# taz.de -- Wahlprogramm von CDU und CSU: Der Zeitgeist als Wählerklient | |
> Der Rückschritt im Unions-Wahlprogramm schreit einen geradezu an. | |
> Trotzdem wollen es viele Menschen offenbar genau so. | |
Bild: Friedrich Merz und Markus Söder bei der Vorstellung des gemeinsamen Wahl… | |
Beginnen wir mit dem Positiven: Die Zeiten, in denen die Parteien der Mitte | |
kaum unterscheidbar waren, sind vorbei. In dieser Ähnlichkeit und der | |
daraus entstandenen Lücke auf der rechten Seite des Parteienspektrums lag | |
ja einer der Gründe für den Aufstieg der AfD. Laut den Wahlprogrammen, die | |
in dieser Woche vorgestellt wurden, ist damit Schluss. [1][Die SPD rückt in | |
ihrem Kurs wieder ein bisschen nach links], die Union stellt sich deutlich | |
konservativer und wirtschaftsliberaler auf als bei den Bundestagswahlen | |
zuvor. | |
Es gibt also klare Alternativen: Auf der linken Seite wollen SPD, Grüne und | |
die Linkspartei – grob gesagt – Schulden machen, um in Zeiten knapper | |
Kassen in die Infrastruktur zu investieren, um Wirtschaft und Gesellschaft | |
klimaneutral zu gestalten und dabei das Soziale nicht zu vergessen. Und | |
auf der anderen Seite setzen Union und FDP auf die Schuldenbremse und | |
wollen unter anderem mit Steuersenkungen, von denen vor allem Unternehmen | |
und Besserverdienende profitieren würden, sowie Kürzungen beim Bürgergeld | |
und den Geflüchteten die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Weil | |
Wirtschaftswachstum die Grundlage für alles sei, wird diesem alles | |
untergeordnet. Wie die Union das Ganze bezahlen will, bleibt allerdings | |
unklar. Ökonomen haben eine Finanzierungslücke von bis zu 100 Milliarden | |
Euro ausgemacht. | |
Nun kann man sagen: Die CDU ist keine Programmpartei, in der Vergangenheit | |
hat sie sich oft herzlich wenig um das geschert, was sie zuvor schriftlich | |
auf vielen Seiten ausgearbeitet hat, wenn es dann um die Macht ging. | |
[2][Aber dieses Wahlprogramm der Union] sollte man ernst nehmen. Der | |
Rückschritt darin schreit einen geradezu an, 79 Seiten lang. | |
CDU und CSU wollen nicht nur die Fortschritte der Ampelregierung wie | |
erleichterte Einbürgerungen, das Selbstbestimmungsgesetz und die | |
Teillegalisierung von Cannabis rückabwickeln sowie das Bürgergeld und das | |
Heizungsgesetz wieder abschaffen. Sie wollen auch gleich noch die | |
Merkel-CDU hinter sich lassen. „Das ist nicht mehr die Groko-Union“, tönte | |
CSU-Chef Markus Söder bei der Vorstellung des Programms. Mit neuen Leuten | |
wolle man künftig „eine sehr konservative Law-and-Order-Politik“ umsetzen. | |
## Das Bild des „faulen Arbeitslosen“ zieht wieder | |
Besonders deutlich wird das beim Thema Migration: Zurückweisungen an den | |
deutschen Grenzen verspricht die Union nun, darüber hatten sich CDU und CSU | |
dereinst unter Merkel fast zerlegt; die Ex-Kanzlerin hielt sie für | |
rechtlich unzulässig und gefährlich für den Zusammenhalt der EU. Hinzu | |
kommen: die Abschaffung des subsidiären Schutzes und Asylverfahren in | |
sichereren Drittstaaten außerhalb der EU, wo Geflüchtete auch nach ihrer | |
Anerkennung bleiben sollen. Selbst von Kontingenten, die man aufnehmen | |
will, ist nicht mehr die Rede. Das alles wäre, wenn man überhaupt ein | |
Aufnahmeland finden würde, nicht nur humanitär fragwürdig und sehr teuer, | |
es ist auch mehr als unklar, ob das rechtlich überhaupt zulässig ist. | |
Letzteres trifft übrigens auch auf die hohen Einsparmöglichkeiten beim | |
Bürgergeld zu, die die Union verspricht. Aber nachdem CDU und CSU das | |
Bürgergeld, das sie einst mit beschlossen haben, mit ihren zahlreichen | |
Attacken in Verruf gebracht haben, lässt sich mit dem alten Bild vom | |
„[3][faulen Arbeitslosen“], dem man einheizen will, eben wunderbar | |
Wahlkampf machen. Was im Übrigen auch für jenes vom „kriminellen Ausländer… | |
gilt. | |
Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 war eine Analyse in der | |
CDU-Zentrale: Die Niederlage habe auch damit zu tun, dass die CDU als | |
Partei der sozialen Kälte wahrgenommen worden sei. Davon ist heute keine | |
Rede mehr. Und das vielleicht aus gutem Grund: Der Zeitgeist hat sich nach | |
rechts verschoben, und die Wirtschaftskrise samt Inflation und der Sorge um | |
die Arbeitsplätze im Land überlagern vieles. Möglicherweise wünschen sich | |
viele Menschen genau die Politik, die die Union mit Kanzlerkandidat | |
Friedrich Merz verspricht. In den neusten Umfragen sind CDU und CSU | |
jedenfalls wieder angestiegen. | |
Natürlich ist noch nichts entschieden, bis zur Bundestagswahl sind es noch | |
zwei Monate. Da kann Merz noch viele Fehler machen, Söder zahlreiche | |
Spaltpilze in die Union treiben. Und natürlich wird diese, sollte sie | |
tatsächlich stärkste Kraft werden, einen Koalitionspartner brauchen. Merz’ | |
Lieblingsoption ist dabei eine Ausgangslage wie im vergangenen Jahr in | |
Hessen: Dort wollten sowohl SPD als auch Grüne unbedingt mitregieren, die | |
CDU konnte die Preise dafür extrem hochtreiben. Im Bund wird es dann darauf | |
ankommen, wie klein sich die potenziellen Partner machen – und wie viel | |
Rückschritt mitzutragen sie bereit sind. | |
20 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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