| # taz.de -- Israel, Nan Goldin und die Linke: Politische Spiritualität? | |
| > Alte Antiimperialisten und neue Postkoloniale. Was Nan Goldin, Michel | |
| > Foucault und Lenin verbindet. | |
| Bild: Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt: Nan Goldin und Michel Fou… | |
| Der Blick in den Rückspiegel kann helfen, einen Crash zu vermeiden. Gerade, | |
| wenn man vielleicht erst kürzlich einen überstanden hat. Manche fahren aber | |
| auch betrunken weiter. So wie der antiisraelische Teil der Linken. Der will | |
| nicht reflektieren, wohin eine Melange aus moralischer Überheblichkeit und | |
| Geringschätzung demokratischer Gepflogenheiten führen kann. | |
| Stattdessen werden Sprachen und Zielsetzungen des islamistischen Terrors | |
| häufig bagatellisiert, als handle es sich hier um die Taten unmündiger | |
| Minderjähriger. Für den selbstbezüglichen Glauben an die triumphale | |
| Stabilität des Westens besteht jedoch auch beim Blick auf dem Vormarsch der | |
| Russen in der Ukraine kein Anlass. | |
| Verdrängt scheinen auch die großen Anschläge in Europa, in denen sich | |
| Islamisten wie aus dem Nichts gegen westliche Lebensart und | |
| Meinungsfreiheit richteten. Wie etwa im November 2015 in Paris gegen das | |
| [1][Bataclan], Bars und das Stade de France. Oder wie kurz zuvor auf die | |
| Satirezeitschrift [2][Charlie Hebdo]. Oder wie in Berlin 2016 auf den | |
| Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. | |
| Es ist kein Zufall, dass ein Schauplatz des von der Hamas am 7. 10. | |
| verübten Pogroms in Israel [3][ausgerechnet ein Musikfestival] war. Und | |
| immer noch verschanzt sich Hamas hinter der zivilen Struktur im | |
| Gazastreifen, gibt die vielleicht noch lebenden Geiseln nicht frei. Die | |
| zivilen Toten, die Zerstörung werfen sie hingegen als Opfer Israels vor die | |
| internationalen Kameras. | |
| ## Die zweite Front | |
| Der Iran steht hinter Hamas und Hisbollah. Mit dem Angriff auf Israel haben | |
| sie neben der Ukraine eine zweite Front eröffnet, um die demokratischen | |
| Staaten zu schwächen. Wie Putins Russland kann auch Irans Mullah-Regime | |
| sich nur durch Terror-Export an der Macht halten. Putin hat die Ukraine für | |
| faschistisch erklärt. Das gleiche Spiel der Verdrehung betreiben die Feinde | |
| Israels im Nahen Osten. Es funktioniert ja auch. Wer denkt schon noch an | |
| die iranische Opposition, „Frau – Leben – Freiheit“? | |
| Die Sprache des islamistischen Terrors ist eliminatorisch. Seit 9/11, dem | |
| Großangriff auf und in den USA, ist dies vielen Menschen bewusst. Dennoch | |
| glauben immer noch einige, die Angriffe seien die Strafe für westliche | |
| Verfehlungen. Doch Islamisten und Rechtsextremisten wie Putin handeln aus | |
| eigenen Überlegungen. Man kann keine positiven Veränderungen herbeiführen, | |
| in dem man sich ihnen unterwirft oder aufgibt. | |
| Israel wurde am 7. 10. als Symbol dessen angegriffen, was seine Stärke | |
| ausmacht: als die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. | |
| Gefährlich für all jene, die es umgeben und diktatorisch regieren. Ganz | |
| ähnlich der auf Westkurs befindlichen Ukraine. Israel, der Westen, die | |
| Ausländer, sind das [4][Ventil zur Triebabfuhr bei Unzufriedenheit von | |
| autokratisch Regierenden], nicht nur im islamischen Raum. Doch hier | |
| besonders. Mehr als ein kalter Frieden wie mit Ägypten und Jordanien war | |
| für Israel nie drin. | |
| Eine Kultur der Freundschaft, die das Existenzrecht Israels auch | |
| gesellschaftlich anerkennt und ein Ende der antijüdischen Predigten mit | |
| einschlösse, Fehlanzeige. | |
| ## Kunst und Agitation | |
| Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und | |
| Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, | |
| behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute | |
| nachbarschaftliche Beziehungen. Das müssten auch Künstlerinnen wie Nan | |
| Goldin verstehen, [5][die anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung in Berlin] | |
| gegen Israel agitierte. | |
| Dabei sollte beim Blick in den Rückspiegel besonders die | |
| antiimperialistische Linke gewarnt sein. Nicht weit entfernt von völkischer | |
| Schwärmerei sah auch der französische Philosoph Michel Foucault eine neue | |
| „politische Spiritualität“ im Iran 1978/79 erwachsen. | |
| Er war wie andere Neue Linke nach der gescheiterten kommunistischen Utopie | |
| auf der Suche nach einer neuen und traf auf ein „sozialrevolutionäres“ | |
| Schiitentum. | |
| Die iranische Linke befand sich tatsächlich selber im fatalen Bündnis mit | |
| den Religiösen. Schiitenführer Chomeini hatte den regierenden Schah | |
| wirkmächtig als ausländische Marionette des Imperialismus markiert. Als | |
| wohlhabender Kleriker und Grundbesitzer wollte Chomeini selbst weder | |
| Landreform noch Frauenrechte akzeptieren. | |
| ## Zionistische Agenten | |
| Zur Durchsetzung seiner Theokratie befeuerte er einen antiwestlichen und | |
| antiisraelischen Kulturkampf. „Israel ist dagegen, dass in Iran die Gesetze | |
| des Korans gelten“, behauptete Chomeini 1963. „Israel benutzt seine Agenten | |
| in diesem Land, um den gegen Israel gerichteten Widerstand zu beseitigen.“ | |
| Den Krieg gegen den Irak bezeichnete er in den 1980ern als | |
| Durchgangsstation auf dem Weg nach Jerusalem. | |
| Wie Foucault begrüßte ein Großteil der antiimperialistischen Linken die | |
| iranische Revolution von 1979. Die Zeitschrift Autonomie.Neue Folge, | |
| Sprachrohr der militant-antiimperialistischen Szene, sprach davon, dass | |
| auch bei einer Niederlage der Linken in Iran, „selbst der Sieg des | |
| Khomeiny-Regimes ein offenes Wiederanknüpfen dieses Landes an die | |
| Dispositive der Weltmacht auf absehbare Zeit ausschließen“ würde. | |
| Mit bei Foucault entlehnter Rhetorik schrieb man, die kapitalistische | |
| „Logik des Weltmarktdispositivs“ sei damit entscheidend gestört. Und | |
| frohlockte, „das sich ohnedies terroristisch auf die Selbstvernichtung | |
| einstellende Israel wäre nicht mehr zu halten“. | |
| In leicht modifiziertem Jargon reproduzierte die Neue Linke dabei Lenins | |
| Imperialismustheorie von 1916. In Kombination mit den völkisch-religiösen | |
| Mythen des sogenannten Befreiungsnationalismus der Anti- und Postkolonialen | |
| wird heute daraus ein besonders giftiger Cocktail, der die Propaganda gegen | |
| demokratische Verfassungen, Minderheiten und Menschenrechte naiv befördert. | |
| 2 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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