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# taz.de -- Romane und Essays von Yukio Mishima: Todessehnsucht am Morgen
> Neuübersetzung von Yukio Mishima: Warum findet die neue Rechte Gefallen
> an dem exzentrischem japanischen Autor, der als homosexuell galt?
Bild: Trat ein für die Einheit zwischen Körper und Geist, zwischen Feder und …
Berlin taz | Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er leidet, wenn er stirbt –
zumindest, wenn es nach Yukio Mishima geht. Im Werk des 1970 durch
rituellen Selbstmord aus dem Leben geschiedenen japanischen Schriftsteller
kommt dem Tod eine große Rolle zu. Lustig, wie in „Leben zu verkaufen“,
geht es dabei selten zu: Hier will ein Mann partout nicht sterben, obwohl
er sich alle Mühe gibt und sein Leben in die Hände von Kriminellen und
Vampiren legt.
Im nun neu übersetzten Roman „Der Held der See“ (veröffentlicht beim
Schweizer Verlag Kein & Aber) fließt weniger Blut, doch Mishima geizt nicht
mit Grausamkeit. Denn der 13-jährige Noboru ist stolz auf sein hartes Herz.
Er hat feste Vorstellungen von Ruhm und Ehre, der Ästhetik von richtig und
falsch, und ist Teil einer Freundesgruppe, die sich „in Gefühllosigkeit
übt“. Regelmäßig treffen sie sich, um sich der Sinnlosigkeit des Lebens
mittels grausiger Mutproben wie dem Töten eines Kätzchens zu versichern.
Ihre Glaubenslehre entstammt einsamen Kinderköpfen, das macht Mishima
deutlich.
Doch sie ist denen der Erwachsenen anverwandt. Denn Ryuji, der ernste
Seemann, träumt ebenfalls von einem ruhmreichen Tod. Und eigentlich, so
glaubt er immer noch, wird sich eines Tages „eine lichtgesäumte Wolke
herabsenken, und die volltönende Stimme des Ruhmes wird aus der Ferne laut
meinen Namen rufen“. Doch das Leben auf See ist eintönig, und schließlich
lernt Ryuji Noborus Mutter kennen. Als er ihr zuliebe fortan an Land lebt,
hat er sich in Noborus Augen in tiefe Schande begeben und verdient den Tod.
## Einblicke in die männliche Psyche
So weit, so Coming of Age. Doch Ryuji legt die Ideale, die ihn mit Noboru
verbinden, nicht gänzlich ab: „Wie berauscht träumte Ryuji von einem
erhabenen, heldenhaften und beispiellosen Tod vor aller Augen“. Ob das
einen Tod durch sechs jugendliche Messerstecher einschließen würde, bleibt
ungewiss.
Was Yukio Mishima in seinen Romanen gewährt, sind Einblicke in die Psyche.
Es muss einem nicht gefallen, worauf da der Blick gelenkt wird, auf jenes
Zusammenspiel zwischen Ästhetizismus und der Faszination für das Böse, die
bei Mishima regelmäßig in einem starken Todeswunsch gipfeln. Doch es sind
ehrliche, authentische Einblicke, die zudem durchaus in poetische Sprache
gekleidet sind.
Mishimas Biografie weist einige Brüche auf. Dass er auch eine UFO-Phase
hatte und eine Erzählung über Aliens schrieb, gehört noch zu den weniger
seltsamen Episoden seines Lebens. Mishima, durch die Niederlage Japans im
Zweiten Weltkrieg politisiert, war Nationalist. Unzufrieden mit der
politischen Lage und der „Verwestlichung“ Japans, unternahm er 1970 mit
seiner Privatmiliz „Tatenokai“ einen Putschversuch, um den Kaiser wieder an
die Macht zu bringen. Als der kläglich scheiterte, beging Mishima
Selbstmord mit dem Schwert.
Mishimas rechtsnationale Gesellschaftskritik findet sich mehr noch als in
seinen Romanen in seinen essayistischen Texten. In „Verteidigung einer
Kultur“ betont er die Wichtigkeit des Kaisers in seiner gottähnlichen
Position, in der Zusammenführung von Volk und Staat. Er warnt vor der
Verwässerung der japanischen Kultur durch den Westen und spricht sich für
eine Aufrüstung der schändlich schwachen Armee aus.
## Mishima-Shirts im rechten Online-Shop
Nationalismus, Globalisierungskritik, Todessehnsucht – alles Themen, die
Anklang finden auch bei europäischen Rechtsextremen. Die entdecken denn
auch Mishima seit einiger Zeit wieder für sich. Im rechten Online-Shop
„Phalanx“ werden T-Shirts mit Mishima-Porträt angeboten und Poster, „die…
keinem neurechten Haushalt fehlen dürfen“. „You only die once“ steht
darauf, und in der Beschreibung: „Such dir gut aus wofür.“
Auch Martin Sellner, lange Zeit Sprecher der Identitären Bewegung
Österreichs, outete sich als Fan. „Mishima und Todessehnsucht am Morgen“,
postete er so einmal auf dem damals noch Twitter heißenden Portal X.
