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# taz.de -- Arbeitskampf für mehr Freizeit: Fette Feiertage
> Vor hundert Jahren glaubte man, dass wir heute nur 15 Stunden pro Woche
> arbeiten. Das war wohl nichts. Wir sollten wenigstens mehr Feiertage
> wagen.
Bild: Deutschland, 1930: Gruppenbild mit Bauarbeitern
Das Fest steht vor der Tür. Und damit für viele auch wohlverdiente
Feiertage. Zum Glück fallen die Weihnachtstage nicht auf das Wochenende,
denken sich die Arbeitnehmer, während sich die Arbeitgeber ärgern. Des
einen Freizeit ist des anderen Geschäftsverlust. Ein alter Streit: Können
wir uns nicht mehr Feiertage leisten?
Der Wirtschaftsforscher Christoph Schröder vom Institut der deutschen
Wirtschaft hat errechnet: Ein Feiertag kostet Deutschland grob 3,5
Milliarden Euro, also nur ein Tausendstel der jährlichen
Wirtschaftsleistung. Weil ausgefallene Arbeit und Einkäufe zum großen Teil
nachgeholt werden. Wer gerade einkaufen geht, merkt: Die Tage vor und nach
Weihnachten sind im Einzelhandel die umsatzstärksten. Sind die Feiertage
also gar kein großes Problem?
Das sollte man nicht die Arbeitgeber fragen und schon gar nicht ihren
Verbandssprecher. Weil die Wirtschaft kriselt, erklärte
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zum diesjährigen Tag der Arbeit etwa:
„Wir brauchen mehr und nicht weniger Arbeit in Deutschland.“ In diese Kerbe
schlagen auch Union und FDP. Sie wollen Beschäftigte mit
Steuererleichterungen zu [1][Überstunden] und späteren Renteneintritten
bringen.
Dazu kommt: Deutschland altert. Bis 2036 werden 19,5 Millionen Boomer aus
dem Arbeitsmarkt ausscheiden, aber nur 12,5 Millionen neue Arbeitskräfte
eintreten. Macht eine Lücke von 7 Millionen Beschäftigten. Mehr Feiertage
würden diese Lücke vergrößern, stimmt.
Es braucht also Vorschläge, die die Lücke verkleinern. [2][Zuwanderung von
Fachkräften zum Beispiel]. Bessere Integration von Geflüchteten. Mehr
Kitas, Ganztagsgrundschulen und [3][bezahlbare Pflegeplätze], um
diejenigen, die sich um das Kind oder die Oma kümmern, wieder in den
Arbeitsmarkt zu holen. Und natürlich Produktivitätszuwächse, also
Investitionen in Infrastruktur, in Forschung, in Digitalisierung, in
künstliche Intelligenz.
All das erfordert Geld. Mehr Geld. Im Weg steht: die Schuldenbremse. Und
klamme Kassen in den Kommunen, in denen – das unterschätzen viele – 40
Prozent aller öffentlichen Investitionen getätigt werden. Seit 30 Jahren
dümpeln die öffentlichen Nettoinvestitionen in Deutschland um den
Nullpunkt. Seit 20 Jahren sind sie in den Kommunen sogar negativ, dort
verliert die Infrastruktur also an Wert. Seit 10 Jahren stagniert die
Produktivität. Genau die ist aber der Schlüssel zu Wohlstand – und mehr
Freizeit.
Vor knapp einhundert Jahren, 1930, prognostizierte der britische Ökonom
John Maynard Keynes, dass wir im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden in der Woche
arbeiten müssten, um gut zu leben. Er ging davon aus, dass die
Produktivität bis dahin so weit gestiegen sein würde, dass mehr Freizeit
ohne Verzicht auf einen hohen Lebensstandard möglich sein würde. Heute
wissen wir, dass Keynes irrte. Allerdings nicht mit den Zuwächsen an
Produktivität, die waren enorm, vor allem zwischen 1950 und 1980. Und siehe
da: Damals fiel auch die Arbeitszeit immer weiter. Doch Keynes
unterschätzte den steigenden Lebensstandard – und dass die Früchte der
Arbeit immer ungleicher verteilt werden.
Auf dem Weg zur 15-Stunden-Woche sind mehr Feiertage ein erster Schritt.
Machbar wird das durch mehr Produktivität und Umverteilung. Also ran an die
Schuldenbremse, das Steuersystem und die Löhne!
Eine gute Nachricht zum Schluss: 2025 muss bundesweit weniger gearbeitet
werden, weil die Feiertage selten auf Wochenenden fallen.
22 Dec 2024
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## AUTOREN
Maurice Höfgen
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