| # taz.de -- EU-Abkommen mit Mercosur-Staaten: Von der Leyen kurz vor der Zielli… | |
| > Die EU-Chefin will in Uruguay das Freihandelsabkommen mit der | |
| > südamerikanischen Wirtschaftsorganisation abschließen – nach einem | |
| > Vierteljahrhundert. | |
| Bild: Schildbürgerstreik? Französische Landwirte formulieren ihre Gegnerschaf… | |
| Buenos Aires / Brüssel / Berlin taz | Für den scheidenden uruguayischen | |
| Präsidenten Luis Lacalle Pou ist es der außenpolitische Höhepunkt seiner | |
| Amtszeit. Unter seiner Präsidentschaft und in seiner Hauptstadt soll die | |
| [1][Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen dem Mercosur und der | |
| EU] verkündet werden. Seit Wochen war spekuliert worden, ob | |
| EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an dem alle sechs Monate | |
| stattfindenden Gipfeltreffen der Mercosur-Staaten teilnehmen wird oder | |
| nicht. Kommt sie nach Montevideo, dann wird das Abkommen unterzeichnet | |
| werden. Und sie ist gekommen. | |
| Dabei scheinen die letzten Details noch immer nicht zu Ende verhandelt zu | |
| sein. Etwa ob die Übergangsfrist für den Import von Elektroautos in den | |
| Mercosur wie bei Verbrennern für 17 Jahre oder 25 Jahre gelten soll. | |
| Kleinigkeiten angesichts der Tatsache, dass bei allen Regierungschefs der | |
| südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft erstmals eine grundlegende | |
| Zustimmung zu dem Abkommen besteht. Mit dem Amtsantritt des libertären | |
| Präsidenten Javier Milei wechselte Argentinien vom Brems- aufs Gaspedal. | |
| Carolina Pasquali, Geschäftsführerin von Greenpeace Brasilien, sieht die | |
| Pläne kritisch. „Es ist empörend, dass ein Abkommen mit so weitreichenden | |
| sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen für die Menschen in | |
| Südamerika hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der | |
| Öffentlichkeit ausgehandelt wurde“, sagt Pasquali. | |
| 395 Indigenen-, Bauern-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus | |
| Europa und Lateinamerika hatten kürzlich kritisiert, das Abkommen trage zu | |
| einer massiven Ausbreitung von Bergbauaktivitäten, Viehzucht sowie | |
| Zuckerrohr- und Soja-Monokulturen im Amazonas, Gran Chaco und Cerrado bei. | |
| Die Folgen wären verheerende Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen und | |
| Vertreibungen von Bäuerinnen und Bauern sowie indigenen Gemeinschaften. | |
| ## Keine Sanktionen bei Umweltverstößen | |
| „Das EU-Mercosur-Abkommen sieht die Abschaffung der Zollgebühren von über | |
| 90 Prozent der importierten chemischen Produkte aus der EU vor, darunter | |
| auch Pestizide, die in Europa verboten sind und die Menschen und Umwelt in | |
| den Ländern des Mercosur belasten“, so Maureen Santos von der | |
| brasilianischen Menschenrechts- und Umweltorganisation Fase. Aktivisten | |
| monieren auch, dass Verstöße gegen die Umweltvorschriften im | |
| Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens nicht sanktioniert werden könnten. | |
| Für den marktradikalen Javier Milei ist der Mercosur Türöffner und Fessel | |
| zugleich. Einerseits will er mit solchen Abkommen die Schutzbarrieren | |
| beseitigen, hinter denen sich seiner Meinung nach die argentinischen | |
| Industriellen seit Jahrzehnten verschanzt haben, während neue Exportmärkte | |
