss sich der Auffassung der Frauen nun an. Die
[2][Herrschaft der Taliban] habe „schwerwiegende Auswirkungen auf die
Grundrechte von Frauen“. Unter anderem betreffe dies die
Zwangsverheiratung, die „einer Form der Sklaverei gleichzustellen“ sei
sowie den fehlenden Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher
Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellen,
so die Richter.
Ähnliches gelte für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie des
Rechts auf Erwerbstätigkeit. In ihrer Gesamtheit und ihrer „bewussten und
systematischen Anwendung“ führe die Taliban-Herrshaft dazu, dass „in
flagranter Weise die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte
vorenthalten werden,“ so die Richter. Es müsse deshalb nicht im Einzelnen
festgestellt werden, dass einer Asyl-Antragstellerin bei einer Rückkehr
nach Afghanistan spezifisch Verfolgungshandlungen drohen. Es genüge, ihre
Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht zu berücksichtigen.
## Urteil zu Menschenrechtsverletzungen auf Samos
Bereits am Donnerstag hatte der EGMR in zwei Urteilen über Beschwerden von
sieben Geflüchteten entschieden, die 2019 und 2020 als Minderjährige im
Alter zwischen 14 und 17 Jahren in einem mittlerweile geschlossenen
Internierungslager auf der griechischen Ägäis-Insel Samos untergebracht
waren.
Das Gericht stellte nun fest, dass sie dort einer „unmenschlichen und
erniedrigenden Behandlung“ sowie Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt
waren. Eine der Kläger:innen war zu jener Zeit schwanger, sie gebar im
Lager ein Kind. Den aus Kongo, Syrien, Kamerun, Afghanistan und Irak
stammenden Geflüchteten wurden für die Zeit von sechs bis 10 Monaten im
Lager Entschädigungen von insgesamt 41.500 Euro zugesprochen.
Damals lebten laut einer Mitteilung der NGO I Have Rights, die einen Teil
der Fälle vor Gericht gebracht hatte, über 7.000 Menschen in behelfsmäßigen
Unterkünften rund um das Lager, das offiziell nur für 648 Personen
ausgelegt war. Die Lebensbedingungen waren dort, ähnlich wie in den Lagern
auf den übrigen Ägäis-Inseln, katastrophal. Zudem brachen mehrfach Brände
aus, die Teile des Lager zerstörten.
## Blaupause für Grenzverfahren an allen EU-Außengrenzen
Der Anwalt Philipp Schönberger nannte es bemerkenswert, dass der EGMR in
seinem Urteil vom Donnerstag feststellt, dass die Bedingungen in dem Lager
mit den „Konventionsstandards für jede Person unvereinbar sind, geschweige
denn für extrem gefährdete Minderjährige. Der Gerichtshof hat damit
erstmals ausdrücklich anerkannt, dass die Lebensbedingungen in dem Hotspot
auf Samos unabhängig von eventuellen Vulnerabilitäten eine unmenschliche
und erniedrigende Behandlung darstellten“, sagt Schönberger.
Bislang sei der Gerichtshof stets darauf bedacht gewesen, die besonderen
Vulnerabilitäten der Antragsteller:innen zu berücksichtigen. „Nach
diesem Urteil ist klar: Die Lebensbedingungen im Hotspot auf Samos waren
für die vielen tausend Menschen, die in den Jahren 2019-2021 dort
unterkamen, eine schwere Menschenrechtsverletzung.“
Schönberger verweist darauf, dass die Situation sich nicht wesentlich
geändert habe. Zwar sei das fragliche Lager in dem Ort Vathy auf Samos 2021
aufgelöst worden. Dann aber habe das von der EU finanzierte Closed
Controlled Access Center (CCAC) auf Samos eröffnet, in dem „die Menschen
dort immer noch unter erbärmlichen Bedingungen festgehalten werden“.
Der EGMR habe in früheren Entscheidungen implizit anerkannt, dass auch in
dem neuen Lager Menschen „dem Risiko irreparabler Schäden für ihr Leben und
ihr Wohlergehen ausgesetzt sind“, so Schönberger. „Im Rahmen des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) werden die Hotspots der Ägäis
als Blaupause für [3][Grenzverfahren an allen EU-Außengrenzen] dienen, die
wahrscheinlich zu ähnlichen Menschenrechtsverletzungen führen werden.“
5 Oct 2024
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## AUTOREN
Christian Jakob
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