| # taz.de -- Finanzierung von Hilfseinrichtungen: Schutz im Frauenhaus auf eigen… | |
| > Viele Betroffene müssen für den Aufenthalt in einer Schutzeinrichtung | |
| > selbst aufkommen. Die Folge: enorme zusätzliche Hürden für die | |
| > Schutzsuchenden. | |
| Bild: Manche Frauen müssen hier für ihre Unterkunft zahlen: Frauenhaus in Han… | |
| Hamburg taz | Die beiden Mitarbeiter*innen einer Frauenberatungsstelle | |
| im niedersächsischen Holzminden kennen das Problem mit den Kosten: Eine | |
| Frau erzählte ihnen vor kurzem in der Beratung, dass sie sich den | |
| Frauenhausaufenthalt nicht leisten könne. „Es musste dann erst mal eine | |
| bezahlbare Alternative mit genügend Kapazitäten gefunden werden, das ist | |
| nicht leicht“, sagt eine der beiden Berater*innen, die anonym bleiben | |
| wollen. | |
| Bundesweit sind nur elf Prozent der Frauenschutzeinrichtungen für | |
| Betroffene kostenfrei. Das geht aus dem am gestrigen Dienstag | |
| veröffentlichen Monitor „Gewalt gegen Frauen“ der Berichterstattungsstelle | |
| geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte | |
| hervor. In den meisten Einrichtungen werden die Unterbringungskosten nur | |
| unter bestimmten Bedingungen übernommen. Laut [1][einer Studie des | |
| Frauenhauskoordinationsnetzwerkes] musste jede vierte Frau in Deutschland | |
| 2023 ihren Aufenthalt im Frauenhaus zumindest anteilig selbst zahlen. So | |
| auch in Niedersachsen. | |
| Stefanie Jäkel vom niedersächsischen Sozialverband sagt, das Problem | |
| betrifft vor allem Frauen, die finanziell nicht eigenständig sind, aber | |
| keine Sozialleistungen erhalten. [2][Zahlen müssen also zum Beispiel | |
| Student*innen, Rentner*innen, Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus, | |
| EU-Bürger*innen, die noch keine fünf Jahre in Deutschland leben und | |
| Erwerbstätige.] | |
| Mit teils gravierenden Folgen: So hat die Studie der | |
| Frauenhauskoordinierungsnetzwerk auch ergeben, [3][dass selbst zahlende | |
| Frauen häufiger zur misshandelnden Person zurückgingen, als jene, bei denen | |
| die Finanzierung für die Unterbringung sichergestellt war.] Der | |
| niedersächsische Sozialverband fordert vom Land deshalb ein einheitliches | |
| Finanzierungskonzept, welches sicherstellt, dass Schutzsuchende kostenfrei | |
| Hilfe erhalten. | |
| Eine Regelung auf Bundesebene fehlt bisher. [4][Im Bundeskabinett wurde | |
| zwar am vergangenen Mittwoch das Gewalthilfegesetz beschlossen], welches | |
| ein Recht auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer Gewalt sowie | |
| den finanziellen Rahmen für ein verlässliches Hilfesystem schaffen soll. | |
| Doch [5][der Deutsche Juristinnen Bund kritisiert], dass der Rechtsanspruch | |
| erst ab 2030 gelten soll. „Bis dahin können wir gar nicht warten“, sagen | |
| die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle in Holzminden. [6][Ohnehin | |
| ist nach dem Bruch der Ampel unklar, ob sich die nötige parlamentarische | |
| Mehrheit für die Verabschiedung des Gesetzes überhaupt noch findet.] | |
| ## Zusätzliche Hürden für die Betroffenen | |
| In Niedersachsen lag der durchschnittliche Tagessatz, den Betroffene im | |
| Frauenhaus im Jahr 2023 pro Kopf zahlen mussten, bei 18 Euro. Die | |
| Tagessätze variieren allerdings von Kommune zu Kommune, von Haus zu Haus | |
| zwischen zehn und 160 Euro pro Tag und Kopf, sagt Jäkel. Grund für die | |
| unterschiedlichen Sätze ist die uneinheitliche Finanzierung der | |