| für die hochtechnisierte Landwirtschaft verschlossen bleiben. Andererseits | |
| verhindern die Statuten des Mercosur einen Alleingang. Verhandlungen über | |
| Handelsabkommen müssen von den Mitgliedstaaten gemeinsam geführt werden. | |
| Unabhängig vom Abkommen mit der EU wird Milei in Montevideo auf eine | |
| Änderung der Statuten drängen. Zukünftig soll jeder Mercosur-Partner | |
| separat und nicht mehr als Block über Freihandelsabkommen mit anderen | |
| Ländern oder Blöcken verhandeln dürfen. Eigentlich nichts Neues. Seit | |
| Jahren scheitert Uruguay regelmäßig mit diesem Vorschlag, bisher vor allem | |
| an Argentinien. Und während Paraguays Präsident Santiago Peña bereits | |
| abgewunken hat, gibt sich [2][Brasiliens Präsident Lula da Silva] noch | |
| diplomatisch. „Der Mercosur ist nicht perfekt, aber er ist ein wichtiger | |
| Mechanismus für unsere Volkswirtschaften. Ich hoffe, dass Argentinien | |
| weiterhin ein konstruktiver Partner sein wird“, so Lula. | |
| Am Ende des Gipfels in Montevideo wird Milei turnusgemäß den Vorsitz der | |
| Wirtschaftsgemeinschaft übernehmen. Ob es in den nächsten sechs Monaten zu | |
| einem Kompromiss oder zu einem Bruch kommen wird, ist bei dem zumeist | |
| kompromisslosen Milei offen. | |
| ## Rechtsextreme Stimmen | |
| Denkbar wäre, dass der Mercosur mit anderen Staaten und Blöcken | |
| Rahmenabkommen abschließt, die es jedem Mercosur-Mitglied erlauben, weitere | |
| Öffnungen auszuhandeln. Dieses Modell wurde bereits in den Abkommen mit | |
| Kolumbien, Venezuela, Ecuador und Peru praktiziert. Stellt sich die Frage, | |
| ob dies zukünftig auch im Fall des Abkommens mit der EU gelten könnte. | |
| Die EU-Vertreter konnten spätestens vergangenen Mittwoch einen Eindruck | |
| bekommen, mit wem sie hier ein Abkommen schließen. Auf der rechtsextremen | |
| CPAC-Konferenz in Buenos Aires sagte der libertäre Präsident Javier Milei, | |
| „Es geht um Macht, und wenn wir sie nicht haben, werden die beschissenen | |
| Linken sie haben“, und bezog sich dabei auf den Wahlsieg von Donald Trump. | |
| „Es reicht nicht, nur gut zu wirtschaften und sich politisch zu | |
| organisieren, sondern es ist auch notwendig, dass wir den Kulturkampf | |
| führen.“ Es gelte, in den Universitäten, den Medien und der Kultur gegen | |
| die kriminellen Linken zu kämpfen. | |
| ## Die Show von der Leyen | |
| Das war aber sicher nicht der Grund, warum von der Leyens Reise zum | |
| Mercosur-Gipfel in Brüssel bis zuletzt geheim gehalten worden war. „Die | |
| technischen Gespräche gehen weiter“, hatte eine Sprecherin von | |
| Kommissions-präsidentin Ursula von der Leyen kurz vorher erklärt. Ob und | |
| wann von der Leyen nach Montevideo fliegen würde, wollte sie nicht | |
| verraten. | |
| Erst als die deutsche CDU-Politikerin im brasilianischen Sao Paulo gelandet | |
| war, legte sie ihre Pläne offen. „Touchdown in Latin America“, schrieb sie | |
| im Onlinedienst X. „Die Ziellinie des Mercosur-Abkommens ist in Sicht. Wir | |
| wollen sie überschreiten.“ | |
| Niemand anders sollte ihr dabei die Show stehlen, nicht einmal der neue | |
| EU-Handelskommissar durfte sich äußern. Dabei geht es um den wichtigsten | |
| Freihandelsdeal der letzten Jahre. „Wir haben die Möglichkeit, einen Markt | |