Im Nachwort zu „Der Held der See“ wird die wachsende Popularität Mishimas
unter Rechtsextremen immerhin angesprochen. Die Strategie bestehe darin,
rechtspopulistische Positionen mithilfe einer literarischen Ikone wie
Mishima salonfähig zu machen, schreibt die Übersetzerin Ursula Gräfe. Ein
Schicksal, das der Japaner mit Friedrich Nietzsche teile, der von einer
rechtspopulistischen Szene als „vermeintlicher“ ideologischer Vordenker
„instrumentalisiert“ werde.
Alles also nur ein Missverständnis? Mishima sprach sich für den Einklang
von Kunst und Tat aus, für die Harmonie zwischen Feder und Schwert, die
auch für [1][Ernst Jünger] so wichtig war.
## Mannwerdung durch Sport
In „Sonne und Stahl“, einem kruden, pathosgeladenen Buch, erzählt Mishima
von seiner Mannwerdung durch Sport. Dass er vor seinem exzessivem
Muskelaufbau selbst eher schmächtig war, vermutet man auch nach der Lektüre
seiner literarischen Texte. In den als semiautobiografisch geltenden
„Bekenntnissen einer Maske“ träumt der junge Kochan vom Sterben für eine
höhere Sache, protestiert jedoch nicht, als er aufgrund einer Krankheit aus
dem Militärdienst entlassen wird. Mishima wurde 1945 ebenfalls
irrtümlicherweise ausgemustert.
Kochan ist zerfressen von Selbsthass, der vor allem in seiner nicht
gelebten Homosexualität begründet liegt. Er entwickelt früh eine Obsession
für den Heiligen Sebastian, dessen Bildnis, halbnackt und von Pfeilen
durchbohrt, von vielen „Perversen“ verehrt wird, wie Mishima schreibt. Es
existieren ziemlich campy aussehende Aufnahmen von Mishima in der gleichen
Pose. Andere Fotos, die in Schwulenmagazinen abgedruckt wurden, zeigen den
nur mit einem Lendenschurz bekleideten Autor im Schnee.
Dass sich die neue Rechte für einen mehr oder weniger offen homosexuell
lebenden (Mishima war Ehemann und Vater) Autor begeistern kann, ist
einigermaßen überraschend. Martin Sellner versieht seine Tweets daher auch
vorsorglich mit dem Hashtag #nohomo. Doch die Rechte hat wohl auch
eingesehen, dass sie, wenn sie Massenbewegung sein will, offen sein muss
für brüchige Biografien. Rechtsextremes Gedankengut pulsiert längst nicht
nur durch soldatische Körper tumber Neonazis.
Wer sich im Internet radikalisiert, hat womöglich auch die ein oder andere
Abzweigung in Richtung der Incels genommen. Incels, das sind unfreiwillig
zölibatär lebende Männer, die Frauen die Schuld für ihr sexfreies Leben
geben. Wie Julia Ebner in ihrem Buch „Massenradikalisierung“ erklärt,
verbindet die Incels vor allem eins miteinander: die Selbstqual. Ebner hat
sich über Jahre undercover in einschlägigen Foren umgetan und beschreibt
die Mechanismen, mit denen sich junge Männer gegenseitig niedermachen und
ihren Hass auf Frauen und die Gesellschaft schüren. Nicht selten sind
krasse, gewaltvolle Vorstellungen von Sexualität damit verbunden.
## Trennung zwischen Autor und Werk?
Sexuell aufgeladene Gewaltfantasien gibt es auch bei Mishima. Im „Held der
See“ geraten die recht mystisch: „Ihre bereits dicht und kräftig
sprießenden Schamhaare, tief und fest in ihrer weißen Haut verwurzelt,
dienten dazu, bei dessen Vergewaltigung den jungfräulichen Sternenhimmel zu
kitzeln“. Zumindest weiß das der Anführer der Bande 13-jähriger Jungen.
Es ist ein Widerspruch, der im Kontext Mishimas nicht aufzulösen ist: In
seinen Romanen ist es meist klar, dass es die Figuren sind, die nicht in
ihre Umwelt, ihr Leben passen. Mishima selbst war wohl eher davon
überzeugt, dass es das Leben war, das ihm nicht passte.
Man muss trennen zwischen Autor und Werk – aber was, wenn der Autor selbst
auf diese Trennung gar keinen großen Wert zu legen scheint? Immerhin hat
Mishima nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch Aspekte seiner Zukunft
literarisch verarbeitet.
Zwar ist es in „Patriotismus“, einer Erzählung von 1961, ein Ehepaar, das
gemeinsam rituellen Selbstmord begeht, doch der Grund ist ein ähnlicher:
der Putschversuch japanischer Streitkräfte im Jahr 1936. Als 1970 keine
rebellischen Militärs in Sicht waren, putschte Mishima eben selbst. Nur das
Sterben geriet nicht ganz so leicht wie in der Literatur. Es brauchte
mehrere Anläufe, bis es Mishimas Gehilfen endlich schafften, ihm dem Kopf
vom Rumpf abzutrennen.
22 Dec 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Julia Hubernagel
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