| Frauenhäuser in Niedersachsen. Und damit steht das Land nicht alleine dar. | |
| Nur wenige Bundesländer haben Regelungen, die jegliche Kostenbeteiligung | |
| der Schutzsuchenden ausschließen. | |
| Die einzelfallorientierte Tagessatzfinanzierung verhindert einen | |
| niedrigschwelligen Zugang zum Hilfsangebot für Gewaltbetroffene. „Auch bei | |
| 10 Euro pro Tag stehen bald horrende Summen im Raum, vor allem, wenn Kinder | |
| mit einziehen“, sagt Jäkel. Die Leiterin eines Frauenhauses in Hannover, | |
| die auch anonym bleiben will, sagt, es sei ein „Unding, dass eine Frau, die | |
| sich vor ihrem Partner in Sicherheit bringen muss, selbst bezahlt. Ich | |
| wende mich mit jeder Faser meines Herzens dagegen. Egal ob 1 oder 100 Euro | |
| pro Tag, das ist unerträglich.“ | |
| Doch selbst wenn ein Finanzierungsanspruch besteht, bedeutet die | |
| Tagessatzfinanzierung eine zusätzliche bürokratische Hürde. „Die erste | |
| Frage an eine Schutzsuchende muss dann lauten: In welcher | |
| Einkommenslebenssituation befinden Sie sich?“, sagt Jäkel. „Obwohl die | |
| erste und einzig wichtige Frage lauten sollte: Wie können wir sie | |
| bestmöglich schützen?“ | |
| In der Regel gehen die Frauenhäuser bis zur Klärung der Finanzierung in | |
| Vorleistung. „Manche Frauenhäuser haben deshalb bis zu 30.000 Euro offene | |
| Rechnungen“, berichtet Sylvia Haller, Vertreterin von der Zentralen | |
| Informationsstelle Autonome Frauenhäuser.„Für Mitarbeiter*innen ist es | |
| schrecklich, jemanden abweisen zu müssen, aber tun sie das nicht, bleibt | |
| das Frauenhaus oft selbst auf den Kosten sitzen.“ | |
| Das kann auch passieren, wenn jemand an einem anderen Ort untergebracht | |
| werden muss. „Gerade wenn eine weitere Entfernung zur gewalttätigen Person | |
| bestehen muss, dann wäre es schön, wenn innerhalb Niedersachsens, aber auch | |
| in Bayern, die gleichen Finanzierungsregelungen bestehen“, sagt eine der | |
| Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle in Holzminden. | |
| „Ich finde es schlimm, wenn eine Frau Schutz sucht und wir keine Antworten | |
| haben, weil wir nicht wissen wie viel sie in einem anderen Bundesland oder | |
| einer andern Kommune bezahlen muss. Das verunsichert total. Ich hatte | |
| Frauen, die sich deshalb gegen ein Frauenhaus entschieden haben.“ Probleme | |
| ergeben sich auch, wenn die Kommune, in die die Schutzsuchende vermittelt | |
| wurde, von der Herkunftskommune das Geld verlangt, in dieser aber andere | |
| Regelungen gelten. Ein bürokratischer Kraftakt. | |
| „Das ist eine Verantwortungsverkehrung“, sagt Mira Lambertz vom Frauenhaus | |
| Lüneburg. „Die Menschen in Beratungsstellen und Frauenhäusern versuchen, | |
| die Istanbul-Konvention umzusetzen, während die Verantwortlichen | |
| zuschauen.“ Sie wünscht sich, dass unabhängig von parteipolitischen Kalkül | |
| an die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder gedacht wird. | |
| „Die Problematik wird individualisiert, obwohl es sich um ein strukturelles | |
| Problem handelt“, sagt Haller von der Zentrale Informationsstelle Autonome | |
| Frauenhäuser und kritisiert deswegen den im Gewalthilfegesetz geplanten | |
| Rechtsanspruch.„Frauen, die akut Gewalt erleben, müssen dann wieder erst | |
| einen einzelfallabhängigen Anspruch geltend machen“, so Haller. | |
| ## Es besteht Handlungsbedarf | |
| „Minimaler Wunsch wäre, dass wir gute Länderregelungen haben, großes Ziel | |