| mit 700 Millionen Menschen zu schaffen“, betont von der Leyen. | |
| ## Wer verliert? | |
| Nach Berechnungen der EU-Kommission würden sich für europäische Exporteure | |
| durch den Wegfall von Zöllen jährliche Einsparungen in Höhe von rund 4 | |
| Milliarden Euro ergeben. Zu den Gewinnern werden vor allem deutsche | |
| Autohersteller und die Chemieindustrie gezählt. | |
| Als Verlierer sehen sich die Landwirte, die billiges Rindfleisch aus | |
| Brasilien oder Argentinien fürchten. „Autos gegen Rindfleisch“. | |
| Die Landwirtschaft der Europäischen Union würde aber durch das | |
| Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten einer Prognose | |
| zufolge kaum leiden. Die EU produzierte nach Inkrafttreten der | |
| Zollsenkungen nur knapp 1 Prozent weniger Schweine- und Geflügelfleisch, | |
| hat eine [3][Modellrechnung des bundeseigenen | |
| Thünen-Agrarforschungsinstituts] bereits Ende 2020 gezeigt. Noch niedriger | |
| wäre demnach das Minus bei Rind- und Schaffleisch, Milchprodukten, Zucker, | |
| Getreide Obst und Gemüse sowie Bioethanol. Die Wissenschaftler kamen | |
| deshalb zu dem Schluss, „dass das Handelsabkommen zwischen der EU und den | |
| Ländern des Mercosur nicht zu einer ‚Überschwemmung‘ der Agrar- und | |
| Ernährungsmärkte in der EU führen wird“. | |
| Das liege daran, dass die Europäer ihre „sensible“ Agrarproduktion auch | |
| nach Inkrafttreten des Abkommens durch Zölle schützen dürfen. Auf Rind- und | |
| Schaffleisch etwa erhebt die EU derzeit eine Importsteuer in Höhe von im | |
| Schnitt 55 Prozent. Das Abkommen würde dem Mercosur erlauben, bis zu 99.000 | |
| Tonnen zu 7,5 Prozent Zoll in die Union zu verkaufen. Was über diese | |
| Importquote hinausgeht, muss zu den alten hohen Sätzen verzollt werden. | |
| Bezogen auf den Konsum und die Produktion in der EU würden die zusätzlichen | |
| Importe „sehr gering“ sein, so die Thünen-Forscher. | |
| Dennoch behauptet beispielsweise der Deutsche Bauernverband, dass wegen des | |
| Mercosur-Abkommens der „heimischen Erzeugung die Verdrängung durch | |
| Agrarimporte“ drohe. Die Einfuhren dürften „die immer höheren und | |
| kostenintensiveren EU-Standards im Verbraucher-, Umwelt, Klima- und | |
| Tierschutz nicht unterlaufen“. Deshalb müsse der Vertrag vorsehen, dass | |
| Agrarprodukte nur zollfrei gehandelt werden, wenn sie nach genauso strengen | |
| Regeln erzeugt werden wie in der EU. | |
| Diese Forderung dürfte aber schwierig durchzusetzen sein. Denn die | |
| Handelspartner argumentieren, sie selbst hätten gegenüber EU-Bauern einen | |
| massiven Wettbewerbsnachteil. Schließlich können etwa brasilianische | |
| Landwirte von Agrarsubventionen wie in der EU nur träumen: Die Europäer | |
| päppeln ihre Landwirtschaft mit 55 Milliarden Euro jährlich. | |
| Allerdings stellen sich inzwischen Frankreich, Belgien, Österreich und | |
| neuerdings auch Polen auf die Seite der Landwirte. In Frankreich und | |
| Belgien gehen schon die Bauern auf die Barrikaden, auch in Deutschland | |
| rumort es. Widerspruch kommt sogar aus dem Europaparlament. | |
| ## „Geheimabkommen“ | |
| Dort warnt die französische Abgeordnete Manon Aubry, Co-Vorsitzende der | |
| Linken-Fraktion, seit Tagen vor dem „Geheimabkommen“. Es sei hinter dem | |
| Rücken der Völker ausgehandelt worden, das EU-Parlament habe immer noch | |