| ist eine bundeseinheitliche Lösung.„Die Leiterin eines Frauenhaus in | |
| Hannover ist auch für eine einheitliche Lösung, hat aber Bedenken: „Sollte | |
| das Land die Finanzierung erhöhen, darf das nicht dazu führen, dass die | |
| Kommune ihre Finanzierung um eben diesen Betrag kürzt.“ Außerdem dürfe die | |
| Politik sich nicht bloß an Mindestanforderungen orientieren und dürfe die | |
| Bedürfnisse der Einrichtungen nicht außer Acht lassen. | |
| „Grundsätzlich obliegt die Finanzierung der Frauenhäuser der örtlichen | |
| Daseinsvorsorge der Landkreise und Kommunen“, teilt das niedersächsische | |
| Sozialministerium auf taz-Nachfrage mit. Nach der Möglichkeit einer | |
| landesrechtlichen Regelung gefragt, heißt es: „Nur über eine | |
| bundesgesetzliche Regelung kann der gleichwertige Zugang zum Hilfesystem | |
| endlich bundesweit verbindlich geregelt werden.“ Niedersachsen will auf die | |
| bundesgesetzliche Regelung, also das Gewalthilfegesetz, warten und es bis | |
| dahin beim Flickenteppich belassen. | |
| Thüringen zeigt gerade, dass es auch anders geht: Zum Jahreswechsel tritt | |
| dort ein Gesetz in Kraft, welches kostenfreien Schutz für Betroffene | |
| sicherstellen soll. Es bestehe einfach Handlungsbedarf, teilt das | |
| zuständige Sozialministerium auf Nachfrage mit: „Trotz des | |
| Kabinettsbeschlusses ist noch keineswegs gesichert, dass sowohl der | |
| Bundestag als auch der Bundesrat dem Gewalthilfegesetz zustimmen werden.“ | |
| Das Handlungsbedarf besteht zeigen auch aktuelle Zahlen des | |
| Bundeskriminalamtes, die [7][2023 einen Anstieg von zur Anzeige gebrachter | |
| häuslicher Gewalt um 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr] belegen. In | |
| Niedersachsen ist der Anstieg laut Zahlen der Landespolizei sogar noch | |
| höher. | |
| „Ich mache den Job schon 33 Jahre, wir waren schonmal weiter. Wir erleben | |
| gerade einen heftigen Backlash“, sagt die Leiterin eines Frauenhauses in | |
| Hannover. Die Zahl der Betroffenen steige. Schutzräume und Beratungsstellen | |
| fehlten. Die Kosten für die Betroffenen seien eines von vielen dringenden | |
| Problemen, die einer schnellen Lösung durch die Verantwortlichen bedürfen, | |
| sagt sie. | |
| „Das Land schläft den Schlaf der Gerechten. Bund, Land, Landkreis und | |
| Kommune schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu“, sagt Stefanie | |
| Jäkel vom niedersächsischen Sozialverband. „Ausbaden müssen das am Ende die | |
| Frauen und Frauenhausmitarbeiter*innen, die versuchen Lösungen zu | |
| finden, um jeder Frau helfen zu können.“ | |
| Niedersachsens Nachbarbundesländer gehen schon länger einen anderen Weg. In | |
| Bremen und Hamburg ist die einzelfallabhängige Finanzierung Geschichte. | |
| Aber auch ein Flächenland wie Schleswig- Holstein stellt mit dem | |
| Finanzierungsausgleichsgesetz bereits eine einzelfallunabhängige | |
| Kostenübernahme für den Platz im Frauenhaus sicher – seit 1996. | |
| Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter der Nummer 116 016 rund um | |
| die Uhr erreichbar. | |
| 4 Dec 2024 | |
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| [4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/gesetzesvorhaben/gew… | |
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| [6] /Gewalthilfegesetz-im-Kabinett/!6048402 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Dürr | |
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