| keinen Zugang zum Text des Abkommens: „ein Wahnsinn“. | |
| Bedenken hat auch Anna Cavazzini. Die handelspolitische Sprecherin der | |
| Grünen-Fraktion warnt vor einem „großen Fehler, wenn Ursula von der Leyen | |
| das EU-Mercosur-Abkommen gegen den Widerstand zahlreicher Mitgliedsstaaten | |
| durchsetzen sollte“. | |
| Das werde die Instabilität und die Europaskepsis in Ländern wie Frankreich | |
| und Polen nur weiter befeuern, so Cavazzini. Der Klimaschutz und der Schutz | |
| des Amazonas-Regenwaldes müsse eine zentrale Rolle in dem Abkommen spielen, | |
| dies wollen die Grünen überprüfen. | |
| Allerdings ist die Handelspolitik voll vergemeinschaftet; die EU-Kommission | |
| ist allein zuständig und kann im Alleingang handeln. Genau das versucht | |
| von der Leyen. Dass sie dabei die Regierungskrise in Paris nutzt, um | |
| Präsident Emmanuel Macron zu übergehen, könnte sich allerdings noch | |
| rächen. | |
| Macron versucht bereits, eine sogenannte Sperrminorität im Ministerrat zu | |
| organisieren. Dafür wären vier Mitgliedsländer nötig, die mindestens 35 | |
| Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Dies könnte Paris mit Hilfe von | |
| Italien, Polen und einem weiteren kleinen Land gelingen. | |
| Von der Leyens Coup wäre damit gescheitert. Am Wochenende wird sie zu | |
| Gesprächen in Paris erwartet. Auch wenn es offiziell nur um die | |
| Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame gehen soll – Mercosur dürfte im | |
| Mittelpunkt der Gespräche stehen. | |
| 6 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kritik-an-Vertrag/!6048531 | |
| [2] /Anschlagsplan-in-Brasilien/!6050949 | |
| [3] https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062195.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Vogt | |
| Eric Bonse | |
| Jost Maurin | |
| ## TAGS | |
| Mercosur | |
| EU-Kommission | |
| Ursula von der Leyen | |
| GNS | |
| Freihandel | |
| Uruguay | |
| Javier Milei | |
| Mercosur | |
| Mercosur | |
| Mercosur | |
| Mercosur | |
| Mercosur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach Abschluss des EU-Mercosur Abkommens: Linke misstrauen von der Leyen | |
| Die Linken im EU-Parlament wollen EU-Kommissionschefin von der Leyen wegen | |
| ihres Deals mit Mercosur stürzen. Sie planen einen Misstrauensantrag. | |
| Mercosur-Abkommen unterzeichnet: Freihandel zwischen EU und vier lateinamerikan… | |
| In Uruguay ist das Mercosur-Abkommen unterzeichnet worden. Auch nach 20 | |
| Jahren Verhandlungen bleibt es hoch umstritten. Details zu Klimaschutz sind | |
| noch geheim. | |
| Kritik an Vertrag: Zerren um EU-Handelsabkommen Mercosur | |
| Frankreich, Polen, Argentinien, Bauern und Umweltorganisationen: Sie alle | |
| eint Kritik am Handelsvertrag mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. | |
| Neue Freihandelspläne mit Mercosur: Bauern gegen Autoindustrie | |
| Erneut demonstrieren französische Landwirte, um den Handelsvertrag mit | |
| südamerikanischen Staaten zu stoppen, der im Dezember kommen könnte. Doch | |
| die Autoindustrie will den Deal. | |
| Mercosur-Verhandlungen in Paraguay: Milei bleibt Mercosur fern | |
| Argentiniens Präsident fehlt beim Treffen der Mercosur-Staaten. Stattdessen | |
| schickt er seine Außenministerin, die zu viel „Regulierung“ beklagt. |